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Phantomschmerz

ALLES NUR EINGEBILDET?

Diese Schmerzen sind Empfindungen, die Betroffene nach Amputationen wahrnehmen, als kämen sie vom fehlenden Gliedmaß. Woran liegt das?

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Die Phantomschmerzen zählen zu den Deafferenzierungsschmerzen, die durch die Zerstörung von afferenten Nerven entstehen. Gründe dafür sind chirurgische Eingriffe, Unfälle, Nervenerkrankungen oder degenerative Prozesse. In den meisten Fällen treten die Schmerzen nach dem Verlust von Armen oder Beinen auf. Doch auch in Körperteilen, die nicht zu den Gliedmaßen gehören, können Patienten die Pein empfinden: Nach einer Zahnextraktion, der Beseitigung eines Auges oder nach einer Brustamputation erleben Betroffene oft die Qual in den fehlenden Körperteilen.

In der Regel zeigen sich die Phantomschmerzen intermittierend. Zusätzlich zählen Kribbeln, Jucken oder Kälte- und Wärmeempfindungen dazu. Faktoren wie Stress oder Angst können das Phänomen fördern. Bei einigen Patienten bleibt der Schmerz ein Leben lang präsent, bei anderen nehmen die Attacken im Laufe der Zeit ab. Nicht zu verwechseln sind die Phantomgefühle mit dem Stumpfschmerz, bei dem die Personen Schmerzen im vorhandenen Stumpf eines amputierten Körperteils spüren.

Wie entstehen diese Empfindungen? Zunächst ging man davon aus, dass Phantomschmerzen an den durchtrennten Nervenendigungen, den so genannten Neuromen, entstehen. Dort vermutete man entzündete Nervenenden, die Signale zum Gehirn aussenden. Die Annahme war, dass das Gehirn diese Impulse als Schmerz interpretierte. Das Konzept hat sich jedoch nicht als primäre Ursache bewährt, da auch Personen, denen von Geburt an Gliedmaße fehlen, unter der Erscheinung leiden. Heutzutage sind Gehirn, Rückenmark und Peripherie Bestandteil der Erklärungsversuche.

In der Theorie der kortikalen Reorganisation geht man davon aus, dass die Bereiche des Kortex, welche aufgrund der Amputation eines Körperteils nicht mehr in Gebrauch sind, mit der Zeit wieder verwendet werden. Weitere afferente Projektionen, die aus intakten Bereichen des Organismus stammen, vereinnahmen diese Areale nach und nach.

Bildgebende Untersuchungen haben gezeigt, dass der Phantomschmerz häufiger auftritt, wenn dieser Reorganisationsprozess massiv ausgeprägt ist. Auf der Ebene des Rückenmarks kommt es nach der Ablösung einer Extremität zu einer Funktionseinschränkung der schmerzleitenden CFasern. Dies hat Einfluss auf das gesamte Erregungsmuster. Folglich werden Reize, die schmerzunabhängig sind, dennoch als Schmerz erkannt.

Zusätzlich kann nach einer Amputation die Ausschüttung von Schmerz-Transmittern gestört sein. Das Neurokinin „Substanz P” wird nun von mehr als nur den A-Delta- und C-Fasern abgegeben. Das System gerät aus dem Gleichgewicht und diverse Signale werden im Folgenden als Schmerz interpretiert.

Prävention Bereits vor der Amputation kann man die Entstehung von Phantomschmerzen beeinflussen, indem aktuelle Schmerzen adäquat behandelt werden. Auf diese Weise lassen sich die Schmerzempfindlichkeit und das Schmerzgedächtnis blockieren. Ebenso wichtig ist eine postoperative Behandlung.

Auch während der Operation gibt es eine Möglichkeit, das Auftreten des Phänomens zu beeinflussen: Lokalanästhetika können die Reizleitung an der durchtrennten Faser und die Weitergabe von Impulsen an zentrale Neuronen unterbrechen. Dadurch können Phantomschmerzen im Vorfeld verhindert oder wenigstens minimiert werden.

Medikamentöse Therapie Die Wahl des Arzneimittels hängt von der Art der Schmerzen ab. Opioide eignen sich zur Behandlung von Phantomschmerzen. Auch Antikonvulsiva wie Gabapentin oder Carbamazepin wirken insbesondere bei stechenden, plötzlich auftretenden Attacken. Bestehen dauerhaft Schmerzen, kann der behandelnde Arzt den Betroffenen trizyklische Antidepressiva verordnen.

Glossar A-Delta-Fasern Hierbei handelt es sich um schnell leitende Schmerzfasern. Sie sind für den einschießenden, ersten Schmerz verantwortlich, der nach kurzer Zeit wieder abnimmt. Die Impulse werden mit einer Geschwindigkeit von 20 Metern pro Sekunde weitergegeben.

Afferent/efferent Nervenfasern, die Informationen von der Peripherie zum Zentralnervensystem (ZNS) transportieren, werden als afferent bezeichnet. Efferente Fasern hingegen leiten Signale vom ZNS zur Peripherie.

C-Fasern Diese Schmerzfasern verursachen den länger anhaltenden, zweiten Schmerz. Er klingt nur langsam ab. Die Geschwindigkeit, mit der er weitergegeben wird, beträgt fünf Meter pro Sekunde.

Deafferenzierungsschmerz Diese Schmerzform entsteht, obwohl der Nerv, welcher das Signal überträgt, durchtrennt ist.

KortexDie äußere Gewebeschicht des Gehirns wird als Kortex bezeichnet. In der Regel geht es um den cerebralen Kortex (Großhirnrinde). Neurome Diese gutartigen Knotenausprägungen der Nerven bilden sich nach der Durchtrennung eines peripheren Nervs.

Substanz P Der Neurotransmitter gehört zur Gruppe der Neurokinine. Er spielt bei der Schmerzweiterleitung und als Entzündungsmediator eine Rolle.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 12/12 ab Seite 114.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin (FJS)

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