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Forschungsprojekt

ÜBER EINEN WELTBERÜHMTEN MANN

„Er war ein schwieriger Mensch“ sagt Dr. Ulrike Enke über ihren Forschungsgegenstand. Als Leiterin eines Projektes über Emil von Behring an der Uni Marburg ist sie umgeben von den Zeugnissen seines Lebens.

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Enke widmet sich seit Jahren dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projekt einer wissenschaftlichen Biografie über „Emil von Behring (1854 bis 1917): Person, Wissenschaftler und Unternehmer“, das an der Arbeitsstelle für Geschichte der Medizin der Philipps-Universität beheimatet ist. Sie weiß fast alles über den berühmten Wissenschaftler, den Marburger Ehrenbürger und ersten Medizin-Nobelpreisträger, wahrscheinlich mehr als jeder andere Mensch. Das liegt auch daran, dass jede Wäschereirechnung, jedes Schulheft, jeder Brief an Kollegen und jeder Laboreintrag in einer der unzähligen, sorgsam beschrifteten weißen Pappschachteln im Institut lagert.

Dr. Ulrike Enkes Auftrag ist es, sie zu sichten, einzuordnen, zu bewerten – und dann darüber eine Biografie zu schreiben. Die Redaktion von „DIE PTA IN DER APOTHEKE“ wurde auf sie aufmerksam, als sie uns anschrieb. In einem Behring-Artikel waren ihr Fehler aufgefallen, beispielsweise dieser hier: „Behring war nicht seit 1896, sondern bereits seit dem Sommersemester 1895 als Professor in Marburg tätig“. Und auch, dass nicht die Marburger sein Mausoleum auf der „Elsenhöhe“ bauten, sondern der Professor höchstselbst. So etwas weiß nur eine ausgewiesene Fachfrau. Nach ein wenig Recherche war klar: Diese Frau, die selbst von den Machern der Fernsehserie „Charité“ als ratgebende Expertin hinzugezogen worden war, sollte uns einen Besuch wert sein.

Professor Emil von Behring hat lange in Marburg gelebt, gearbeitet und geforscht. In diesem Jahr jährte sich sein Todestag zum hundertsten Mal. Er entdeckte und entwickelte zusammen mit Paul Ehrlich und Erich Wernicke den ersten wirksamen Impfstoff gegen Diphtherie, einer Infektionskrankheit, an der damals Zehntausende von Kindern starben. Und auch an der Entdeckung des Tetanus-Impfstoffes war er beteiligt – „entdeckt hat ihn aber eigentlich Shibasaburo Kitasato“, räumt Enke ein. Behring schuf seinen eigenen Mythos durch geschicktes Agieren, Taktieren und die Vermarktung seiner selbst. Auch Else Spinola, die Tochter des Charité-Verwaltungsdirektors Bernhard Spinola, half ihm als seine Ehefrau tatkräftig dabei.

Hört man Dr. Enke zu, die sich so tief in die Materie eingearbeitet hat, gewinnt man den Eindruck, dass Emil von Behring kein sehr sympathischer Zeitgenosse gewesen ist. Gegenüber Kollegen vergriff er sich wohl gern mal im Ton, vom Wesen her sei er „hochfahrend und auftrumpfend“ gewesen, im Geschäftsleben „eiskalt und sehr auf seinen eigenen Vorteil bedacht“. Ganz anders aber der Familie gegenüber: „Nett und reizend“ benahm er sich, wenn er zuhause war. Es gibt verschiedene Biografien über Emil von Behring, aber alle sind ein wenig unvollständig: Die einen unterschlagen Behrings halbjüdische Ehefrau und seine sechs Söhne, die anderen Biografen waren nie in Marburg.

Und in dieser Stadt atmet doch alles seine Geschichte: Der Standort der ehemaligen „Behringwerke“, heute ein internationaler Pharma-Konzern, trägt immer noch seinen Namen, es gibt eine nach ihm benannte Straße, eine Schule, einen Preis und eine Bibliothek. Und dann ist da noch das große Bronze-Pferd, das vor dem Werk steht und das an die Tiere erinnern soll, aus deren Blut Behring das Anti-Toxin gewann. Ulrike Enke, die mit den Enkeln Behrings bekannt ist, hat sich anlässlich eines Familientreffens einmal die vier jüngsten Nachkommen ins Auto geladen und ist mit ihnen durch Marburg gefahren: „Hier heißt ja alles so wie wir“, wunderte sich eine Urenkelin. Im Moment liest Enke in den Schulaufsätzen Emil von Behrings, auch diese wurden von der Familie zur Verfügung gestellt.

In einem blauen Oktavheft schreibt der Primaner in gestochen scharfen Buchstaben über die „Vorfabel von Nathan dem Weisen“. So richtig begeistert ist sein Deutschlehrer über das Resultat nicht. Enke erzählt, dass Behring aus einem armen Lehrer-Haushalt mit vielen Geschwistern stammte; wegen seiner Begabung erhielt er ein Stipendium für eine höhere Schule: „Der damals 13-Jährige musste von seinem Zuhause weg an einen Ort, an dem es nicht mal einen Bahnhof gab.“ Harte Zeiten für den ganz auf sich allein gestellten Jungen, die vielleicht erklären, dass er sich so verbissen freischwamm und dabei nicht immer zartfühlend mit seinen Mitmenschen umging.

Emil von Behring

lebte von 1854 bis 1917. Der Immunologe entwickelte die erste Schutzimpfung gegen Diphtherie und war auch an der Herstellung eines Heilmittels gegen Tetanus beteiligt. Er war der erste Medizin-Nobelpreisträger der Welt. Da er seine letzten 22 Lebensjahre in Marburg als Direktor des Hygienischen Instituts verbrachte, trägt auch die Arbeitsstelle für Geschichte der Medizin den Namen Emil von Behrings. Hier schreibt Dr. Ulrike Enke im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eine wissenschaftliche Biografie über den legendären Serologen.

Er, der aus so kleinen Verhältnissen kam, hatte sich nach oben gearbeitet, konnte sich eine Villa auf Capri leisten und erhielt in Stockholm den Nobelpreis. Enke reiste auf eigene Kosten an beide Orte: „Ich kann mich dann besser einfühlen.“ Im Übrigen verfolgt sie für ihre Biografie, die ungefähr 2020 fertig sein soll, einen besonderen Ansatz: „Mir kommt es vor allem auf die sozialen Beziehungen Emil von Behrings an. Zum Beispiel jenes zu Paul Ehrlich und Erich a a Wernicke. Den bezeichnete er als Freund. Aber er hat ihn auch ausgenutzt.“ Inmitten der Memorabilia Behrings blättert sie in den großformatigen Fotoalben, die Ehefrau Else für jedes ihrer sechs Kinder angelegt hat: Auf den sepiafarbenen Schwarzweißbildern jener Zeit schauen einen der 42-jährige Behring im schwarzen Gehrock an, flankiert von seiner 20-jährigen Braut im langen Spitzenkleid.

Oder: Behring am Schreibtisch, ein Dokument in der Hand, ganz Professor, dem aber seine schwere Krankheit schon ins Gesicht geschrieben steht. Dank seiner Geschäftstüchtigkeit war der Sohn eines Dorfschullehrers zu einem der größten Immobilienbesitzer Marburgs geworden. „Doch was passierte, wenn er nicht im Labor stand? Und warum erhielt Behring den Nobelpreis und nicht Robert Koch?“ fragt Enke. In der Fernsehserie „Charité“ wird Emil von Behring als manisch-depressiv und opiumsüchtig dargestellt. Das kann Ulrike Enke so nicht bestätigen. Wohl habe der Wissenschaftler aber sehr exzessive Arbeitsphasen gehabt „bis morgens um drei“, in denen er „sehr wenig geschlafen hat“.

Und richtig sei, dass er in späteren Jahren unter schweren Depressionen litt: Lange Zeit habe er in einem Sanatorium verbracht. Gegen Ende seines Lebens habe er auch Morphium gegen die Schmerzen genommen, unter denen er litt. In einer Sonderausstellung ist, hinter Glas, eine jener Ampullen zu sehen, die das Diphtherie-Serum enthält, die sorgsame Unterschrift von Behrings auf der Umverpackung inklusive. Elses Fotoalbum ist dort zu besichtigen, ein Mikroskop und chirurgische Instrumente jener Tage.

Durch eine Glastür kann man bis in den Hörsaal schauen, der daliegt, als habe der Professor ihn gerade erst verlassen. Ulrike Enke schmunzelt: Ein Team von der Tagesschau habe anlässlich eines Berichtes über den 100. Todestag einmal gefragt, ob sie dort drehen könnten. In Marburg ist eben alles Geschichte. Und wenn Ulrike Enke auf die Pappkartons zeigt, deren Inhalt noch bearbeitet werden muss und bei denen zwei studentische Mitarbeiter helfen, sie in den Computer zu übertragen, ahnt man, wieviel Arbeit es ist, Geschichte lebendig werden zu lassen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/17 ab Seite 102.

Alexandra Regner, PTA/Redaktion

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