© Uros Petrovic / fotolia.com

Drogen

SEX, DRUGS AND ROCK ’N ROLL

Heroin ist für viele der Inbegriff der zerstörerischen Droge. Tatsächlich hat sie von allen das höchste Abhängigkeitspotenzial – was zu einer schweren Sucht führt. Zudem bringt das intravenöse Spritzen weitere Gefahren mit sich.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Die Liste der Rockstars, die an einer Überdosis Heroin starben, ist lang. Sid Vicious, der Bassist der Punkband „Sex Pistols“ nahm die tödliche Dosis sogar auf einer Party, mit der er seinen überstandenen Drogenentzug feiern wollte. Heroin ist eine Killerdroge, unter der es bereits nach zweiwöchigem Konsum zu Entzugserscheinungen kommen kann und die meist in den sozialen Abstieg führt. 2011 starben hier zu Lande 279 Menschen an einer Überdosis, bei 290 weiteren Süchtigen war ein Cocktail aus Heroin und anderen Drogen, Beruhigungsmitteln oder Alkohol die Todesursache.

Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt Heroin gehört zu den Opiaten. Der Grundstoff der Droge ist Morphin, das aus dem getrockneten Milchsaft des Schlafmohns gewonnen wird. An die Morphinmoleküle werden synthetisch zwei Acetylgruppen angehängt. So entsteht das farblose, kristallförmige Diacetylmorphin – der Wirkstoff im Heroin.

Die Droge dockt an Opioidrezeptoren im Gehirn an, die eigentlich für körpereigene Endorphine bestimmt sind. Früher glaubte man, dass nur die Metabolite des Heroins für die Wirkung verantwortlich sind, heute weiß man jedoch, dass bereits Diacetylmorphin selbst an die Rezeptoren binden kann. Dabei wirkt Heroin um ein Vielfaches stärker als Morphin, weil es durch seine bessere Fettlöslichkeit die Blut-Hirn-Schranke wesentlich schneller überwinden kann.

Außerdem besitzt der Heroinmetabolit 6MAM (6-Monoacetylmorphin) eine höhere Aktivität als Morphin. Beim Heroinkonsum werden die Opioidrezeptoren daher regelrecht geflutet, was zu einem ersten „Kick“ führt, an den sich eine stundenlange euphorische Phase anschließt. Während dieser Zeit ist das Schmerzempfinden stark unterdrückt, es herrscht ein Gefühl von Glück und tiefer Zufriedenheit. Konsumenten beschreiben es oft so, als habe jemand eine warme, weiche Decke über sie gebreitet.

Weniger Süchtige
Der Heroinsucht entkommt man durch die starken Entzugserscheinungen, aber auch durch die soziale Isolation, sehr schwer. In Brennpunkten wie zum Beispiel Frankfurt am Main hatte man jedoch mit der Umstellung Süchtiger auf die Heroinersatzdroge Methadon Erfolg. Seit den 1990er-Jahren ist die Zahl der Heroinabhängigen in Deutschland generell rückläufig, der Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung spricht 2011 von etwa 2700 erstauffälligen Konsumenten. Doch ob das Anlass zur Freude ist, sei dahin gestellt: Längst haben andere, nicht minder gefährliche, synthetische Substanzen Heroin als Killerdroge abgelöst.

Dieser Effekt kann anfangs bis zu 24 Stunden oder länger anhalten. Bei einem körperlich bereits Abhängigen stellen sich hingegen meist bereits nach sechs Stunden Entzugserscheinungen wie Zittern, Krämpfe, Übelkeit, Schweißausbrüche und Schmerzen ein. Dieser Absturz bringt die Süchtigen dazu, sich den nächsten „Kick“ zu verschaffen.

Als Wundermittel angepriesen 1873 wurde die Droge zum ersten Mal synthetisiert. 1896 begann dann die Aktiengesellschaft Farbenfabriken Friedrich Bayer, die heutige Bayer AG, mit der Vermarktung von Diacetylmorphin. Damals glaubte man noch, die Droge habe keinerlei Abhängigkeitspotenzial und sei daher perfekt geeignet, um Morphiumsüchtige beim Entzug zu unterstützen. Ein heldenhaftes Anliegen, das dem Diacetylmorphin seinen Namen einbrachte: „Heroin“ – vom griechischen Wort „Heros“ für Held.

Heroin erlebte einen Höhenflug, Bayer verkaufte es als oral einzunehmendes Schmerz- und Hustenmittel und pries es zudem als „nicht süchtig machendes Medikament“ für den Opium- und Morphiumentzug an. Ärzte verschrieben es gegen Durchfall und als Blutdrucksenker, aber auch, um Geburten oder Narkosen einzuleiten.

Kurz nach der Jahrhundertwende erkannten jedoch immer mehr Ärzte das hohe Risiko der Abhängigkeit vom Heroin. Bayer stellte seine Produktion zwar 1931 ein, dennoch durfte Heroin in Deutschland bis 1958 weiter verkauft werden und wurde erst im April 1971 verboten. Seit Juli 2009 kann es unter bestimmten Auflagen jedoch zur Substitutionsbehandlung Schwerstabhängiger eingesetzt werden.

Schnüffeln, sniefen oder fixen Das auf dem Schwarzmarkt erhältliche Heroin weist unterschiedliche Reinheitsgrade auf. Mehr als 20 Prozent werden aber meist nicht erreicht. Für Nicht-Konsumenten kann bereits ein Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht tödlich sein. Langjährige Abhängige, die spritzen, konsumieren meist 100 bis 200 Milligramm pro Schuss. Heroin kann jedoch nicht nur gespritzt, sondern auch inhaliert, oral eingenommen oder ähnlich wie Kokain durch die Nase eingezogen (gesnieft) werden.

Am gängigsten ist das Spritzen. Dabei wird der kristalline Feststoff, also die „Base“, in einer Säure wie Zitronensaft gelöst und mit Wasser erhitzt. Die so gewonnene Flüssigkeit wird auf eine Spritze gezogen und in die Vene oder seltener unter die Haut injiziert. Das „Fixen“ oder „Drücken“, also das intravenöse Spritzen, hat die größte Wirksamkeit, gleichzeitig aber auch das höchste Abhängigkeitspotenzial. Beim Einatmen, der oralen Einnahme oder dem Sniefen gehen bis zu zwei Drittel des Wirkstoffs verloren, einerseits über den längeren Aufnahmeweg, andererseits durch den „first-pass-Effekt“, durch den ein Teil der Substanz bereits in der Leber inaktiviert wird.

Gefährliches Fixen Das intravenöse Spritzen birgt weitere gesundheitliche Gefahren: Die Einstichstellen können sich entzünden oder vernarben und auch die Entstehung von Thrombosen oder Embolien ist möglich. Wenn die Spritze von mehreren Konsumenten benutzt wird, können Krankheitserreger, wie Hepatitis B und C oder das HI-Virus übertragen werden. Ist der Konsument bereits „auf Turkey“, hat also Entzugserscheinungen, kann er sich durch das Zittern beim Ansetzen der Spritze schnell verletzen. Außerdem entwickelt sich die körperliche Toleranz gegen das Heroin bei Spritzen am schnellsten.

Wer täglich konsumiert, muss seine Dosis kontinuierlich um das Zweifache erhöhen, um denselben Effekt wie vorher zu erreichen. Da Heroin mit um die 100 Euro pro Gramm eine teure Droge ist, treibt das viele Süchtige in eine Abwärtsspirale aus Beschaffungskriminalität, sozialem Abstieg, körperlicher Vernachlässigung und psychischen Problemen.

Außerdem kann die Erhöhung der Dosis oder ungewöhnlich reines Heroin irgendwann zum tödlichen „goldenen Schuss“ führen: Eine solche Überdosis der Droge blockiert die Atemsteuerung im Hirnstamm, sodass die entstehende Atemdepression zum Tod durch Ersticken führt. Noch größer wird das Risiko für eine Atemdepression, wenn Heroin zusammen mit Beruhigungs- oder Schlafmitteln eingenommen wird, da diese die Wirkung der Droge verstärken.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/13 ab Seite 72.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

×