© Gunther von Hagens‘ KÖRPERWELTEN

Plastination

ÄSTHETISCHE LEICHEN

Sich zu verewigen, ist ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen. In allen Zivilisationen besteht der Wunsch, den eigenen Organismus und den von nahestehenden Personen vor Verwesung zu schützen oder den Prozess zumindest zu verlangsamen.

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Eine revolutionäre Idee – im Jahre 1977 erfand Prof. Dr. Gunther von Hagens die Plastination an der Universität in Heidelberg. Es handelt sich um ein Verfahren, bei dem ein toter Körper in ein festes, geruchsloses und dauerhaft haltbares anatomisches Präparat umgewandelt wird. Damit ist es erstmals möglich geworden, tote Organismen naturgetreu und auf ästhetische Weise für Lehre, Forschung und die allgemeine Aufklärung zu konservieren. Der Zweck seiner Präparate war von Beginn an ein wissenschaftlicher, nämlich die Ausbildung von Medizinstudenten.

Doch das Interesse von Seiten der Laien brachte ihn auf die Idee, die Demonstrationsobjekte öffentlich auszustellen. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Dr. Angelina Whalley, Ärztin und Kuratorin von „Körperwelten“, rief von Hagens die anatomische Sammlung ins Leben und ermöglicht Besuchern seitdem, ihren Wissensdurst über die Komplexität und Verletzlichkeit des menschlichen Lebens zu stillen sowie das unausweichliche Schicksal der Menschheit zu begreifen. Im Jahr 2010 erschufen Whalley und von Hagens schließlich die ersten „Körperwelten“ der Tiere.

Doch wer stellt sich zur Plastination zur Verfügung? Nur das Verfahren der Plastination ermöglicht auch interessierten Laien Einblicke in den menschlichen Körper, die bislang lediglich Ärzten vorbehalten waren. Im Heidelberger Institut für Plastination gibt es ein spezielles Körperspendeprogramm mit derzeit 19 416 registrierten Personen. Sie entscheiden sich zu Lebzeiten dafür, ihren Körper nach dem Ableben der Ausbildung von Ärzten und der Aufklärung von Laien zur Verfügung zu stellen. Viele Bereitwillige betonen, dass sie dadurch nach ihrem Tod anderen Menschen nutzen und somit einem guten Zweck dienen. Andere begeistern sich für das Verfahren der Plastination sowie für die öffentlichen Ausstellungen, möchten Angehörige von der Grabpflege befreien und Beerdigungskosten sparen, haben keine Angehörigen, scheuen sich vor der eigenen Verbrennung und dem Begräbnis oder möchten der Nachwelt einfach erhalten bleiben. Übrigens: Die Körperspende zur Plastination ist eine Willensbekundung, die jederzeit widerrufen werden kann.

Prozess der Konservierung Im Prinzip ist das Verfahren der Plastination nicht schwierig: Zunächst wird der Verwesungsprozess aufgehalten, indem man Formalin über die Arterien in den Körpers gibt. Die Substanz vernichtet sämtliche Bakterien und stoppt durch verschiedene chemische Prozesse den natürlichen Verfall. Die Präparatoren entfernen dann mit Schere, Skalpell und Pinzette die Haut sowie das Fett- und Bindegewebe und legen die einzelnen anatomischen Strukturen frei. Dann beginnt der eigentliche Plastinationsprozess, der aus zwei Schritten besteht: Im ersten Schritt wird das Gewebewasser durch Aceton ersetzt.

Im zweiten Schritt, auch forcierte Imprägnierung genannt, wird das im toten Körper befindliche Aceton durch den Sog eines Vakuums gegen Reaktionskunststoffe (beispielsweise Silikonkautschuk) ausgetauscht, die bis in die letzte Zelle des Präparats eindringen. Danach bringen die Präparatoren den plastinierten Körper in die gewünschte Position und stabilisieren ihn mit Nadeln, Klammern, Drähten und Schaumstoffblöcken. Zum Schluss wird das Demonstrationsobjekt je nach Art des enthaltenen Kunststoffs mit Licht, Gas oder Wärme gehärtet. Der gesamte Vorgang der Bearbeitung erfordert etwa 1500 Arbeitsstunden und ist in der Regel nach einem Jahr abgeschlossen.

Streben nach Wissen Echte Körper in lebensnahen Positionen machen die Ausstellung gleichzeitig faszinierend und umstritten. Eine Nichtraucherlunge im Vergleich zu einer schwarz verfärbten Raucherlunge zu betrachten, ist ein Einblick von vielen, den man durch die Präparate gewinnt. Für Laien stellen die Plastinate eine einmalige Möglichkeit dar, in den Körper, in dem man lebt, hineinzuschauen. Die Demonstrationsobjekte dienen somit der medizinischen Bildung, der Gesundheitsförderung sowie der Wissenschaft und werden stets in einer respektvollen Atmosphäre präsentiert.

Selbst ein Ethikberatungsausschuss, der sich aus Führungspersönlichkeiten verschiedener religiöser Gemeinschaften, Bioethikern und Ethikern zusammensetzte, bestätigte, dass die Ausstellung „Körperwelten“, die in Deutschland zurzeit in Lübeck und in Kassel zu sehen ist (s. S. 110), von erheblichem aufklärendem und bildendem Wert ist. Zu den Auswirkungen des Besuchs wurden unabhängige Umfragen durchgeführt. Die Besucher gaben beispielsweise an, aufgrund der Eindrücke mehr über den menschlichen Körper zu wissen, nachdenklicher in Bezug auf Leben und Sterben geworden zu sein, Hochachtung vor dem Wunder des Körpers entwickelt zu haben oder künftig gesünder leben zu wollen. Einige Personen berichteten selbst sechs Monate später, weniger zu rauchen, sich gesünder zu ernähren, mehr Sport zu treiben und körperbewusster zu leben.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/2020 ab Seite 70.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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