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Kooperationsgipfel

APOTHEKENWELT IM UMBRUCH

Wie jedes Jahr fand auch 2019 wieder ein Apotheken-Kooperationsgipfel statt. Bei dem Branchentreffen im Februar ging es den Rednern darum, Risiken und Chancen bei der Entwicklung des Apothekenmarktes auszuloten.

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Neben den Vorstellungen der Referenten skizzierte Initiator und Moderator Dr. Stefan Hartmann sachkundig und präzise mögliche Zukunftsszenarien. So stellt nach wie vor die Absicht von Amazon, in den deutschen Gesundheitsmarkt einzusteigen, die größtmögliche Gefahr für die Apotheke vor Ort dar. Um sich überhaupt gegen diesen Giganten und auch ausländische Versender wehren zu können, gibt es aus Sicht von Dr. Hartmann nur eine Lösung: Die Warenwirtschaftshäuser müssten sich zusammenschließen und für alle (!) deutschen Präsenzapotheken eine App zur Bestellung für die Patienten entwickeln.

Zwei Bestellplattformen am Start Fakt ist, dass solche Gedanken bereits von anderen Marktteilnehmern umgesetzt werden: So paktiert etwa die Genossenschaft Noweda mit dem Verlagshaus Burda und möchte für die Apotheker eine solche Plattform entwickeln. Michael Kuck, der als Chef der Noweda als Überraschungsgast geladen war, betonte, dass eine solche Plattform „von allen Apothekern genutzt werden kann, nicht nur von unseren Mitgliedern.“ Er zeigte sich unbeeindruckt davon, dass sich in einem Zusammenschluss von Wort & Bild, Sanacorp, Gehe, Noventi und Rowa eine weitere Gruppe mit demselben Vorhaben beschäftigt und wies darauf hin, dass Deutschland locker auch zwei Apps verkraften würde. Übrigens bietet Noweda seinen Mitgliedern ab diesem Frühjahr ein eigenes Kundenmagazin an, das von Burda entwickelt wurde – und in dem dann vermutlich fleißig für die eigene App geworben wird. Im Hinblick auf die ABDA-Debatte, um eine Differenzierung zwischen Versandhandel und Botendienst, bemerkte Moderator Dr. Hartmann nur trocken, dass solche Bemühungen den Kern der Sache verfehlen: „Es geht doch darum, dass wir solche Themenfelder aus Kundensicht betrachten sollten!“ Für Patienten und Kunden zählt bekanntlich nur eins: Dass sie das gewünschte Arzneimittel möglichst schnell erhalten.

Unsichere Zeiten – Orientierung umso wichtiger Dr. Hartmann führte in seiner Anmoderation in Bezug auf die Entwicklung im Apothekenbereich auch einen Fachterminus zur Beschreibung unsicherer Zeiten ein: VUKA. Diese Abkürzung steht für Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Damit ist gemeint, dass eine Entwicklung volatil, also schwankend, unsicher, sehr komplex und durch Ambiguität, also durch Mehrdeutigkeit gekennzeichnet ist. Gerade weil diese Beschreibung der aktuellen Marktsituation so zutreffend ist, sollten PTA Entwicklungstrends kennen, die Rück- schlüsse auf konkrete Handlungen geben. Ein Vortrag dieser Art handelte von den Konsumpfaden der Kunden, im Marketing-Slang auch bekannt als „Customer Journey“. Referent Walter Pechmann vom Marktforschungsunternehmen GfK wies anhand konkreter Zahlen darauf hin, dass die Digitalisierung un- ser Konsumenten-Verhalten grundlegend verändert hat. So haben satte 93 Prozent von uns allen 2018 unterschiedliche Konsumartikel online eingekauft. Und wie sieht es im Pharmamarkt aus? 26 Prozent haben eine Bestellung bei einer Versand-Apotheke aufgegeben. 70 Prozent besorgten sich benötigte Präparate in der stationären Apotheke. Und 20 Prozent aller Deutschen haben beide Vertriebsschienen benutzt.

Vier Faktoren bestimmen Kundenverhalten Der Referent analysierte vier Faktoren, an denen der Konsument die Wahl des Vertriebsweges ausrichtet: Sicherheit, Zeit, Preis und Komfort. Im Vergleich der stationären Apotheke gegenüber der Versandapotheke liegt die stationäre Apotheke aus Konsumentensicht gegenüber dem Versandhandel beim Thema Sicherheit und Zeit klar vorne. Die Stärken der Versandapotheke sind dagegen Preis und Komfort. Gerade weil die stationäre Apotheke in der Regel die allermeisten Arzneimittel vorrätig hat oder innerhalb ganz kurzer Zeit beim Großhändler bestellen kann, holen sich die Patienten beim akuten Bedarf das benötigte Präparat aus der Apotheke vor Ort. Bei kurativ und präventiv ausgerichteten Produkten neigen die Betroffenen aber dazu, sich diese über den Versandweg zu organisieren. Insgesamt sieht man bei dem international renommierten Marktforschungsunternehmen eine Gefährdung von 62 Prozent des Absatzes in der stationären Apotheke! Erfreulicherweise hatte der Referent auch Empfehlungen für eine Überlebensstrategie der stationären Apotheke parat. Der neuralgische Punkt ist dabei der Zeitvorteil. Der Schlachtruf lautet also: Same Day Delivery (SDD). Das heißt: heute bestellen – heute bekommen. Und noch ein wichtiger Aspekt: Der Preis ist nicht der Knackpunkt. Last but not least ist Pechmann davon überzeugt, dass man das bei der Versandapotheke ausgespielte Thema „Komfort“ zumindest in Teilen wieder zurückgewinnen kann. Unter diesem Stichwort sind natürlich auch PTA angesprochen, die den Kunden aufgrund einer exzellenten Beratung ein Komfort-Gefühl ver- mitteln können.

Erste Zukunftskonturen erkennbar Apotheker Michael Grinz von den Bienen-Apotheken in München berichtete vom Ausbau seiner seit 2016 bestehenden Partnerschaft mit Amazon. War er bislang nur ein „normaler“ Partner des Liefergiganten, hat er sich seit 2017 als „Amazon-Prime-Now“ qualifiziert. Unter diesem Vorzeichen verpflichtet er sich, die bis 13 Uhr eingehenden Bestellungen nach zwei Stunden zur Auslieferung durch Amazon bereitzustellen. Obwohl er 15 Prozent des Umsatzes an Amazon abgeben muss, rechnet sich die Kooperation für ihn unter kaufmännischen Aspekten. Seiner Einschätzung nach sind in Deutschland bereits heute schon 70 bis 80 Apotheken auf dem Amazon-Marktplatz aktiv. Aus seiner Sicht besteht das Interesse des Online-Riesen generell darin, möglichst viele Partnerschaften mit Händlern, sprich Apothekern, abzuschließen. Im Gegensatz zu vielen Experten die davon ausgehen, dass Amazon eines nicht allzu fernen Tages sich bei einem Apothekenversand einkauft oder ihn übernimmt, glaubt Grinz nicht, dass sich der Konzern in Deutschland eine eigene Apotheke zulegt.

Ein Beispiel dafür, wie gewiefte Unternehmer Gesetze umgehen, die ihnen nicht in ihr Vorhaben passen, lieferte Dr. Roman Rittweger, einer von drei Gründern der ersten privaten digitalen Krankenkasse „ottonova“: Während es in Deutschland (noch) das Fernbehandlungsverbot für Ärzte gibt, ist die Telemedizin in der Schweiz erlaubt. Die Lösung für die smarten Digital-Avantgardisten: Die Krankenversicherung kooperiert in Sachen Ferndiagnose einfach mit Schweizer Ärzten. Mit dem Kunstwort „phygital“, einer Zusammensetzung aus den Worten „physical“ und „digital“ verdeutlichte Andrea Biebl, Chefin der Kommunikationsagentur MWO, wohin die Reise in der Healthcare-Kommunikation geht. Die Konsumenten werden künftig auf mehreren Kanälen personalisierte und individualisierte Gesundheitsinformationen erhalten. Dass dabei die jüngere Generation eine Art Wissensvorsprung hat, ist Schnee von gestern, zumal – Stichwort Alexa - gerade auch im digitalen Bereich die Kommunikation mittels Stimmerkennung für alle zum Kinderspiel wird.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/19 ab Seite 126.

Claus Ritzi, Pharmajournalist (wdv)

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