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Hypoxie

ANPASSUNG IST ALLES

Sauerstoff brauchen alle tierischen Organismen zum Überleben. Doch was tun, wenn das Angebot sinkt? Die Forschung darüber wie Zellen Sauerstoffschwankungen wahrnehmen und darauf reagieren, brachte drei Männern nun den Medizin-Nobelpreis ein.

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William Kaelin Jr. vom Cancer Institute Boston, Sir Peter Ratcliffe von der Oxford University und Gregg Semenza von der Johns Hopkins University Baltimore wurden Anfang Oktober mit der größten Ehrung im Fachbereich Medizin und Physiologie ausgezeichnet. Sie beschäftigten sich schon lange mit den molekularen Mechanismen, die tierische Zellen dazu befähigen, den Luftsauerstoff zu messen und sich entsprechend anzupassen. Genau diese Mechanismen sollen nun dabei helfen, neue Medikamente gegen Krebs oder Anämien zu entwickeln. Wie hängt das zusammen?

EPO marsch Da Sauerstoff so elementar wichtig ist, verfügt unser Körper über mehrere Strategien, damit die Atmungskette nicht zusammenbricht. Eine schnelle Anpassung ermöglichen beispielsweise spezielle Sensoren nahe der Halsschlagader. Registrieren diese Zellen niedrige Sauerstoffspiegel im Blut (Hypoxie), erhöhen sie entsprechend die Atemfrequenz. Langfristig wird vermehrt das Hormon Erythropoetin (EPO) freigesetzt, das die Bildung roter Blutkörperchen in Gang setzt. Wie dieser Schritt reguliert wird, ist nun Dank der Forschungsarbeiten der drei Wissenschaftler bekannt.

In der Nähe des Gens, das die Informationen für EPO enthält, befindet sich ein sauerstoffempfindlicher Proteinkomplex: der Hypoxie-induzierbare Faktor (HIF), bestehend aus den zwei DNA-bindenden Proteinen HIF1α und ARNT. Das freie Protein HIF1α wird normalerweise rasch abgebaut, bei normalem Sauerstoffangebot ist die Konzentration in der Zelle niedrig. Sinkt jedoch der Sauerstoffgehalt, wird HIF1α weniger abgebaut, bindet gemeinsam mit ARNT an die DNA und bewirkt dort das Ablesen des EPO-Gens und anderer sauerstoffabhängiger Gene. Hypoxie hemmt also den Ab- bau, ein normaler Sauerstoffgehalt fördert ihn – und zwar so: Spezielle sauerstoffempfindliche Enzyme markieren HIF1α mit zwei OH-Gruppen, sodass es von einem weiteren Protein (VHL) erkannt und folglich komplexiert wird. Dieser Proteinkomplex wird dann rasch abgebaut.

Potenzielle Targets An mehreren Stellen dieses Mechanismus könnte man nun therapeutisch eingreifen, um verschiedene Krankheiten zu behandeln. Könnte man beispielsweise die sauerstoffemp- findlichen Enzyme (sogenannte HIF-Prolyl-Hydroxylasen) hemmen, würde weniger HIF1α abgebaut und dem Körper damit eine dauerhafte Hypoxie vorgegaukelt werden, wodurch mehr EPO gebildet wird – Einsatzgebiet könnte eine Anämie durch Niereninsuffizienz darstellen.

Ein solcher Inhibitor – Rodaxustat – ist bereits in China zugelassen. HIF1α-Antagonisten könnten wiederum gegen verschiedene Krebserkrankungen eingesetzt werden, um die Angiogenese – also die Bildung neuer Blutgefäße für den Tumor – abzuschwächen. Einige Testkandidaten gegen Glioblastom oder Nierenzellkarzinom befinden sich derzeit in der klinischen Forschung. Da erhöhte HIF1α-Konzentrationen in Zusammenhang mit einem aggressiven Krankheitsverlauf und schlechter Prognose beobachtet werden, stellt HIF1α generell ein interessantes Ziel für die Krebsforschung dar.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/19 ab Seite 24.

Farina Haase, Apothekerin/Redaktion

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