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Kinderkrankheiten

AUTISMUS

Sie leben in einer eigenen Welt und erscheinen unnahbar. Für Kinder mit dieser tiefgreifenden Entwicklungsstörung gestalten sich alltägliche Dinge oft sehr schwierig. Geheilt werden können sie nicht, aber eine frühe Therapie ist sinnvoll.

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Autismus bedeutet übersetzt „Selbstversunkenheit“ und ist eine der schwersten Verhaltensstörungen, die in der Kindheit auftreten können. Sie ist durch eine abnorme oder beeinträchtigte Entwicklung definiert und manifestiert sich vor dem dritten Lebensjahr.

Bei Jungen kommt sie drei- bis viermal häufiger als bei Mädchen vor. Schätzungen der Prävalenz von Autismus reichen von etwa 30 bis 60 Fällen pro 10 000 Kinder. Weil die Symptome der Störung mit sozialer Interaktion und Sprache zusammenhängen, bemerken die Eltern oft nicht sofort, dass ihr Nachwuchs nicht interagiert.

Charakteristische Symptome Betroffene weisen Defizite in drei zentralen Funktionsbereichen auf: Erstens sind sie nur eingeschränkt in der Lage, nonverbale Ausdrucksformen zu zeigen, die für erfolgreiche soziale Aktionen notwendig sind. Zweitens ist die sprachliche Entwicklung autistischer Kinder verzögert und sie reden oft in stereotyper Form. Wörter werden häufig nicht verwendet, um Ideen auszutauschen, sondern um das nachzusprechen, was andere sagen oder um Dinge zu erhalten, die sie gerne haben möchten.

Außerdem beteiligen betroffene Kinder sich seltener an sogenannten Als-ob-Spielen und viele von ihnen zeigen repetitive oder rituelle Verhaltensweisen: Sie ordnen zum Beispiel Gegenstände in Reihen oder symmetrischen Mustern an. Weitere typische Anzeichen für Autismus sind enge und übermäßig intensive Interessen der Sprösslinge.

»Kinder mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko lächeln seltener als Erwiderung und hören weniger auf ihren Namen.«

Heutzutage beschäftigt man sich in der Forschung auch mit Verhaltensweisen, die bereits im ersten Lebensjahr beginnen und auf eine Autismusdiagnose hindeuten können: Kinder mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko lächeln zum Beispiel seltener als Erwiderung und hören weniger auf ihren Namen.

Neben diesen spezifischen diagnostischen Merkmalen zeigen Betroffene oft auch unspezifische Probleme wie Phobien, Wutausbrüche, Aggressionen oder Schlaf- und Essstörungen. Kinder, die gleichzeitig in ihrer Intelligenz gemindert sind, zeigen unter Umständen selbstverletzende Verhaltensweisen wie das Beißen in den eigenen Handrücken. Mit zunehmendem Alter ändern sich die spezifischen Defizite, bleiben aber dennoch mit weitgehend ähnlichen Problemen in der Sozialisation, der Kommunikation und den Interessen auch im Erwachsenenalter bestehen. Autismus betrifft jedes Intelligenzniveau, jedoch sind drei Viertel der Patienten in der Intelligenz eingeschränkt.

Vermutete Ursachen Zur Erklärung von Autismus gibt es unterschiedliche Ansätze: Wissenschaftler gehen von einer abnormen Gehirnfunktion aus, die gewöhnlich durch genetische und pränatale Umwelteinflüsse verursacht wird. Kinder, die unter dieser Störung leiden, haben ab dem ersten Lebensjahr häufig ein überdurchschnittlich großes Gehirn, vermutlich liegt die Ursache in einer enormen Überproduktion von Synapsen und einer fehlenden Synapsenausdünnung. Folglich ist die normale Entwicklung sprachlicher und kognitiver Fähigkeiten eingeschränkt.

Studien mit der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) zeigten, dass die Aktivität in Regionen der Hirnrinde vermindert ist, welche normalerweise emotionale und soziale Reaktivität vermitteln. Auch Spiegelneuronen von Autisten scheinen nur vermindert aktiv zu sein, sie reagieren nur bei eigenen Handlungen, nicht aber, wenn ein Mitmensch etwas tut. Daher vermutet man, dass Menschen, die an einer autistischen Störung leiden, unfähig sind, sich in andere Personen hinein zu versetzen und Verständnis für sie zu entwickeln.

Multimodale Hilfe Autismus ist zwar nicht heilbar, aber die Symptome können durch eine frühzeitige Therapie deutlich reduziert werden. Die Behandlung setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen und integriert psychotherapeutische, pädagogische, spezialtherapeutische (Ergotherapie, Logopädie, Bewegungs-, Musik- und Kunsttherapie) sowie pharmakologische Methoden. Verhaltenstrainings und alltagsnahe Rollenspiele unterstützen Autisten dabei, ihr Leben möglichst selbstständig führen zu können. Therapeuten trainieren die sozialen Fähigkeiten der Kinder, die Interaktion mit anderen Menschen und bauen störendes Verhalten schrittweise ab.

Weitere Verhaltenstrainings legen ihren Fokus auf das Erkennen von Gefühlen anderer Menschen oder auf das Sprechen lernen. Es gibt keine Medikamente, die bei Autismus zum Einsatz kommen, lediglich die Begleitsymptome der Störung (Angst, Depressionen, Aggressivität) können mit Antidepressiva oder atypischen Neuroleptika behandelt werden. Bei der Anwendung muss der Arzt mit besonderer Vorsicht vorgehen, um zu verhindern, dass sich die Beschwerden bei falscher Anwendung verschlimmern.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 04/15 ab Seite 90.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin (FJS)

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