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Kooperationsgipfel

STARKE VERÄNDERUNG?

Bei der Anfang Februar stattfindenden Veranstaltung in München ging es darum, die Lage der Apotheken durch ihre Anbindung an Kooperationen zu klären. Dabei wurden auch übergreifende Themen erörtert.

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Aber vorab noch ein kleiner Hinweis: Dass die Rolle der PTA in der Apotheke von entscheidender Bedeutung ist, wurde exemplarisch von Dr. Stefan Hartmann, dem Gründer und 1. Vorsitzenden des Bundesverbandes Deutscher Apothekenkooperationen e.V. , schon gleich zu Beginn der Tagung betont. Der wohl aufschlussreichste Vortrag kam von Marin Dess, dem Inhaber und Geschäftsführer der Werbe-Agentur „Die Jäger von Rockersbühl GmbH“. Sein Thema galt der Zukunft des Gesundheitswesens. Da der ursprünglich gelernte Landwirt gerade Vater geworden war, konnte er das Thema zunächst auf einer sehr persönlichen Ebene verankern.

In der Hoffnung, in der örtlichen Apotheke seiner Heimatgemeinde zum Themenkomplex Baby und Vater umfassend aufgeklärt zu werden, wurde der Werbefachmann enttäuscht: Das Beratungsgespräch lief lediglich darauf hinaus, dass ihm ein digitales Fieberthermometer verkauft wurde. Im Gegenzug dazu war jedoch die Hebamme sehr rührig und machte den jungen Vater auf eine interessante App aufmerksam, die allerhand Messfunktionen zum Verhalten des Babys aufwies. So konnte beispielsweise über eine spezielle Kleidung des Säuglings ein Protokoll über die Körpertemperatur ebenso geführt werden, wie ein Schlaf- und Trinkprotokoll, das über den Still-Büstenhalter seiner Frau Daten an die App lieferte.

Selbst im Kinderwagen war eine kleine Messstation integriert, die genau darüber Auskunft gab, wie oft das Kleinkind an der frischen Luft war. Martin Dess war sich zwar darüber bewusst, dass solche Messdaten zur Körperfunktion aktuell hauptsächlich von sportlich interessierten Zeitgenossen zur „Selbstoptimierung“ genutzt werden, war sich aber sicher, dass dieser Trend Einzug in unser aller Leben nehmen werde. Und genau deshalb stellte er sich die kritische Frage, ob diese Entwicklung an den Apotheken vorbeilaufen würde.

 Blick auf internationale Entwicklungen Selbstverständlich war der Werbe-Experte viel zu ausgebufft, um nur seine eigene, persönliche Situation zu reflektieren. Im Wahrnehmungsradar von Martin Dess stehen natürlich globale Entwicklungen. Und so steuerte er zielsicher auf das Thema digitale Medizin zu und machte in diesem Kontext darauf aufmerksam, dass in diesem Bereich Player unterwegs sind, die nahezu unvorstellbare Summen abrufen können, um in diesen Zukunftsmarkt einzusteigen – Stichwort Google und Apple.

Konkret analysierte der Referent auch die gegenwärtige Situation in Bezug auf die Apotheke. Dabei unterschied er in mehrere Segmente, die er gleichwohl als POS (Point of Sale) identifizierte. So war für den Werbeexperten klar, dass im Schaufenster der Apotheke zwei Elemente von entscheidender Bedeutung sind: Die Lichtverhältnisse müssen stimmen und es muss für Bewegung im Schaufenster gesorgt werden. Beide Komponenten erzeugen „Hingucker“. Abgesehen von sehr großen Apotheken erscheint Martin Dess der Weg zu HV als eher nicht so wichtig.

Direkt am HV ist nach seiner Einschätzung jedoch die Sichtwahl von großer Bedeutung. Der Referent vermutete, dass eine optimale Sichtwahl auch als unterbewusster Verkaufs-Anstoß für Apotheker und PTA dient. Wichtig ist nach Ansicht des Werbers auch der Bereich „out of home“. Hier spielen insbesondere Flyer eine relevante Rolle. Diese sollten jedoch nicht nur auf Preisvorteile abzielen, sondern vielmehr auf die Identifikation und Beratungskompetenz der Apotheke zugeschnitten sein. Bei seiner Analyse der verschiedenen Apothekentypen unterschied der Referent generell zwei Typen: Einerseits derjenige Apotheker, der das Ziel hat, lokaler Platzhirsch zu werden und andererseits den lediglich pflichtbewussten Apotheker.

Natürlich war dem Werber auch die Rolle der PTA bewusst: Mit großer Sympathie unterstrich Martin Dess die ethische Herangehensweise der PTA. Gleichzeitig betonte er aber auch den kaufmännischen Anteil im Arbeitsleben einer PTA. Und genau deshalb wünschte er sich von Seiten der Pharmaindustrie ein wenig mehr Zurückhaltung, was die Relevanz der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilungen in Bezug auf PTA-Schulungen anging. Grundsätzlich sei Wissen der entscheidende Schlüssel im Gesundheitswesen.

Und gerade weil der Wissenszuwachs so elementar ist, müssen Apotheker aus der Sicht des Werbers aufpassen, dass sie den Anschluss nicht verlieren und zu reinen Logistikern mit angeschlossenem Beratungstool degenerieren. Im Kontext von Big Data kritisierte der Redner die elektronische Gesundheitskarte als teuren Flop und bemängelte, dass die Apothekenkarte „im Grunde genommen doch nichts anderes ist als eine Rabattkarte.“

Der POS ist künftig unser Zuhause Martin Dess wies mit einem warnenden Unterton darauf hin, dass früher Big Data im Kopf von Apothekenteams und Ärzten waren, heute aber unglaublich kapitalstarke Unternehmen darauf abzielen, rechtzeitig das Geschäftsfeld mit der elektronischen Gesundheitsüberwachung zu besetzen: „Ich bin davon überzeugt, dass wir in den nächsten fünf Jahren mehr Veränderungen im Gesundheitssystem erleben werden als in den vergangenen 50 Jahren.“

SCHULUNGEN
Aus Sicht von Martin Dess sollten diese den Trend zur „Gameification“, also dem spielerischen Lernen aufnehmen. Als vorbildlich empfahl er einen Blick auf eine Veranstaltung, bei der die Teilnehmerinnen am Computer eine Art Memory-Karten mit Eigenschaften dem jeweiligen Produkt zuordnen mussten. Nach der Überzeugung des Referenten ist es notwendig, Schulungen, Aktionen und Schaufenstergestaltung zeitgleich aufeinander abzustimmen.

Wie solche Veränderungen aussehen können, zeigen die Entwicklungen bei Google, wo Wissenschaftler Teilchen im Nano-Bereich erforschen, mit deren Hilfe der Blutkreislauf im Körper überwacht werden kann und Veränderungen wie etwa die Entstehung von Krebszellen registriert werden. Auch das Smartphone wird bei der gesundheitlichen Überwachung der Menschen künftig eine große Rolle spielen.

So berichtete der Referent nicht nur von Waagen, die per Funk an eine entsprechende App angeschlossen sind und beispielsweise das Gewicht eines Babys überwachen, sondern auch von einer Schlaf-App, die sein Leben verbessert hat. Diese App zeigt nicht nur die Schlafdauer an, sondern analysiert auch die verschiedenen Schlafphasen und weckt den Werber, wenn er gerade eine leichte Schlafphase durchläuft: „Dadurch wache ich schon viel entspannter auf, als wenn ich aus der Tiefschlafphase gerissen werde.“

Vor dem Hintergrund all dieser technischen Entwicklungen stellte der Referent die These auf, dass der künftige Point of Sale (POS) sich in unser Zuhause verlagern werde. Um diese These zu untermauern, nannte er etliche Beispiele: So gibt es in den USA bereits heute schon eine Dermatologie-App, mit deren Hilfe die Haut abgefilmt wird und der Endverbraucher für 45 Dollar innerhalb von 48 Stunden eine kompetente Auskunft über den Zustand seiner Haut erhält. Als weiteres Beispiel diente ein Teststreifen, der ebenfalls in Amerika entwickelt wird, der 15 relevante Krankheiten identifizieren können soll. Aktuell ist es den Wissenschaftlern schon gelungen, zehn Krankheiten zu erfassen.

»Ein besseres Gesundheitsbewusstsein führe auch dazu, dass in der Bevölkerung eine höhere Bereitschaft bestehe, Eigenleistungen zu erbringen.«

Auch ein Pflaster ist in Arbeit, das etwa bei Verletzungen am Knie die Schwellungen misst und somit verlässlich darüber aufklärt, wann der Betroffene wieder mit Sport anfangen kann, ohne einen Rückfall befürchten zu müssen. Leicht spöttisch wies Martin Dess darauf hin, dass die Medizin der Zukunft grenzenlos wird und sich der Doctor on Demand durchsetzen werde – einerlei, was deutsche Datenschützer davon halten.

Warum der Referent auch von dieser These überzeugt ist, liegt ganz einfach an den vielen Vorteilen: Wenn beispielsweise ein Arzt die Möglichkeit hat, in ein Portal in den USA seinen aktuellen Krankheitsfall einzugeben und er dann Auskünfte über 500 gleichartige Fälle erhält, sodass er Rückschlüsse auf den Therapieverlauf nehmen kann, so wird er dieses Tool auf jeden Fall nutzen wollen. Ein weiterer Trend dürfte nach Ansicht von Martin Dess darin liegen, dass wir als Patienten etwa bei einer Erkältung keine überfüllte Arztpraxen aufsuchen müssen, sondern ein Arzt mit einem an das Smartphone angekoppelten Stethoskop unseren Körper aus der Ferne abhört.

Zum Schluss seines hoch interessanten Vortrags machte Martin Dess noch darauf aufmerksam, dass es im Gesundheitssystem immer weniger um die Bekämpfung von Krankheiten geht, sondern in erster Linie um die Erhaltung der Gesundheit. Möglicherweise ist gerade dieser Hinweis ein Aufhänger für Apotheken, um im Gesundheitsmarkt der Zukunft weiterhin eine führende Rolle spielen zu können.

OTC als „Königsdisziplin“ Dass die Apotheke aktuell als Lotse im Gesundheitswesen fungiert, davon zeigte sich Jörg Wieczorek, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller (BAH), überzeugt. Er bescheinigte den Apotheken „Top Voraussetzungen aufgrund des hohen Vertrauens in der Bevölkerung.“ Gleichzeitig hob der Experte den Verkauf von OTC-Produkten in der Offizin als „Königsdisziplin“ hervor und empfahl den Apothekenteams auch den Switch von verschreibungspflichtigen Rx-Präparaten zu frei verkäuflichen OTC-Präparaten als Chance zu begreifen.

Gerade wenn solche erklärungsbedürftige Produkte wie etwa Triptane gegen Migräne als OTC-Produkt deklariert werden, muss der Patient von fachkundigem Apothekenpersonal über den Umgang mit diesem Arzneimittel aufgeklärt werden. Im Hinblick auf das Thema Gesundheit in der Bevölkerung registrierte der Referent ein stärkeres Bewusstsein als früher. Nach der Ansicht von Jörg Wieczorek sind die Menschen über Gesundheitsthemen durch das Internet besser aufgeklärt als jemals zuvor. Dieses bessere Gesundheitsbewusstsein führe auch dazu, dass in der Bevölkerung eine höhere Bereitschaft bestehe, Eigenleistungen zu erbringen.

In Bezug auf die Krankenkassen prognostizierte der Referent dass zusätzliche Satzungsleistungen künftig ein entscheidendes Marketingtool werden. Den Ärzten empfahl der Referent neben einer stärkeren Nutzung des grünen Rezepts mehr mit Apothekern zu kooperieren. Gleichzeitig warnte Jörg Wieczorek die Branche davor, das Arzneimittel zu bagatellisieren. Sonderangebote etwa im OTC-Bereich nach dem Motto „kaufe zwei und du bekommst noch eine dritte Packung gratis dazu“ seien dem Image der Arzneimittel abträglich und spiele denjenigen Argumente in die Hände, die – wie etwas Drogeriemärkte – nur darauf lauern, in den Arzneimittelmarkt einsteigen zu können.

Das Fazit des Redners fiel aber insgesamt optimistisch aus: Alleine aufgrund der demografischen Entwicklung wird der Arzneimittelmarkt wachsen. Wenn es in Zukunft gelingt, den Wert von Arzneimitteln besser zu kommunizieren, OTC-Präparate als Qualitätsmerkmal herauszuarbeiten und die Apothekenpflicht weiterhin gestärkt wird, so werden Apotheker und PTA weiterhin die Lotsen im Gesundheitsmarkt bleiben.“

ZUSATZINFORMATIONEN
Die Macht des limbischen Systems
Einen bemerkenswerten, sehr unterhaltsamen Vortrag hielt auch Professor Dr. Hans-Willi Schroiff, Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der RWTH Aachen. Kern seines Referates war die Botschaft, dass unsere Wahrnehmung in erster Linie durch das limbische System im Gehirn gesteuert wird. Dieses System wurde im Laufe der Evolution schon sehr früh im Gehirn implementiert und hat eine entsprechend große Bedeutung.
 
Im Vergleich zu anderen Systemen im Gehirn, die etwa für das Lesen zuständig sind, ist das limbische System das effizienteste und schnellste: So verarbeiten alle anderen Systeme im Gehirn in einer Sekunde etwa 40 Bit an Informationen, das limbische System dagegen 10 Millionen Bit. Dabei ist das unterbewusst arbeitende System für die emotionale Einfärbung und die vergleichende und somit einordnende Erinnerung an andere Ereignisse verantwortlich.

Um die Macht des limbischen Systems zu demonstrieren, zeigte Professor Schroiff mehrere Filmeinspielungen, wie beispielsweise ein in sekundenbruchteilen aufblitzendes Bild von Rotwein in verschiedenen Gläsern: in einem war der Wein in ein schlichtes Wasserglas gegossen worden, in einem anderen in einen edlen Rotweinkelch. Das Publikum sollte nun bewerten, welcher Wein hochwertiger war. Auch Sie als Leserin werden vermutlich den Wein im Rotweinglas als den besseren einschätzen – obwohl sie ihn nicht getrunken haben und es überhaupt keinen rationalen Grund gibt, warum der bessere Wein nicht auch im schlichteren Glas sein könnte.

Was das alles mit Gesundheit zu tun hat? Ganz einfach: Auch in der Apotheke geht es nicht darum, nur die rationale Seite der Menschen anzusprechen. Insbesondere im OTC-Bereich stehen Marken im Vordergrund. Auch hier gilt es, die Erkenntnisse von Professor Schroiff umzusetzen: Marken befriedigen emotionale Bedürfnisse. Diese Bedürfnisse müssen auch in einem Beratungsgespräch befriedigt werden – wenn möglich, nicht nur auf der verbalen Ebene. So lautete auch das Fazit des Professors: „Menschen sind keine rationalen Entscheider. Von Natur aus.“

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 03/15 ab Seite 134.

Claus Ritzi, Pharmajournalist (wdv)

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