Beratungsgespräch Apotheke
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Marketing

SPANNENDE ÜBERGANGSZEIT

Es klang wie ein Schlachtruf, was da aus einem Hotelzimmer in Singapur per Videoübertragung im Sitzungssaal der Inspirato-Konferenz „Zukunft Apotheke“ Anfang November in Frankfurt zu hören war.

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Es war der Zukunftsforscher Dieter Dahmen, der dem Publikum aus dem fernen Asien mit der einfachen Feststellung „Der digitale Wandel ist massiv und radikal!“ klar machte, wie heftig die derzeitigen Veränderungen sind. Obwohl Dahmen qua Berufung immer das Große und Ganze ins Visier nimmt, hatte er auch einen konkreten Warnhinweis für Apothekerteams in petto: „Eine Apotheke, die nicht auf dem Handy präsent ist, existiert nicht!“

Grundsätzlich sei in Zeiten des Wandels Geschwindigkeit der entscheidende Faktor: „Internetjahre sind wie Hundejahre und müssen mit sieben multipliziert werden. Wer also ein Jahr in der Entwicklung verschläft, hat sieben Jahre vergeudet!“ Und dann schleuderte er noch einen Satz von der Einprägsamkeit eines alttestamentarischen Sinnspruchs hinterher: „Die Schnellen sind unsichtbar für die Langsamen!“ Aus den sich dieser Einführung anschließenden Best Practice Vorträgen können PTA einiges lernen: Es fällt beispielsweise immer wieder auf, wie wichtig die emotionale Ansprache ist. So muss beispielsweise Merck mit dem Selbstmedikationsprodukt Femibion® in der Kommunikation allerlei Probleme lösen, die auf den ersten Blick äußerst schwierig sind.

So wies Marketing Direktorin Christiane Boventer unter anderem darauf hin, dass es in diesem speziellen Markt mit schwangeren Frauen aufgrund des kleinen Zeitfensters, in dem das Produkt relevant ist, kaum Kundenbindung gibt. Die zweite Schwierigkeit besteht darin, dass es sich um einen „generischen Markt“ handelt, weil die Kundin kaum Produktunterschiede wahrnimmt.

Faktenwissen mit Emotionalität koppeln Bei der Umsetzung der emotionalen Kampagne wurde bewusst herausgestellt, dass eine Schwangerschaft sehr schnell und an ganz verschiedenen Orten wie in einem Zelt entstehen kann. Das in der Werbung eingesetzte Motiv ist also ein rötlich erleuchtetes Zelt, in dem als Schattenspiel ein Pärchen zu sehen ist, das sich in der intimen Situation eines einsam im Wald stehenden Zeltes küsst. Trotz aller Emotionalität erfahren die Kundinnen aber auch Wissenswertes: Laut aktuellen Studien sind nämlich nur etwa 25 Prozent der Entwicklung eines Babys genetisch bestimmt, der Rest kann zum Beispiel durch gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und andere gesundheitliche Maßnahmen beeinflusst werden.

Merke: Im Kundengespräch wirken PTA umso glaubwürdiger, je mehr es ihnen gelingt, Faktenwissen mit einer emotionalen Ansprache zu verbinden. Bei Merck hatte man sich noch eine weitere Strategie ausgedacht. So propagiert das Unternehmen, dass Mütter nicht nur auf ihre Mutterrolle reduziert werden sollten und auch in ihrem Lebenslauf die Schwangerschaft keineswegs verschweigen, sondern sich zu diesem Lebensabschnitt bekennen sollten. Zur Untermauerung dieser These wurde ein sehenswertes Video produziert (www.youtube.com/ watch?v=9_SeXm2mvCk).

Vitalstoffe boomen Interessant für PTA dürfte auch der Stichpunkt „Shopper Insights/ Trends“ im Vortrag von Frank Baldauf sein, der als CEO bei Merz arbeitet. Er wies darauf hin, dass sich die Vorstellung eines gesunden Lebens aktuell in einem neuen Trend widerspiegelt: Detox war gestern, heute ist Retox angesagt! Während man sich bisher mit Entgiftungsbemühungen selbst kasteite, darf man sich heute nach Phasen besonderer gesundheitlicher Bemühungen (Sport, gesundes Essen etc.) wieder etwas eher Ungesundes (Alkohol, fettes Essen etc.) gönnen. Parallel zu dieser Entwicklung ist erkennbar, dass gerade ältere Menschen heute einen viel höheren Anspruch an ihr Leben stellen als früher und länger vital bleiben wollen.

Die Folge: Der Vitalstoffmarkt boomt. Die Zunahme schlägt gerade bei den Über-60-Jährigen mit einer Zunahme von 18 Prozent zu Buche! Gerade im Hinblick auf Zusatzverkäufe sollten PTA diese Tatsache im Hinterkopf behalten. Weniger überraschend ist eine andere Zahl: 64 Prozent aller Käufe im Markt sind digital beeinflusst – der Trend geht zum mündigen Kunden, der zwar immer noch ein großes Vertrauen zum Arzt und Apothekenteam hat, aber entsprechend vorinformiert ist. Für das Kundengespräch kann das ebenso günstig wie ungünstig sein – es hängt einfach davon ab, ob sich der Verbraucher auf einer seriösen oder unseriösen Seite informiert hat. Unter dem Titel „Digitale Transformation: Neue Marktchancen für das Direktgeschäft“ berichtete Sven Schirmer, Director Brand Strategy, über den digitalen Wandel in der Apotheke.

In Bezug auf das Online-Direktgeschäft zitierte der Referent eine Umfrage der Pharmazeutischen Zeitung aus dem Jahr 2015 mit 373 Apotheken. Demnach können sich immerhin 76 Prozent aller Befragten grundsätzlich vorstellen, „ihr Direktgeschäft bequem online über ein Bestellportal (analog Amazon oder Zalando) abzuwickeln“.

Online-Beratung versus Verkaufsgespräch Im Hinblick auf die Endverbraucher sieht Schirmer Vorteile durch eine Online-Beratung der Kunden. Seiner Ansicht nach ist der Trend hin zum „Bewegtbild“ unübersehbar. So seien kurze Filme im Internet eine Art „gesprochener Beipackzettel“ und hätten aufgrund ihres neutralen Beratungscharakters eine hohe Wertigkeit. Die Vorteile der Online-Beratung seien außerdem die leicht verständliche Sprache und die garantierte inhaltliche Korrektheit. Der Referent war der Ansicht, dass die hohe Qualität einer Online-Beratung dem Verkaufsgespräch in der Präsenzapotheke überlegen sei. Diese These wurde allerdings von anwesenden Apothekern in Zweifel gezogen.

Interessant: In seinem zwischenzeitlich börsennotierten Unternehmen „Shop Apotheke“ habe man als Sprecherinnen ausschließlich ausgebildete PTA engagiert. Dass auch Präsenzapotheken sich dem digitalen Wandel nicht verschließen sollten, machten die Marketing-Chefin Dr. Gabriele Schlosser und ihre Kollegin Tanja Wilcke-Pasternacki, Kommunikations-Chefin beim Pharma-Großhandel Gehe, beinahe nebenbei klar. In einem Vortrag, der die Gesamtstrategie der Apothekenkooperation „Gesund leben- Apotheken“ erläuterte, schien es für die Referentinnen selbstverständlich zu sein, dass neben Aktionswochen, Fortbildungen und ähnlichem auch Multichannel- Kampagnen – etwa gleichzeitig im Radio und online – ausgerollt werden.

Wie kommen Rx-Boni beim Verbraucher an?Diese Frage stellte das Consulting-Unternehmen Sempora in ausdifferenzierter Form kurz nach der Verkündung des aktuellen EuGH-Urteils 1011 Erwachsenen ab 18 Jahren. Demnach äußern 21 Prozent, dass sie einen solchen Bonus von zwei Euro pro rezeptpflichtigem Arzneimittel „immer“ in Anspruch nehmen würden. 30 Prozent wollten den Bonus „meistens“ einstreichen und nur neun Prozent wollten diesen Vorteil „nie“ nutzen. Klar erkennbar ist auch, dass die jüngeren Verbraucher am wenigsten Berührungsängste mit den Versendern haben – 62 Prozent würden den Einsparvorteil „immer“ oder „meistens“ nutzen.

Bei den über 59-Jährigen findet diese Haltung bei immerhin 41 Prozent Zustimmung! Faszinierend-verstörende Zukunftsvisionen Dr. Patrick Kramer, Geschäftsführer „Digiwell – Upgrade your life“ prophezeite im Schlussvortrag, dass schon in der nahen Zukunft Implantate winziger Chips unseren Alltag regelrecht revolutionieren werden. Schon heute haben weltweit etwa 50 000 Menschen einen Mini- Chip zwischen Daumen und Zeigefinger implantiert, auf dem Informationen gespeichert sind, die etwa Bankkarten, Schlüssel und Plastikkarten wie den Führerschein ersetzen können. Selbstverständlich können hier auch alle gesundheitlichen Informationen einer Person gespeichert werden, auf die dann ein Arzt überall auf der Welt Zugriff haben kann.

Eine ebenso faszinierende wie befremdliche Vision dieser Branche besteht darin, in etwa zehn Jahren Gehirn-Implantate einzusetzen. Ein wenig enthusiastisch schwärmte der Referent davon, dass wir dann „google on the brain“ hätten und dann beispielsweise jede x-beliebige Sprache beherrschen würden. Wie auch immer: Die Zukunft scheint so spannend zu werden wie schon lange nicht mehr!

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/17 ab Seite 66.

Claus Ritzi, Pharmajournalist (wdv)

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