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Tipps bei negativen Erwartungen

BÖSER BRUDER

Der Glaube kann nicht nur heilen, sondern auch krankmachen, wie beim Nocebo-Effekt. Diesem Phänomen liegen negative Erwartungen einer Therapie zugrunde, die mitunter zu körperlichen Beschwerden führen.

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Der Begriff Nocebo kommt aus dem Lateinischen und bedeutet: „Ich werde schaden.“ Der Nocebo-Effekt stellt somit das Pendant zum Placebo-Effekt (lat.: „Ich werde heilen“) dar. Während der Placebo-Effekt den positiven Einfluss einer Scheinbehandlung meint, handelt es sich beim Nocebo-Effekt um schädliche Konsequenzen einer Therapie. Verschiedene Studien haben bereits gezeigt, dass Menschen, die bei einer Medikamenteneinnahme ausführlich den Beipackzettel studieren, häufiger unter den beschriebenen Nebenwirkungen leiden. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Nocebo-Effekt sind allerdings ethisch kaum vertretbar, weil sie beabsichtigen würden, dass gesunde Patienten psychische Leiden sowie körperliche Symptome entwickeln.

Wenn der Glaube krank macht Doch wie kommt der Nocebo-Effekt zustande? Einige Experten erklären das Phänomen mit dem psychischen Mechanismus der selbsterfüllenden Prophezeiung, der auf einer spezifischen Erwartungshaltung basiert. Durch die Erwartung eines Ereignisses, zum Beispiel, dass die Nebenwirkungen eintreten könnten, wird die Wahrscheinlichkeit dieser Situation erhöht. Von anderen Fachleuten wird der Nocebo-Effekt mit dem Prinzip von Negativsuggestionen erklärt, bei welchen die medizinische Aufklärung das Gegenteil der beabsichtigten Aufforderung bewirkt.

Wird der Patient gebeten, jetzt bitte nicht zu husten, kommt ihm meist zumindest ein Räuspern über die Lippen. Es gibt auch einen möglichen, biochemischen Erklärungsansatz für den Nocebo-Effekt: Befürchtet eine Person, dass etwas Negatives eintritt, sinkt ihr Spiegel an Endorphinen, sie fühlt sich schlechter und ist zugleich schmerzempfindlicher. Darüber hinaus schüttet der Organismus den Neurotransmitter Cholecystokinin aus, der bei der Entstehung von Angst und Panik eine Rolle spielt. Zudem hat man festgestellt, dass die Hirnareale, in denen die Schmerzverarbeitung stattfindet, aktiviert sind und Betroffene Schmerzen spüren, obwohl die Nozizeptoren an diesem Prozess nicht beteiligt sind.

Sensibilität ist gefragt Ein Beispiel für den Nocebo-Effekt liefert eine Studie aus dem Jahr 2009, in welcher männlichen Hypertonie-Patienten der Wirkstoff Metoprolol verabreicht wurde. Eine Gruppe an Probanden hatte man über die mögliche Begleiterscheinung einer erektilen Dysfunktion aufgeklärt, die zweite Gruppe hatte nichts davon erfahren und die dritte Gruppe wusste nicht einmal, welchen Wirkstoff sie erhielt.

Das Ergebnis war, dass in der letzten Gruppe lediglich acht Prozent der Versuchspersonen, in der zweiten Gruppe 13 Prozent unter entsprechenden Symptomen litten und immerhin 32 Prozent der vollständig aufgeklärten Probanden Beschwerden der erektilen Dysfunktion bekamen. Anhand dieser Untersuchung wird das Dilemma der Beratung deutlich: Einerseits ist die Aufklärung verpflichtend, andererseits kann die mögliche Nocebo-Wirkung unerwünschte Begleiterscheinungen verstärken. Für die Beratung im Apothekenalltag bedeutet dies, insbesondere bei ängstlichen Kunden, die eher zu einer Entwicklung von Nocebo-​Effekten neigen, besonders behutsam vorzugehen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/18 auf Seite 118.

Martina Görz, PTA, Psychologin und Fachjournalistin

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