Mariniertes Stück Fleisch zwischen Essstäbchen.© DronG / iStock / Getty Images Plus
Über Verdauungsbeschwerden klagen viele adipöse Patienten.

Adipositas

DARMGESUNDHEIT VOR UND NACH DER MAGENOPERATION

Auch in der Behandlung von Adipositas haben Nahrungsmittelunverträglichkeiten und das Reizdarmsyndrom eine wichtige Bedeutung. Viele adipöse Patienten klagen bereits vor einer bariatrischen Operation über Verdauungsbeschwerden.

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Symptome wie Schmerzen, Flatulenzen, Obstipation oder Diarrhoe nach der Aufnahme bestimmter Lebensmittel können von den Betroffenen nicht immer sofort einer Lebensmittelgruppe zugeordnet werden. Den Patienten werden oftmals Begriffe genannt, die für ihn verwirrend sein können. Handelt es sich um ein Reizdarmsyndrom (RDS), eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED), eine Nahrungsmittelallergie oder eine Nahrungsmittelunverträglichkeit?

Für jeden dieser Begriffe gibt es verschiedene und eindeutige Definitionen und Behandlungsmaßnahmen. So wird beispielsweise das Reizdarmsyndrom in den S3-Leitlinien für Reizdarmsyndrom hinsichtlich des Beschwerdebilds genau definiert. Man findet zum Beispiel niemals Blut im Stuhl, was wiederum ein Kriterium für eine chronisch-entzündliche Darmerkrankungen ist.

Bei einer Nahrungsmittelallergie handelt es sich um die Abwehrreaktion gegen ein fremdes Eiweiß, dabei kann es sich beispielsweise um ein Milcheiweiß oder Weizeneiweiß handeln. Die konkrete Diagnostik und die sich anschließende Behandlung können sehr komplex sein. Eine Ernährungsberatung kann dabei viel Unterstützung bieten.

Bedeutung des Darmmikrobioms

Das Darmmikrobiom, früher auch gerne als Darmflora bezeichnet, beschreibt die Gesamtheit aller Mikroorganismen im Darm, also Bakterien, Archebakterien, Pilze, Viren und Bakteriophagen. Es erfüllt wichtige Aufgaben in folgenden Bereichen:

  • Nahrungsverwertung,
  • Vitaminproduktion,
  • Immunabwehr,
  • Neutralisierung von Giftstoffen und
  • Aktivierung von Arzneistoffen. 

Eine hohe Diversität des Darmmikrobioms zeigt im Allgemeinen eine gesunde Darmbesiedlung an. Diversität bedeutet Vielfältigkeit. Die Abnahme der Diversität ist wiederum Ausdruck einer Fehlbesiedlung. Dies wird Dysbiose genannt. Immer mehr Untersuchungen zeigen, dass bei adipösen Menschen die Besiedlung des Darms gestört ist. Das Darmmikrobiom kann beispielsweise durch übermäßigen Alkoholkonsum, Medikamente wie Antibiotika, aber auch durch eine Fehlernährung gestört werden.

Die Frage ist, ob eine Fehlbesiedlung Übergewicht fördert oder umgekehrt. Über die Fehlernährung im Zusammenhang mit Adipositas soll im Folgenden konkreter berichtet werden: Typische Darmbakterien sind beispielsweise Milchsäurebakterien (Lactobazillen), Bifidobakterien und verschiedene Eubakterien. Bakterien werden verschiedenen Bakterienstämmen zugeordnet und jeder Mensch hat von einigen Bakterien mehr im Darm und von anderen weniger.

Das ist individuell verschieden und wird beispielsweise durch die Ernährung beeinflusst. Untersuchungen des Mikrobioms von Normalgewichtigen und Übergewichtigen beziehungsweise Adipösen zeigen, dass zwei dominante Bakterienstämme, die Bacteroidetes und die Bacillota oder Firmicutes, mit jeweils vielen Arten unterschiedlich häufig vorkommen.

Das Mikrobiom kann das Körpergewicht und das Auftreten von Erkrankungen beeinflussen. Bei adipösen Menschen trägt offenbar ein hohes Auftreten der Firmicutes-Bakterienstämme zur Gewichtszunahme bei. Die Ernährung beeinflusst aber ihrerseits das Darmmikrobiom und deren Diversität.

Einfluss der Ernährung auf das Darmmikrobiom

Einen positiven Einfluss haben:
• Ballaststoffe
• sekundäre Pflanzenstoffe
• Omega-3-Fettsäuren
• Probiotika (Probiotische Lebensmittel wie fermentiertes Gemüse, gesäuerte Milchprodukte, Kimchi, Tempeh, u.a.)

Einen negativen Einfluss haben:
• zu viele gesättigte Fettsäuren
• zu hohe Eiweißaufnahme
• zu viel Zucker (Fruchtzucker)

Firmicutes-Stämme erhöht

Menschen, die sich einseitig ernähren und überwiegend Lebensmittel tierischen Ursprungs wählen, Fertiggerichte präferieren, kaum Gemüse mit ihren sekundären Pflanzenstoffen sowie Ballaststoffen verzehren und sich dazu wenig bewegen, entwickeln besonders viele Firmicutes-Bakterienstämme. Diese Bakterienstämme sind dann auch bei Adipositaspatienten häufiger zu beobachten.

Zeitgleich sind die Bifidobakterien und die gesamte Diversität reduziert. Problematisch können auch Zuckeraustauschstoffe und Süßungsmittel, die sich zum Beispiel in süßen zuckerfreien Getränken befinden, sein. Süßstoffe wie Acesulfam-K wird in vielen zuckerfreien, aber süßen Lebensmitteln und Getränken eingesetzt. Acesulfam-K wird großenteils unverändert über den Dickdarm ausgeschieden und passiert dabei das Darmmikrobiom.

Bei vielen adipösen Menschen ist gerade vor einer bariatrischen Operation eine geringe artenreiche Zusammensetzung des Darmmikrobioms durch Fehlernährung zu beobachten. Nach der Operation verändert sich das Darmmikrobiom sehr stark. In einem Review von Ciobarca, et. al. aus dem Jahr 2020 wird dargestellt, dass sich das Darmmikrobiom sehr stark verändert und die Anzahl der Bakterienstämme Firmicutes und Bacteroidetes verringert wird. 

Inwiefern und in welchem Ausmaß diese Veränderung stattfindet, muss aber noch diskutiert werden und weiterer Forschungsbedarf ist notwendig. Studien zeigen jedenfalls eine erhöhte Mikrobiomvielfalt nach der Magenverkleinerung mittels Roux-Y-Bypass-Operation. Diese Verbesserung kann nicht allein auf die Operation selbst zurückgeführt werden, es wird vermutet, dass auch Mechanismen wie die Reduktion der Entzündungswerte, der Gewichtsverlust und die veränderte Nahrungsaufnahme nach der Operation eine Rolle spielen.

Eine wichtige Frage nach einer bariatrischen Operation ist auch: Was passiert, wenn die Menschen nach Operationen keine Ernährungsumstellung durchführen und Lebensmittel sowie Verhaltensweisen umsetzen, die bereits vor der bariatrischen Operation zu Darmbeschwerden und zu einem ungünstigen Darmmikrobiom geführt haben?

Das folgende Patientenbeispiel soll zeigen, welche Bedeutung das Essverhalten für die Darmgesundheit nach einer bariatrischen Operation hat. Die Darmsensibilität kann nach bariatrischen Operationen nämlich bedeutend höher sein als vor der OP.

Ein Fallbeispiel

Frau Steiner* ist 57 Jahre alt, bei ihr wurde im Januar 2013 ein Bypass-Y-Roux gelegt. Vor der Operation startete sie mit einem Körpergewicht von 120 Kilogramm. Das niedrigste Körpergewicht erreichte sie im Sommer 2014 mit 75 Kilogramm. Im März 2023 wog sie 87 Kilogramm. Aufgrund eines Vitaminmangels begann sie vor mehreren Wochen wieder an einer Ernährungsberatung teilzunehmen.

Dann solle sie sich außerdem nach ihrer zehnjährigen Jahreskontrolle doch endlich mal mit ihren Darmproblemen beschäftigen, hieß es. Aufgrund von Darmschwierigkeiten ist ihr Alltag stark eingeschränkt und sie muss sich den Problemen im Alltag unterordnen. Frau Steiner ist Frührentnerin. Sie klagt über durchgängige Blähungen und abwechselnd über Obstipation oder Diarrhoe.

2019 wurden bei ihr eine Lactoseintoleranz und Fructosemalabsorption diagnostiziert. Kurz nach der Operation beschrieb Frau Steiner, dass sie Dumping-Symptome beim Verzehr von kohlenhydratreichen Lebensmitteln erlebt hatte und dies in Form von Kreislaufproblemen wahrgenommen hatte. Mittlerweile verzehrt sie zuckerhaltige Lebensmittel und die Kreislaufprobleme bleiben aus.

Frau Steiner hatte immer ein sehr stressreiches und belastendes Leben. Bereits vor der Operation fehlte ihr eine Mahlzeitenstruktur, Essen erfolgte nebenbei und überwiegend wurde abends unkontrolliert sowie hochkalorisch gegessen. Auch nach der Operation hat sie nie eine strukturierte Mahlzeitenplanung entwickelt und weiterhin war der Stresspegel hoch. Das Ernährungsprotokoll zeigte zum Jahresbeginn 2023 ein häufiges Naschen zwischendurch.

Die Ernährungsprotokollanalyse zeigt eine Kalorienbilanz um die 1000 Kilokalorien (kcal). Die geringe Zufuhr stellt viele operierte Patienten zehn Jahre nach der Operation sehr zufrieden. Die Eiweißzufuhr ist mit etwa 55 Gramm (g) zu niedrig, obwohl Frau Steiner durchaus versucht Eiweiß als Schwerpunkt zu wählen. Sie konsumiert jedoch bei der niedrigen Energiezufuhr deutlich mehr Zucker als es ihrem Tagesbedarf entspricht.

Über 20 Prozent der Gesamtenergie stammen aus Zucker und außerdem macht sie zu wenig Esspausen am Tag. Dieser Zucker, die Süßstoffe aus den Getränken und der zu hohe Anteil an gesättigten Fetten verändern das Darmmikrobiom negativ. Dazu kommt, dass Gemüse komplett in ihrem Speiseplan fehlt. Die Protokollauswertung hat sechs Gramm (g) Ballaststoffe ergeben, wobei ein Tagesbedarf von 30g bei einer erwachsenen Person angestrebt werden sollen.

Durch entsprechende Ernährungsumstellung und das Entwickeln von Mahlzeiten mit einem Eiweißbaustein, einer Gemüsekomponente, guten Fetten und wenig Zucker werden sich ihre Darmbeschwerden verringern. Darüber hinaus können weitere Ernährungsempfehlungen für einen gesunden Darm entwickelt werden. Sie könnte beispielsweise probiotische Lebensmittel wie einen gesäuerten Joghurt oder fermentiertes Gemüse einbauen. Auch ein stichfester naturbelassener Joghurt ist für das Darmmikrobiom eine gute Wahl.

Das Beispiel von Frau Steiner zeigt, wie wichtig eine Ernährungsumstellung auch nach einer bariatrischen Operation ist, gerade wenn der Darm sensibler geworden ist. Bariatrische Operationen haben einen positiven Einfluss auf den Fett- und Glucosestoffwechsel.

Sie tragen zur Remission von Diabetes Typ II und Gewichtsreduktion sowie Veränderungen des Darmmikrobioms bei. Auf Dauer entscheiden aber auch nach Operation eine veränderte Ernährungsauswahl und ein veränderter Lebensstil über das Gewicht und die Darmgesundheit.

*Name geändert

Unsere Autorin Sabrina Thaden ist Ernährungstherapeutin. Mehr zu ihrer Person und ihrem fachlichen Hintergrund finden Sie unter www.nutrition-master.de

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