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Deutscher Apothekertag

AUF DEN BLICKWINKEL KOMMT ES AN

Beim Deutschen Apothekertag 2019 standen etliche Themen zur Debatte: die leidigen Lieferengpässe, das Rx-Versandhandelsverbot, der Gesetzentwurf zur Stärkung der Apotheke vor Ort sowie die Auseinandersetzung mit Gesundheitsminister Jens Spahn.

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Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), fand schon bei der Eröffnung des Apothekertages am 25. September 2019 in Düsseldorf im Hinblick auf Lieferengpässe deutliche Worte. Nach seiner Auffassung sind eindeutig die Rabattverträge die Ursache für dieses Problem. Als Gegenmaßnahme sieht er im Schulterschluss mit der Standesvertretung die Notwendigkeit „der Mehrfachvergabe von Verträgen für einen Wirkstoff an mindestens drei Hersteller.“

Becker hatte aber auch Positives zu vermelden: „Wir sind dabei, die Anbindung der Apotheken an die Telematik-Infrastruktur fristgerecht umzusetzen.“ Dabei verwies er auch darauf, dass die Apotheker derzeit „die Einzigen sind, die das Elektronische Rezept eng an den Vorgaben der Telematik-Infrastruktur entwickeln.“ In diesem Zusammenhang erinnerte Fritz Becker auch an die vom DAV für das E-Rezept entwickelte Patienten-App: „Die Web-App soll in Kürze im Rahmen eines Modellprojektes zum Einsatz kommen.“

Mehr Geld – auch für PTA? Dass das Rx-Versandverbot die einzig wahre Lösung sei, räumte der DAV-Chef umstandslos ein. Aber: Es sei eben aus EU-rechtlicher Sicht nicht durchzusetzen. Kämpferisch gab sich der Schwabe jedoch in Sachen Vergütung künftiger pharmazeutischer Dienstleistungen, für die von der Politik 150 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Beckers Forderung: „Dieses Budget muss mehr als verdoppelt werden.“ Inwieweit diese Dienstleistungen auch von PTA übernommen werden und diese davon auch finanziell profitieren, wurde nicht thematisiert. Ohne Wenn und Aber plädierte der Vorsitzende des DAV für die Grippeschutz-Impfungen in den Apotheken: „Wir wollen diese Herausforderung annehmen.“ Bis vor Kurzem war eine solche klare Stellungnahme seitens der Standesvertretung noch nicht zu hören.

Präsident gerät ins Philosophieren Natürlich wurde die Rede von Friedemann Schmidt, dem Präsidenten der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. (ABDA), angesichts unsicherer Zeiten mit Spannung erwartet. Dabei machte sich der Präsident gleich zu Beginn philosophische Betrachtungsweisen zu eigen und verwies auf das vom postmodernen Denker Odo Marquard sogenannte „Gesetz der Penetranz der negativen Reste“ aufmerksam. Damit ist ein ganz einfaches Phänomen gemeint: „Je seltener oder schwächer ein Phänomen auftritt, desto größer wird die Sensibilität dafür. Und dieser Effekt sorgt auch dafür, dass uns Problemwahrnehmungen hartnäckig begleiten. Je mehr ein spezifisches Problem bewältigt ist, desto mehr schärft sich der Blick für verwandte Unzulänglichkeiten, die zuvor gar nicht oder allenfalls am Rande des Blickfeldes wahrgenommen wurden.“

Worauf Schmidt mit diesem Ausflug in höhere Gedankengefilde hinauswollte, wurde an späterer Stelle klar: Die Penetranz der negativen Reste verstellt den Blick auf Erfolge. „Was wir vor allem diskutieren, ist nicht das Erreichte, sind nicht die Chancen, sondern die Risiken der Entwicklungen.“ Auch wenn der Redner an dieser Stelle andere Entwicklungen wie etwa die „Entmenschlichung der Versorgung“ erwähnte, so ist doch anzunehmen, dass er mit dieser Denkfigur die Zuhörer auch auf die politischen Erfolge der ABDA aufmerksam machen wollte.

Bitte auch das Positive sehen Dieselbe Strategie verfolgte Friedemann Schmidt auch im weiteren Verlauf seiner Betrachtungen, als er empfahl, nicht nur auf die Stimme Kassandras (in der griechischen Mythologie eine tragische Heldin, die das Unheil voraussah, aber kein Gehör fand), sondern auch auf eine Heldin eines Kinderbuches namens Polyanna zu hören. Dieses Mädchen hatte es sich zur Pflicht gemacht, „in jeder noch so vertrackten Situation auch die positiven Aspekte zu entdecken.“ Nach einem Lob auf Apotheker und ihre Mitarbeiter – „wir haben Lieferengpässe gemanagt“ – kam dann das Lob auf die eigene Lobbyarbeit: „Wir brauchen einen klaren regulatorischen Rahmen, der Transparenz und Diskriminierungsfreiheit garantiert. Im Entwurf des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes gibt es gute Ansätze für einen solchen Rahmen. Denn er antizipiert die zukünftige Versorgung unter den Bedingungen des E-Rezeptes. Es denkt Regeln gegen die Steuerung von Patienten und das Makeln von Rezepten mit.“

Bei der Frage des Versandverbotes für verschreibungspflichtige Arzneimittel sieht der Präsident den „inneren Konflikt“ der Apotheker am deutlichsten. Schmidts Überzeugung: „Ja, ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wäre die wirksamste Maßnahme, den problematischen Auswirkungen (...) auf das deutsche System der Arzneimittelversorgung zu begegnen. Und nein, diese Maßnahme ist unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen in unserem Land und in der Europäischen Union nicht möglich ...“.

PTA ERHÄLT DIGITALE IDENTITÄT
 

Die Netzgesellschaft Deutscher Apotheker mbH (NGDA) hat zum Apothekertag den digitalen Schlüssel ApoKey präsentiert. Damit können Apotheker und PTA sowohl den Nachweis ihrer Identität und auch denjenigen der Fachgruppenzugehörigkeit liefen. Der ApoKey erleichtert beispielsweise den Zugang zu Fortbildungen in Form von Online-Angeboten. Die offizielle Registrierung für ApoKey beginnt im Dezember dieses Jahres. Die NGDA betont, dass sie als „apothekereigenes Unternehmen für Vertraulichkeit und Datenschutz steht.“

Verabschiedung eines jahrelangen Leitsatzes Eine Absage erteilte Friedemann Schmidt auch dem über Jahre geltenden zentralen Leitsatz „Struktur vor Geld“. Natürlich seien „ordnungspolitische Strukturen essenziell“, aber man müsse auch den Blick frei haben für „wirtschaftliche Verbesserungen in Teilbereichen unserer Arbeit und neue fachliche Perspektiven für den Heilberuf Apotheker. Schon der Nachwuchsmangel und ein verändertes Wertegerüst der Generation XY und Z zwingen uns dazu.“ Gegen Ende seiner Rede bemühte der Präsident den Blick von Polyanna auf die aktuelle Apothekenreform zu richten. Und siehe da: Man erkennt nun „eine ordnungspolitische Stabilisierung und Immunisierung der öffentlichen Apotheke, wirtschaftliche Verbesserungen und die fachliche Perspektive einer heilberuflichen Aufwertung unserer apothekerlichen Profession.“

Dass nicht alle Apotheker eine derart optimistische Zukunft vor sich sehen, wurde in den Diskussionsrunden klar. So wurde die Arbeit der ABDA von Standespolitikerinnen aus Hessen und Wesfalen-Lippe heftig kritisiert. Sie forderten in einem adhoc-Antrag das Rx-Versandverbot und wurden dabei von Kollegen aus Bayern und Brandenburg unterstützt. Schlussendlich konnte sich diese Fraktion jedoch nicht durchsetzen. In einer Art Kompromissformel einigte man sich darauf, dass der Gesetzgeber die „Gleichpreisigkeit (zwischen Versandapotheken aus dem Ausland und der Vor-Ort-Apotheke) schnellstmöglich“ wieder herbeiführen soll. Bis dieser Kompromiss gefunden worden war, hatte auch noch Jens Spahn Gelegenheit, seine Sicht auf die aktuelle politische Situation klar zu machen. Er verwies darauf, dass die Streichung der Gleichpreisigkeit nicht von ihm zu verantworten sei, sondern auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes zurückzuführen ist.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/19 ab Seite 118.

Claus Ritzi, Pharmajournalist (wdv)

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