© Die PTA in der Apotheke
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Hyperakusis

VERSTÄRKER IM OHR

Wenn Alltagsgeräusche zur Qual werden, kann eine Überempfindlichkeit des Hörsinnes vorliegen. Hörbares wird schon bei geringer Intensität als zu laut und deshalb unerträglich wahrgenommen.

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Auf welche Signale Betroffene reagieren, ist sehr individuell. Lauter Schall ruft unter Umständen reflexartige Reaktionen wie ein Zusammenschrecken, Unruhe, Schwitzen oder eine Beeinflussung des Blutdrucks hervor. Ziehen sich die Patienten aufgrund der Erkrankung aus dem sozialen Leben zurück, um den Belastungen zu entgehen, wird ihr Gehör noch sensibler. Nicht verwechselt werden darf die Hyperakusis vom Namen her mit der Hypakusis, der Schwerhörigkeit.

Anatomie Das Ohr ist nicht nur unser Hörorgan, sondern es befähigt durch die Kontrolle über das Gleichgewicht zur Orientierung im Raum. Es setzt sich aus dem Außen-, dem Mittel- und dem Innenohr zusammen: Ersteres besteht aus der Ohrmuschel und reicht bis zum Trommelfell. Hier beginnt das Mittelohr mit den drei Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel. Diese leiten Schallwellen, die auf das Trommelfell treffen, an das Innenohr weiter, welches aus dem Gleichgewichtsorgan und dem Hörorgan (Kochlea) besteht.

Reize wandern grundsätzlich über Fasern des Hörnervs in das verlängerte Rückenmark (Medulla oblongata) und gelangen von dort aus über verschiedene Stationen in die Hörrinden des Gehirns, wo die Signale verarbeitet werden. In der sekundären Hörrinde ist das Wernicke-Zentrum lokalisiert, wo entscheidende Prozesse für das Sprachverständnis stattfinden.

Alles ist zu laut Auslöser der Hyperakusis ist eine Störung bei der zentralen Verarbeitung von Schallreizen in Verbindung mit deren Bewertungen. Das Gehirn selektiert dabei nicht mehr, was wichtig ist und was nicht, sodass jeder Ton eine Gefahr bedeutet und der Organismus sich in ständiger Alarmbereitschaft befindet. Viele leiden folglich unter Kopfschmerzen, Herzrasen oder Schweißausbrüchen.

HINTERGRUND
Tag für Tag sind wir im Alltag von Krach umgeben. Musik, Baustellenlärm, das Rascheln von Papier, ein klingelndes Telefon – für Menschen mit Hyperakusis stellt dies alles eine unangenehme Belastung dar. Betroffene empfinden dabei sogar häufig Schmerzen. Oft reagiert die Umwelt mit mangelndem Verständnis auf die Beschwerden der Patienten und es heißt fälschlicherweise: „Du hörst wohl zu gut.“ Dabei funktioniert das Gehör bei der Erkrankung in der Regel völlig normal, lediglich die Toleranzgrenze gegenüber bestimmten Geräuschen ist ungewöhnlich niedrig.

Normalerweise nimmt die Problematik bei seelischer und körperlicher Überbelastung sowie bei Krach zu, ein einheitlicher Erklärungsansatz für die Entstehung der Sensibilität existiert jedoch nicht. Die Ursachen der Erkrankung sind sehr vielfältig, grundsätzlich kommen Faktoren wie Umgebungslärm, Infektionskrankheiten oder Nebenwirkungen bestimmter Medikamente als Anlässe in Betracht. Auffällig ist, dass die Hyperakusis besonders bei Personen mit Tinnitus verbreitet ist. Dabei hören die Patienten zusätzlich zu ihrer Überempfindlichkeit ständig einen schrillen, summenden oder piependen Ton.

Was hilft? Der Arzt stellt die Diagnose mithilfe spezieller, audiologischer Untersuchungsverfahren. Zu Beginn der Behandlung stehen Informationen und Aufklärung über die Hintergründe und aufrechterhaltenden Bedingungen der Überempfindlichkeit im Vordergrund. In Kursen oder Gruppentrainings lernen Betroffene daraufhin, mit ihrem Leiden besser zu leben. Ein entspannter Umgang mit Geräuschen wird wiedererlangt und trägt erheblich zur Lebensqualität bei. Auch das Alltagsleben normalisiert sich, was besonders wichtig ist, da einige während der Krankheit nicht einmal mehr in der Lage sind, ihre Wohnung zu verlassen, weil die laute Außenwelt eine wahre Anstrengung für sie ist.

Als erfolgreich gilt auch folgendes, zunächst paradox klingendes Prinzip: Die Überempfindlichkeit gegen Gehörtes wird ausgerechnet mit Geräuschen behandelt. Ein sogenannter Audiostimulator, ein kleines Gerät hinter dem Ohr, gibt kontinuierlich ein leises Rauschen ab. Dieses schwächt jene scharfen Frequenzen ab, die Geplagte als besonders störend wahrnehmen. Die Beschwerden werden folglich gelindert, weil die Patienten aus der Umwelt kommenden Krach nicht mehr als allzu störend empfinden.

Akustische Folter Eine spezielle Form der akustischen Störung ist die Phonophobie. Hierbei haben Menschen Angst vor bestimmten Geräuschen, eine Hörstörung liegt nicht vor. Plötzlicher und unerwarteter Lärm kann bei Betroffenen mit Angstattacken einhergehen. Beispielsweise bekommen Patienten Furcht vor dem Geräusch des Platzens, wenn sie sehen, dass jemand einen Luftballon aufpustet – sie möchten am liebsten fliehen. Die Phonophobie lässt sich durch Konfrontations- und kognitive Verhaltenstherapien behandeln. Unter Umständen verschreibt der Arzt zusätzlich Psychopharmaka, um die Angst zu reduzieren.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/14 ab Seite 130.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin (FJS)

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