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Reizblase

ÜBERFALLARTIGER HARNDRANG

Betroffene haben immer wieder das Gefühl, dringend sofort zur Toilette zu müssen – obwohl die Blase gar nicht voll ist. Unbehandelt kann die Einschränkung der Lebensqualität enorm sein.

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Eine Wanderung mit Freunden, ein längeres Meeting im Büro, ein Theaterbesuch – diese Dinge können für Menschen mit überaktiver Blase , so der Fachausdruck, eine Herausforderung darstellen. Im Extremfall meiden Betroffene solche Situationen, in denen über längere Zeit keine Toilette erreichbar ist, zumindest nicht ohne peinliche Fragen oder Blicke.

Denn Patienten mit ÜAB verspüren häufig den Drang, Wasser lassen zu müssen. Und zwar ohne Vorwarnung und sofort! Sonst besteht die Gefahr, dass etwas daneben geht. Auch nachts müssen Betroffene immer wieder raus – und fühlen sich am nächsten Tag entsprechend gerädert. Experten verwenden dafür den Ausdruck „imperativer“ Harndrang.

Ausschlussdiagnose Reizblase Sowohl Frauen als auch Männer können an einer überaktiven Blase leiden, die Häufigkeit nimmt mit dem Alter zu. Von entscheidender Bedeutung für die Diagnose ist das eingehende Anamnesegespräch, um das Beschwerdebild genau zu erfassen. Die Symptome der ÜAB – häufiges Wasserlassen (öfter als acht Mal in 24 Stunden), imperativer Harndrang und Nykturie (=nächtliches Wasserlassen) – können aber eine ganze Reihe von Ursachen haben. Dazu gehören Harnwegsinfekte, Blasenentzündungen, Tumore, Nervenerkrankungen, Blasensteine, Prostatavergrößerungen und eine Instabilität des Blasenmuskels.

Erst wenn durch eingehende Untersuchungen sichergestellt ist, dass keine davon vorliegt, stellt der Arzt eine „überaktive Blase“ oder „Reizblase“ fest. Diese Diagnose stellt also eine Ausschlussdiagnose dar. Sehr hilfreich dabei: ein Miktionstagebuch, in dem der Patient alle Toilettenbesuche inklusive Urinmenge protokolliert. Dieses kommt auch später bei der Therapie wieder zum Einsatz und kann dann zudem helfen, den Erfolg der Behandlung einzuschätzen.

Die Ursachen für eine überaktive Blase können vielfältig sein: Normalerweise wird die Blasenentleerung über erregende und hemmende Reize aus dem zentralen Nervensystem reguliert. Beginnt die Blase sich zu füllen, wird dies von Dehnungsrezeptoren in der Blasenwand registriert und ans Gehirn gemeldet. Wir spüren einen leichten Druck, aber der Harndrang ist noch problemlos kontrollierbar. Erst wenn die Füllung zunimmt, müssen wir immer dringender auf die Toilette.

Für eine überaktive Blase kommen nun mehrere Ursachen infrage: Einerseits erhält diese möglicherweise vom zentralen Nervensystem mehr Harndrangimpulse als dem Füllungsstand der Blase angemessen wäre. Andererseits kann aber auch die zentralnervöse Hemmung mangelhaft sein. Zudem werden Veränderungen an der Blasenwand als mögliche Ursachen diskutiert.

Therapie Die Leitlinien empfehlen eine Stufenbehandlung aus verschiedenen Bausteinen: Zunächst erfolgt diese demnach konservativ auf der Basis des regelmäßig zu führenden Miktionstagebuchs. Dazu gehören ein Training, dessen Ziel es ist, zu kurze Miktionsintervalle zu verlängern. Hier wird bei Harndrang der, im Rahmen einer Physiotherapie zu trainierende, Beckenboden angespannt.

KEINE FALSCHE SCHAM
Ein großes Problem bei der Behandlung der überaktiven Blase: Viele Betroffene trauen sich nicht, das Thema anzusprechen und professionelle Hilfe zu suchen. Schlimmstenfalls ziehen sie sich sozial zurück, weil sie Angst haben, in peinliche Situationen zu geraten. Doch nicht nur die ÜAB, auch andere Formen der Inkontinenz sind behandelbar. Viele leiden daher unnötig. Scheuen Sie sich also nicht, diese Themen im Gespräch mit Ihren Kunden offen anzusprechen.

Zusätzlich lernen Betroffene beim Toilettentraining, dem unwillkürlichen Harnverlust zuvorzukommen, in dem sie individuell auf Basis des Miktionsprotokolls – quasi prophylaktisch – zur Toilette gehen. Wichtig ist ein gezieltes Beckenbodentraining, das durch Biofeedback-Verfahren und/oder Elektrostimulation ergänzt werden kann.

Für die Pharmakotherapie kommen zwei Behandlungsansätze infrage: Zum einen verbessert eine lokale Estrogenisierung die Beschwerden. Zum anderen werden Muskarinrezeptorantagonisten (Anticholinergika, Antimuskarinika) zur Therapie der überaktiven Blase eingesetzt. Sie blockieren Rezeptoren in der Blasenwand, sodass diese sich nicht so stark zusammen ziehen kann. Zu den eingesetzten Substanzen gehören Darifenacin, Fesoterodin, Oxybutinin, Propiverin, Solifenacin, Tolterodin und Trospiumchlorid.

Die besten Ergebnisse werden mit Kombinationen aus konservativer und medikamentöser Therapie erzielt. Führen die genannten Therapieoptionen nicht zum Erfolg oder werden nicht vertragen, ist eine Injektion mit Botulinumtoxin möglich; schließlich kommt in speziellen Fällen eine sakrale Neurostimulation infrage. Grundsätzlich gilt: Patienten mit überaktiver Blase sollten ihre Trinkmenge nicht reduzieren, dabei aber auf harntreibende Getränke wie Kaffee oder Tee verzichten.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/14 ab Seite 124.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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