Eine Frau, die sich krümmt und an den Bauch fasst.© sopradit / iStock / Getty Images Plus
Probleme beim Stuhlgang, Bauchschmerzen und Blähungen können auf einen Reizdarm hinweisen.

S3-Leitlinie

RICHTIG BERATEN BEI REIZDARM

Im Juni erschien die überarbeitete S3-Leitlinie zum Reizdarmsyndrom. Sie klärt, woran die Therapie sich orientiert, auf welche Wirkstoffe sich die Experten einigen konnten (auch in der Selbstmedikation) und wie lange Betroffene die jeweiligen Präparate einnehmen soll.

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Die Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und die Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) erarbeitete gemeinsam mit 16 weiteren Fachgesellschaften die neue S3-Leitlinie "Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms". 30 Experten prüften Studien und Evidenzen und einigten sich auf einen Konsens, welche Diagnoseverfahren und Therapien bei Reizdarm am besten geeignet sind.

Das Thema ist durchaus relevant. Einer der Leitlinienautoren, Gastroenterologe Professor Dr. Ahmed Madisch, berichet: „Diese funktionellen Magen-Darm-Störungen sind in Deutschland überaus häufig – wir gehen von bis zu 10 Prozent der Bevölkerung aus.“ Nur ein Viertel der Betroffenen erhielte die korrekte Diagnose und eine Behandlung. Madisch erklärt, warum es wichtig ist, das Reizdarmsyndrom gut zu behandeln:

„Die Patienten haben zwar keine verkürzte Lebenserwartung, sind durch die Symptome aber mitunter stark in ihrer Lebensqualität eingeschränkt.“

Auch, wenn Stress und eine gestörte Darm-Hirn-Achse die Beschwerden verschlimmern können, entstehe Reizdarm nicht im Kopf, stellt der Gastroenterologe klar. Das sei auch für die Betroffenen wichtig zu wissen. Außerdem sollte ihnen klar sein, dass nicht alle Symptome verschwinden werden oder dass sie immer wieder auftauchen können. Es gehe um realistische Behandlungsziele.

Die Therapie soll sich an den vier Hauptsymptomen des Reizdarmsyndroms richten:

  • Durchfall

  • Verstopfung

  • Blähungen

  • Bauchschmerzen

Die S3-Leitlinie empfiehlt je nach Symptom verschiedene Arzneimittel. Um zu unterscheiden, welche Präparate bevorzugt zum Einsatz kommen sollen, unterscheidet die Leitlinie drei Empfehlungsgrade: Grad A, die starke Empfehlung, soll verordnet werden. Grad B, die Empfehlung, sollte verordnet werden. Bei Grad 0 steht die Empfehlung offen,

das Mittel kann empfohlen werden. Hier die symptomgebundenen Empfehlungen im Einzelnen:

Durchfall

  • Grad B: Loperamid, Colestyramin, Eluxadolin, 5-HT3-Antagonisten (z.B. Ondansetron)
  • Grad 0: lösliche Ballaststoffe, Colesevelam
  • Keine Empfehlung: Racecadotril

Verstopfung

  • Grad A: Macrogole
  • Grad B: (lösliche) Ballaststoffe, Laxanzien (osmotisch oder stimulierend), Prucaloprid, Linaclotid, Lubiproston
  • Grad 0: Plecanatid

Schmerzen/Krämpfe

  • Grad A: Spasmolytika, Pfefferminzöl
  • Grad B: Amitriptylin, Linaclotid, 5-HT3-Antagonisten
  • Grad 0: Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Duloxetin
  • Keine Empfehlung: Analgetika wie Paracetamol und NSAR, Opioide, µ-Opioid-Agonisten, Pregabalin

Blähungen/Flatulenz

  • Grad A: Pfefferminzöl
  • Grad B: Linaclotid
  • Keine Empfehlung: Simethicon, Dimethicon

Was sagt die Leitlinie zu Prä- und Probiotika?

Zu Bakterienkulturen fiel es den Leitlinienautoren schwer, einen Konsens zu finden. Deshalb heißt es in der Leitlinie:

„Die aktuelle Literatur zeigt, dass Probiotika in der Therapie des RDS nicht generell als wirksam oder unwirksam eingestuft werden können. Vielmehr muss differenziert werden, für welche probiotischen Spezies beziehungsweise Stämme bei welcher Patientengruppe Wirksamkeit in kontrollierten Studien nachgewiesen werden konnte.“

Obwohl systematische Übersichten und Einzelstudien sich stark unterscheiden, heißt es weiter, hätten sie gezeigt, dass Probiotika sowohl Einzelsymptome als auch die Lebensqualität von Reizdarmpatienten bessern können. Die Leitlinie enthält auch eine Übersicht über Studien zu einzelnen Bakterienstämmen und Kombinationspräparaten. Präbiotika werden hingegen nicht empfohlen.

Bewertung mikrobiologischer Behandlungen (exemplarische Auswahl)
Ausschließlich positive Bewertung in Studien, empfohlen:
Bifidobacterium bifidum MIMBb75, Bifidobacterium animalis DN173010, Lactobacillus acidophilus NCFM, Lactobacillus gasseri CP2305, Bacillus coagulans MTCC 5856, Escherichia coli DSM 17252, Saccharomyces cerevisiae boulardii
Überwiegend positive Bewertung in Studien, empfohlen: Bifidobacterium infantis 35624, Bifidobacterium longum NCC3001, Lactobacillus plantarum 299v (DSM 9843), Lactobacillus brevis KB 290, Lactobacillus reuteri (DSM 17938), Lactobacillus casei Shirota, Multispezies-/Kombinationspräparate
Nicht empfohlen: Präbiotika, Stuhltransplantation

Einnahmedauer

Phytopharmaka und Probiotika sollen Betroffene acht bis zwölf Wochen lang einnehmen. Eine längere Einnahme ist laut Madisch auch möglich, wenn der Betroffene gut auf das Präparat anspricht. Allerdings solle er irgendwann versuchen, es abzusetzen.

Auf diese Einnahmedauer sollen auch PTA und Apotheker ihre Kunden hinweisen, wenn die Diagnose Reizdarmsyndrom steht. Madisch rät jedoch für Kunden mit Symptomen, aber ohne Diagnose, nur ein bis zwei Wochen lang zur Selbstmedikation zu greifen: „Halten die Symptome dann noch an, sollte der Betroffene zum Arzt – auch um eine bösartige Erkrankung auszuschließen.“

Quellen:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/phytotherapie-nicht-zu-kurz-anwenden-127270/seite/alle/
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/021-016l_S3_Definition-Pathophysiologie-Diagnostik-Therapie-Reizdarmsyndroms_2021-07.pdf

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