© Comstock / Stockbyte / Thinkstock

Deutscher Apothekertag

ABDA IN BESTER KAMPFLAUNE

Bei der Pressekonferenz am Vortag des Deutschen Apothekertags im September in Düsseldorf wurde klar, was alle ahnten: Die Stimmung der deutschen Apotheker ist laut dem von der ABDA erhobenen Klima-Index betrübter denn je.

Seite 1/1 5 Minuten

Seite 1/1 5 Minuten

Verantwortlich für die missgelaunten Apotheker ist natürlich das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Rx-Versand am 19. Oktober 2016. Die gute Nachricht: Das scheint den Kampfesmut der Standespolitiker erst richtig angefacht zu haben. Zur Erinnerung: Auf der Grundlage dieses Richterspruchs haben ausländische Versender die Möglichkeit, auf verschreibungspflichtige Arzneimittel (Rx) Rabatte zu gewähren. Aus Sicht der deutschen Apotheker stellt diese Erlaubnis, die nicht für deutsche Versandapotheken gilt, eine Art Inländerdiskriminierung dar. Gleichzeitig befürchten die Standespolitiker, dass diese Art des Versandes zu einem massiven Apothekensterben in Deutschland führen könnte. Die von der ABDA seither erhobene Forderung nach einem Rx-Versandhandelsverbot ist also keine Bagatelle, sondern ein Kampf ums Überleben der Versorgungsstruktur durch die deutschen Präsenzapotheken und deren Mitarbeiter. Vereinfacht ausgedrückt: Die ABDA kämpft mehr oder weniger um die Zukunft des deutschen Apothekenwesens.

Nur eine Option für Gerechtigkeit Die Eröffnungsrede wurde vom Chef des Deutschen Apothekerverbandes, Fritz Becker, gehalten. Selbstverständlich übte der spitzzüngige Becker scharfe Kritik am EuGH-Urteil und bestand auf einem Rx-Versandverbot: „Wenn der Europäische Gerichtshof entscheidet, dass die Arzneimittelpreisverordnung, an die sich alle deutschen Apotheken – ob stationär oder online – halten müssen, für ausländische Versandapotheken nicht gilt, dann gibt es nur einen einzigen Weg, um die Gleichpreisigkeit bei Rx wiederherzustellen: ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.“ Lobende Worte fand Becker für die Gesundheitspolitiker von Union und SPD, die sich darauf geeinigt hatten, die Ausschreibungspraxis bei Impfstoffen abzuschaffen. Allerdings sollten seiner Ansicht nach die Apotheker „stärker bei der Bestimmung des Impfstatus und der Aufklärung eingebunden werden.“ Ebenfalls als Erfolg der Lobbyarbeit wertete Becker die Abschaffung von Exklusivverträgen mit einzelnen Apotheken im Bereich der Zytostatika. Aus seiner Perspektive ist auch die Erhöhung der Rezeptgebühr bei der Dokumentationsgebühr für Betäubungsmittel und T-Rezepte ein Erfolg. Unzufrieden war der Verbandschef dagegen im Hinblick auf die Abgabe von Cannabis. Hierfür forderte er eine „leistungsgerechte Vergütung“. Eine weitere Forderung bezog sich auf das Fixhonorar: Hier könne nur ein „verlässlicher Anpassungsmechanismus“ für langfristige Planbarkeit sorgen.

Die Forderung nach einem Rx-Versandhandelsverbot ist keine Bagatelle, sondern ein Kampf ums Überleben der Versorgungsstruktur der deutschen Präsenzapotheken.

Lob und Forderungen an die Adresse der Politik Da es angesichts der demografischen Entwicklung einen wachsenden Bedarf „an Angeboten der Prävention“ sowie der „Therapiebegleitung“ gibt, ist es für Becker zwingend notwendig, dass Apotheker mit den Krankenkassen „auch Verträge über pharmazeutische Dienstleistungen schließen“ sollten. Mit einer gewissen Befriedigung erinnerte der Standespolitiker daran, dass DocMorris‘ Versuche, „über Arzneimittelautomaten in die Versorgung vor Ort vorzudringen,“ gerichtlich abgewehrt wurden. Zu Recht verärgert zeigte sich Becker beim Thema Lieferengpässe. So kritisierte er, dass „auch unverzichtbare Arzneimittel wie Impfstoffe, Antibiotika oder Krebsmedikamente“ teilweise monatelang nicht beziehbar waren. Beim Entlassmanagement aus dem Krankenhaus begrüßte Becker, dass der Patient nun nicht mehr erst einen niedergelassenen Arzt aufsuchen muss, um die Anschlussmedikation zu erhalten, sondern das im Krankenhaus ausgestellte Rezept einlösen kann.

Gesundheitsminister Gröhe punktete Die Grußworte von Vertretern des Großhandelsverbandes Phagro, vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) und dem Verband der forschenden Industrie gingen alle solidarisch in eine Richtung und hoben die Bedeutung der wohnortnahen Präsenzapotheke hervor. Mit Beifall aufgenommen wurde auch die Rede von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der sich engagiert für ein Verbot des Rx-Versands einsetzt. Im Hinblick auf die SPD, die ihm in dieser Sache nicht folgt, wurde der Minister leicht polemisch: „Ich hätte niemals gedacht, dass ich den Sozis noch einmal erklären muss, dass Preiswettkampf in der Versorgung nicht geht und dass das Sachleistungsprinzip und die Schnäppchenjagd nicht a a zusammenpassen.“ Außerdem kritisierte er, dass sich Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel einst für 15 000 Beschäftigte bei Kaisers Tengelmann eingesetzt hatte, diese Unterstützung „beim Rx-Versandverbot allerdings für die 150 000 Apothekenbeschäftigten“ nicht für nötig hielt.

Höhepunkt: die Rede des Präsidenten ABDA-Präsident Friedemann Schmidt wird auch von Kritikern immer wieder bescheinigt, dass er ein exzellenter Redner ist. Genau diesen Ruf hat er beim Apothekertag erneut bestätigt. Während Becker sich konzentriert an tagespolitisch relevanten Stichpunkten abarbeitete, gelang es Schmidt, seine Gedankenführung teilweise in einer philosophisch anmutenden Meta-Ebene anzusiedeln. Selbstverständlich bedeutete dies nicht, dass er auf konkrete Kritikpunkte verzichtete. So beispielsweise in Bezug auf das aktuell eher ungenügend umgesetzte Projekt des Medikationsplans, bei dem die Apotheker nicht die Rolle spielen, die ihnen inhaltlich eigentlich zusteht. Schmidts nüchternes Zwischenergebnis: „Der Medikationsplan wird nicht zum Erfolg, solange die Apotheken nicht als seine Fürsprecher voll an Bord sind.“ Selbstverständlich monierte der Standespolitiker auch die untragbaren Lieferengpässe.

Auch wenn im Hintergrund das Rx-Versandthema waberte, verhandelte Schmidt die Problematik in einem auf Grundsätzliches erweiterten Kontext: „Die Interaktion von Patient und Arzneimittel ist immer ein risikobehafteter Prozess, und es gibt einfach keine vernünftige Alternative zur persönlichen Begegnung. Nur so kann ich feststellen, ob eine Patientin oder ein Patient seine Arzneimitteltherapie verstanden und akzeptiert hat und deshalb in der Lage sein wird, sie eigenverantwortlich durchzuführen, oder ob er dazu weiterer unterstützender Maßnahmen bedarf.“ Gerade aus Gründen dieser – nennen wir es – Compliance-Logik kann man deswegen „die Belieferung im Versandweg als Ausnahme von der Regel in geringem Umfang im Rahmen einer hochabstrakten Risikoabwägung“ hinnehmen. Unmissverständlich kritisiert Schmidt deshalb auch den Europäischen Gerichtshof und konstatiert vor dem Hintergrund des Rx-Versandhandels aus dem Ausland, dass das Gericht „die Förderung des Marktzugangs für europäische Kapitalgesellschaften“ über „die Sicherstellungsinteressen des deutschen Gesetzgebers“ stellt.

Auch die allseits beschworene Digitalisierung wurde von Schmidt von einer erhöhten Warte aus betrachtet: „Der Begriff Digitalisierung ist leider von der Beschreibung eines technischen Vorganges zu einer metapolitischen Glaubensüberzeugung geworden.“ Als prototypischen Vertreter dieser metapolitischen Ebene sieht Schmidt offenbar Christian Lindner von der FDP, dessen Konterfei während des Wahlkampfs auf einem der vielen Plakate mit dem Blick auf das Smartphone abgebildet war. Unter diesem Bild war dann der markige Spruch zu lesen: „ Digital first – Bedenken second“. En passant wies der Präsident auf „schmerzhafte Kühnheit im Umgang mit der deutschen Sprache“ hin, bevor er den wahren Gedankengang dieser Parole entlarvend auf den Punkt brachte und meinte: „Digital first – Nachdenken second“ wäre „ehrlicher“ gewesen. Für Friedemann Schmidt kann digitalisierte Telepharmazie dagegen lediglich „im Ausnahmefall eine ganz nützliche Ergänzung der persönlichen Versorgung bieten.“ Abschließend wies der ABDA-Präsident darauf hin, dass die Menschen das Gefühl haben müssten, gerade mit ihren Krankheiten und Sorgen nicht alleine gelassen zu werden. „Das können keine Chatbots, das können keine Avatare, das können nur Menschen, das können nur wir.“ Die Rede wurde mit tosendem Applaus belohnt. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/17 ab Seite 70.

Ein Meinungsbeitrag von Claus Ritzi, Pharmajournalist (wdv)

×