Mistelzweige © marilyna / iStock / Getty Images Plus
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Botanicals

ZAUBERHAFTES GEWÄCHS

Mistelzweige sind ein beliebter Weihnachtsschmuck, denn sie gelten als Glücksbringer. Vor allem Paaren, die sich unter einem Mistelzweig küssen, sollen sie lebenslanges Liebesglück bescheren.

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Besonders im Winter werden die kugeligen Büsche der weißbeerigen Mistel (Viscum album), die wie kleine rundliche Nester aussehen, in den kahlen Bäumen sichtbar. Der immergrüne Halbschmarotzer aus der Familie der Leinblattgewächse (Santalaceae) ist schon von Ferne in den Baumkronen gut zu erkennen und löst immer wieder eine Faszination aus. Misteln wachsen in Europa, Asien und Nordafrika auf Ästen weichholziger Laubbäume und auf Nadelhölzern. In unseren Breiten gibt es drei Unterarten, die sich zwar äußerlich kaum unterscheiden, aber immer nur auf bestimmten Wirtsbäumen gedeihen: Die Laubholzmistel (Viscum album ssp. album), die Kiefernmistel (Viscum album ssp. austriacum) und die Tannenmistel (Viscum album ssp. abietis). Mit speziellen Saugwurzeln dringt die Mistel in das Holz ihres Wirtsbaumes ein und zapft seine Leitungsbahnen an, aus denen sie sich mit Wasser und darin gelösten Mineralsalzen versorgt, ohne dem Baum in der Regel einen dauerhaften Schaden zuzufügen.

Klebriger Vogelleim Misteln sind zweihäusig (diözisch), das heißt es gibt rein weibliche und rein männliche Pflanzen. Ihre Blütezeit erstreckt sich von Februar bis in den Mai hinein. Die unscheinbaren gelbgrünen Blüten stehen endständig zu dritt oder fünft dicht gedrängt in Trugdolden. Aus ihnen reifen im Spätherbst die weißen Beeren (Scheinbeeren) heran, auf die der Artname alblum = weiß Bezug nimmt. Sie stehen den Vögeln als wertvolles Futter den ganzen Winter über zur Verfügung. Gleichzeitig sorgen die Früchte der Mistel für die Verbreitung der Pflanze.

Da das Fruchtfleisch der Beeren sehr klebrig ist, bleibt ein Teil davon samt der Samen am Vogelschnabel haften und wird anschließend beim Wetzen des Schnabels auf Zweigen oder Ästen des künftigen Wirtsbaums verteilt. Zudem sind die Samen von einer unverdaulichen Schale umhüllt, sodass sie mit dem Vogelkot wieder ausgeschieden werden und auf den Bäumen festkleben. Dieser Vogelleim hat der Pflanze auch ihren Gattungsnamen gegeben, der lateinisch viscum = Leim bedeutet. Der deutsche Name Mistel rührt ebenso vom Vogelmist her und leitet vom althochdeutschen Wort mistil ab, das für Mist steht.

Immergrüne Kugel Die Pflanze entwickelt sich sehr langsam. Zunächst bildet sich im ersten Jahr aus dem Samen eine Haftscheibe, mit der die Mistel Halt an ihrer Wirtspflanze findet. Aus dieser treibt ein Senker aus, der anschließend in den Ast eindringt. Erst im nächsten Frühjahr entfalten sich die Keimblätter, aus denen sich das erste Laubblattpaar bildet. An der Stängelgabelung wächst pro Jahr etagenweise eine paarige Verzweigung, also ein neuer Stängel mit einem neuen Blattpaar und einem Blütenstand. Bis die Mistel ihre kugelige Form erhält, vergehen viele Jahre. Misteln können etwa 30 Jahre alt werden und einen Durchmesser von bis zu einem Meter erreichen. Die immergrünen Gebilde mit ihren grünbraunen Zweigen, auf denen die eiförmigen, ganzrandigen ledrigen Blätter sitzen, sind sehr empfindlich und brechen leicht in den Gelenken.

Mistelkraut enthält neben den Lectinen (Glykoproteine) giftige Viscotoxine (Oligopeptide) sowie Flavonoide, Lignane, Kaffeesäurederivate und Phytosterole.

Himmlische Kräfte Schon unsere Vorfahren waren von der Mistel fasziniert und sprachen ihr Zauberkräfte zu, worauf auch ihre volkstümlichen Synonyme Hexenkraut oder Hexenbesen verweisen. Sie hängten die Zweige an ihre Häuser, um sie vor Feuer zu schützen und vor bösen Geistern zu bewahren. Im keltischen Druidenkult galt die außergewöhnliche Pflanze als heilig, da man überzeugt war, dass sie vom Himmel käme. Am sechsten Tag des Mondes, der bei den Kelten den Monatsanfang bildete, kletterte ein keltischer Priester in weißen Gewändern gekleidet in die Bäume, um die Mistel mit einem goldenen Messer feierlich abzuschneiden - so beschreibt es Plinius d. Ä. in seinem Werk „Naturkunde“.

Den Druiden diente die Mistel als Zauberpflanze mit übernatürlichen Kräften und als Heilpflanze gegen Fallsucht und Schwindelanfälle. Auch Plinius schätzte ihren Einsatz bei Milzsucht, Epilepsie und Schwindel. Im Mittelalter wurden diese Anwendungsgebiete in die Kräuterbücher übernommen und durch weitere Indikationen ergänzt. So war sie ein Mittel bei Lebererkrankungen, gegen Geschwüre und eitrige Wunden oder wurde bei Gicht und Brustbeschwerden empfohlen.

Traditionelle AnwendungSpäter erlangte die Mistel bei Erkrankungen des Kreislaufsystems Bedeutung und noch heute wendet die Volksheilkunde Mistelkraut zur Unterstützung der Herz-Kreislauffunktion, vor allem bei milden Formen der Hypertonie, an. Mistelkraut ist als Kombinationspartner in diversen Teepräparaten und traditionell in Arznei- oder Nahrungsergänzungsmitteln gegen Altersbeschwerden wie beispielsweise Gefäßverkalkung, Bluthochdruck und Schwindel enthalten, häufig mit Weißdorn und Knoblauch kombiniert. Das HMPC hat Mistelkraut allerdings weder „medizinisch allgemein anerkannt“ („well-established-use“) noch als „Traditionelles Arzneimittel“ eingestuft. Ebenso hat die Kommission E die traditionellen Indikationen nicht in ihre Monographie aufgenommen, da allgemein anerkannte wissenschaftliche Belege fehlen.

Zugelassene Arzneimittel Die Experten sprechen sich hingegen für eine parenterale Applikation von Mistelkraut bei der Behandlung degenerativ-entzündlicher Gelenkerkrankungen aufgrund lokal reizauslösender Wirkungen aus. Mistelkraut wurde deshalb zur Segmenttherapie bei degenerativ entzündlichen Erkrankungen durch Auslösung cuti-viszeraler Reflexe nach Setzen lokaler Entzündungen durch intrakutane Injektionen positiv monographiert. Zudem werden Parenteralia zur adjuvanten Therapie bei Tumorpatienten im Sinne einer unspezifischen Reiztherapie als Indikation aufgeführt. Die Behandlung erfolgt im Rahmen der allopatischen Phytotherapie mit Arzneimitteln, die einen standardisierten Mistellectin-Gehalt aufweisen.

Die für die Lectine postulierten immunstimulierenden und krebsbekämpfenden Eigenschaften konnten sich zwar in klinischen Studien nicht in dem erhofften Ausmaß bestätigen lassen. Da sich aber eine Verbesserung der Lebensqualität, des Appetits, der Stimmungslage und des Allgemeinzustandes erzielen ließ, wurden Mistelpräparate zur Palliativtherapie zugelassen. Neben phytotherapeutischen Extraktpräparaten haben zudem anthroposophische Präparate als Injektionslösungen zur Krebs- behandlung eine Zulassung erhalten, wobei ihre Wirkung aus naturwissenschaftlich-medizinischer Sicht nicht zweifelsfrei anerkannt wird.

Da der Lectingehalt abhängig vom Wirtsbaum stark schwankt, differenziert die anthroposophische Medizin ihre Präparate nach den verschiedenen Wirtsbäumen (z. B. Iscador® M (Malus = Apfelbaum), Iscador® P (Pinus = Kiefer), Iscador® U c. Hg (Ulmus = Ulme), Iscador® Qu (Quercus = Eiche). Die Präparate sollen vor allem die Lebensqualität verbessern, Nebenwirkungen der Chemo- und Strahlentherapie reduzieren sowie immunstimulierende und zytostatische Wirkungen aufweisen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/2020 ab Seite 70.

Gode Chlond, Apothekerin

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