Sabine Breuer

BEIM NAMEN NENNEN

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Vor ein paar Tagen habe ich beim Friseur eine interessante Geschichte gehört, die zu gut ist, um sie für mich zu behalten. Auf dem Stuhl neben mir saß eine ältere Dame, die sich mit ihrer Friseurin über „ihren Heinrich“ unterhielt. Zunächst dachte ich, das sei ihr Mann und eigentlich wollte ich gar nicht mehr zuhören. Aber dann fand ich diesen Heinrich doch äußerst ungewöhnlich. Er war der ständige Begleiter der Dame, sie hatte ihn angeblich immer dabei. Sehen konnte ich allerdings niemanden, weder im Herrenbereich des Salons, noch vor der Tür.

„Halt die Klappe!“ in diesem Ton sprach sie mit ihm, wenn die beiden allein waren, erzählte sie. Und sie hätte sich mit ihm nach einer schweren Zeit arrangiert. Was war denn das für eine Beziehung? Nach ein paar weiteren Sätzen verstand ich, dass es sich bei Heinrich um den künstlichen Darmausgang der Dame handelt. Wie das Stoma zu dem Namen kam, erfuhr ich auch: Als die Dame kurz nach der Operation mit der Straßenbahn fuhr, blubberte ihr künstlicher Ausgang. Und eine Frau, die ihr gegenüber saß, fragte empört, was das denn gewesen sei.

Die Dame deutete nach hinten und sagte: „Das war der Heinrich!“ Hinter ihr saß zufällig eine Gruppe Männer. Die Frau schaute strafend zu ihnen hinüber und rief: „Männer! Die können sich einfach nicht benehmen!“ Und seitdem heißt der künstliche Darmausgang Heinrich. Gar nicht so schlecht, dachte ich mir. Vielleicht wird es leichter, eine Krankheit oder einen vermeintlichen Makel zu akzeptieren, wenn man ihnen einen ganz individuellen Namen gibt. Bleiben Sie gesund!

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