© somenski / fotolia.com

Masern

COMEBACK EINER KINDERKRANKHEIT

Die Viruserkrankung könnte in Europa schon längst ausgerottet sein, doch das Gegenteil ist der Fall: Seit 2008 haben sich die Fallzahlen vervierfacht.

Seite 1/1 6 Minuten

Seite 1/1 6 Minuten

Eine Maserninfektion betrifft klassischerweise Kinder und Jugendliche, aber sie kann auch nicht-immunisierte Erwachsene treffen: Meist ist der Verlauf dann schwerer und es treten häufiger Komplikationen auf. Ausgelöst werden die Masern durch ein Virus, das sich nur im menschlichen Körper vermehren und auch nur von Mensch zu Mensch übertragen werden kann – und zwar durch Tröpfchen- oder Schmierinfektion. Schon ein kurzer Kontakt genügt, um sich anzustecken – und bei fast allen, die sich mit dem Virus infiziert haben, bricht die Krankheit auch aus.

Nach einer Inkubationszeit von etwa zwei Wochen kommt es zu grippeähnlichen Symptomen mit Husten, Schnupfen, geschwollenen und geröteten Schleimhäuten, sehr hohem Fieber sowie Kopf- und Gliederschmerzen. Manchmal zeigen sich auch kalkspritzerartige weißen Flecken an der Mundschleimhaut . Diese Symptome halten etwa drei Tage an.

Eine Woche darauf tritt dann der typische Hautausschlag (Masernexanthem) auf, der meist hinter den Ohren beginnt und sich innerhalb von einem Tag über den ganzen Körper ausbreitet, wiederum begleitet von Fieber und Mattigkeit. Nach wiederum etwa einer Woche sind diese Symptome in den meisten Fällen vollständig ausgeheilt und der Betroffene ist dann lebenslang gegen das Virus immun. Da Infizierte bereits drei bis vier Tage vor dem Auftreten des Hautausschlags und noch etwa eine Woche danach ansteckend sind, sollten Sozialkontakte in dieser Zeit auf ein Minimum beschränkt werden.

Ernsthafte Komplikationen Mit der Masernerkrankung geht eine vorübergehende Immunschwäche von etwa sechs Wochen einher. In dieser Zeit ist das Risiko für weitere Infektionen wie Mittelohr- oder Lungenentzündungen sehr hoch, die bei etwa jedem dritten Fall auftreten. Besonders gefürchtet ist die Meningoenzephalitis, die Gehirnhautentzündung, die zwar nur 0,1 Prozent der Erkrankten betrifft, dafür aber bei etwa jedem Fünften tödlich verläuft.

Weitere 20 bis 40 Prozent tragen schwere Hirnschädigungen davon. Zur Letalität der Erkrankung gibt es unterschiedliche Zahlen. So spricht das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) von drei Todesfällen unter tausend Erkrankten, das Robert Koch-Institut hingegen von einem unter zehn- bis zwanzigtausend.

SSPE verläuft immer tödlich Eine sehr seltene Spätfolge einer Maserninfektion ist die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE). Sie kann noch bis zu zehn Jahre danach auftreten, ohne dass die Betroffenen zuvor Krankheitssymptome aufwiesen. Bei SSPE kommt es zu einer Gehirnentzündung und einem Untergang der Nervenzellen, der sich nicht stoppen lässt und unweigerlich zum Tod führt.

SSPE äußert sich zunächst durch Wesensveränderungen bis hin zu Demenzzuständen, dann folgen Spasmen und epileptische Anfälle. Die meisten Betroffenen sterben innerhalb von drei Jahren. SSPE wird meist bei Kindern beobachtet, die sich in ihrem ersten Lebensjahr mit Masern infiziert haben – also zu einer Zeit, in der sie für eine Impfung noch zu jung waren und in der sie zudem ihren angeborenen Immunschutz, der etwa zwei Monate anhält, bereits verloren hatten.

Impfung beugt vor Eine akute Maserninfektion kann man nicht therapieren. Alles was man tun kann, ist die Symptome mit Mitteln gegen Husten und Fieber zu lindern und Bettruhe einzuhalten. Bei Mittelohrentzündungen können Antibiotika helfen, schwerwiegendere Komplikationen wie Lungen- oder Gehirnhautentzündung machen hingegen einen stationären Krankenhausaufenthalt erforderlich.

Seit der Einführung des Impfstoffes in Deutschland (BRD 1973, DDR 1970) kann man einer Maserninfektion aber vorbeugen. Geimpft wird in zwei Dosen, wobei die erste zwischen dem vollendeten 11. und 14. Lebensmonat gegeben wird. Die zweite Impfung, die frühestens vier Wochen nach der ersten durchgeführt werden kann, wird zwischen dem 15. und 23. Lebensmonat verabreicht und verleiht den Kindern einen fast hundertprozentigen lebenslangen Schutz gegen Masern. Da es sich um einen Lebendimpfstoff, also eine abgeschwächte Form des Virus handelt, dürfen Kinder unter einem Jahr, Menschen mit Immunschwäche und Schwangere nicht geimpft werden.

NEUE WEGE IN DER PRÄVENTION
Durch den Wegfall der Grenzen und die Mobilität der Menschen ist auch das Virus grenzenlos geworden. Europäische Gesundheitsexperten fordern daher ein europaweites Impfsystem oder zumindest einen Europa-Impfpass. Ein weiterer gesundheitspolitischer Vorstoß geht in Richtung soziale Netzwerke und Apps für das Mobiltelefon. Man erhofft sich davon eine Möglichkeit, Menschen grenzübergreifend dort abzuholen, wo sie sich immer häufiger aufhalten: im Internet.

Mittlerweile wird die Masernimpfung in Kombination mit einer Immunisierung gegen Mumps und Röteln durchgeführt (MMR-Impfung). 2001 wurde hier zu Lande zusätzlich die Meldepflicht eingeführt, was die Infektionsrate von über 6000 Fällen (2001) auf jährlich unter 1000 Fälle senkte – bis auf einen Ausreißer im Jahr 2004. Doch seit zwei Jahren steigt die Rate wieder. 2011 gab es über 1600 gemeldete Masernfälle, mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor.

Frankreich wurde 2011 mit über 15 000 Erkrankten sogar von einer regelrechten Masernwelle überrollt. Nord- und Südamerika sowie Australien haben es dagegen bereits geschafft, die Masern auszurotten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte dieses Ziel für Europa bis zum Jahr 2015 ausgerufen, doch dazu dürfte an drei aufeinanderfolgenden Jahren nur einer von einer Million Menschen erkranken. Das wären für Deutschland 82 Fälle pro Jahr – im Juni 2012 waren es aber bereits fast einhundert Infizierte.

Herdenimmunität Um ein Virus, das von Mensch zu Mensch übertragen wird, auszurotten, reicht eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent, denn dann greift die Herdenimmunität. Sie unterbricht den Infektionsweg so nachhaltig, dass das Virus nicht mehr zirkulieren und sich dadurch auch nicht mehr vermehren kann. Doch diese Durchimpfungsrate wird in Deutschland nicht erreicht. Die erste Impfdosis bekommen zwar noch über 90 Prozent der Kinder, die zweite Dosis jedoch schon weit weniger als 80 Prozent. Doch warum ist es so schwer, die nötige Impfrate von 95 Prozent auch für die wichtige zweite Dosis zu erreichen?

Die MMR-Kontroverse Viele Eltern lassen ihre Kinder nicht impfen, weil sie Angst vor Impfschäden haben, über die immer wieder berichtet wird. So wurde der MMR-Impfstoff von Gegnern lange Zeit für Autismus und eine dem Morbus Crohn ähnliche Krankheit, die man damals „Autistische Enterocolitis” nannte, verantwortlich gemacht.

Ausgelöst wurde dies durch einen Artikel des britischen Arztes Andrew Wakefield im Jahre 1998. Er wollte bei autistischen Kindern mit Magen-Darm-Problemen erhöhte Mengen von Masernantikörpern und eines Stoffes, der die Nervenhüllen angreift, ausgemacht haben. Seine Publikation führte in Großbritannien zu einem drastischen Einbruch bei der Masernimpfung und in der Folge zu erhöhten Infektionsraten.

Später stellte sich heraus, dass Wakefields Daten zum Teil gefälscht waren, worauf man ihm die Approbation entzog. Impfgegner halten jedoch nach wie vor unbeirrt an seiner These fest. Darüber hinaus bringen sie die MMR-Impfung nun auch noch mit Multipler Sklerose, Krebs oder degenerativen Knochenerkrankungen in Verbindung. Wissenschaftlich sind all diese Zusammenhänge nicht glaubwürdig belegt.

Durchimpfungsrate vs. natürlich erzeugte Herdenimmunität Religiöse oder weltanschauliche Gründe können ebenfalls ausschlaggebend dafür sein, dass Eltern ihre Kinder nicht impfen lassen. So treten kleine Epidemien immer wieder in Waldorfschulen auf, weil Anthroposophen eine standardisierte Impfung kritisch sehen und stattdessen für einen individuellen Impfentscheid für jede einzelne Krankheit plädieren. Kombinationsimpfstoffe, wie sie bei der MMR-Impfung verwendet werden, lehnen sie aus diesem Grund ab.

Anthroposophen vertreten außerdem einen ganzheitlichen medizinischen Ansatz, der davon ausgeht, dass Viren in ihrer Wildform einen Sinn haben. Sie wollen diesen Wildformen der Viren die Chance geben, für eine natürlich gewachsene Herdenimmunität zu sorgen. Allerdings kann das nicht funktionieren, solange ein Teil der Bevölkerung gegen Masern geimpft wird. Auf der anderen Seite kann eine Herdenimmunität aufgrund einer hohen Durchimpfungsrate aber auch nicht erreicht werden, solange ein größerer Teil der Bevölkerung die Impfung ablehnt. Diese Anschauungen behindern sich gegenseitig und machen eine Ausrottung der Masern damit unmöglich.

Gefährliche „Masernpartys” Impfmüdigkeit, Angst vor Impfschäden und womöglich falsch verstandene oder nicht ausreichend reflektierte Vorstellungen von dem, was „das Immunsystem stärkt”, führt immer wieder zu gefährlichen Masernpartys. Dabei bringen Eltern ihre gesunden Kinder bewusst mit an Masern erkrankten Kindern zusammen, damit sie sich infizieren. Dieses aktive „Infizieren” wird von Impfärzten, aber auch von -kritikern und selbst von vielen Impfgegnern als verantwortungslos abgelehnt. In Deutschland ist eine vorsätzliche Infektion mit Krankheitserregern zudem strafbar, da sie als gefährliche Körperverletzung eingestuft wird.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 12/12 ab Seite 118.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

×