© FOTOKITA / iStock / Getty Images PLUS

Gefahrstoffe

SCHRECKGESPENST GEFAHRSTOFFABGABE

Oma Evi möchte Salzsäure kaufen. Das ist der Geheimtipp für hartnäckige Flecken im Bad. Jetzt stellt sich die Frage: Ist der Wunsch erfüllbar und wenn ja, was ist zu beachten? Da muss doch sicher auch was dokumentiert werden!

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Der Beginn dieser Gefahrstoffreihe wurde mit der Überschrift „Gefährlich aber nicht kompliziert“ betitelt. Als Beweis, dass es tatsächlich gar nicht so kompliziert ist, lassen wir nun mal so einen Abgabeprozess ablaufen. Dann wird aus der Herausforderung ganz schnell Routine.

Identitätserfassung Ein Kunde kommt in die Apotheke und möchte einen Gefahrstoff käuflich erwerben. Die erste Maßnahme des pharmazeutischen Mitarbeiters ist die Informationsbeschaffung. Die Identität muss festgestellt werden. Wie bei der Abgabe von Arzneimitteln auch ist diese Information von elementarer Bedeutung, da nicht immer der spätere Nutzer anwesend ist. Es stellt sich auch die Frage, ob die Person als Privatperson zu sehen ist oder eine Firma repräsentiert. Je nachdem gelten andere Beschränkungen in Bezug auf die legalen Abgabemöglichkeiten und Dokumentationsvorschriften.

Ist die Person volljährig? Eine Abgabe von Gefahrstoffen an Jugendliche sollte im Regelfall prinzipiell abgelehnt werden. Als letztes muss der Zweck hinterfragt werden. Welche Absichten hat der Kunde angegeben? Diese Frage hat einen sehr hohen Stellenwert. Aufkommende Zweifel sollten immer ernst genommen und hinterfragt werden. Anders als bei der Arzneimittelabgabe auf Rezept besteht in diesem Fall kein Kontrahierungszwang. Pharmazeutische Mitarbeiter müssen hier ihr Wissen gezielt einsetzen, um Gefahren für andere Menschen und die Umwelt zu vermeiden.

Abgabebeschränkungen Nun sind alle wichtigen Informationen in Bezug auf den Kunden erfolgreich gesammelt. Als nächster Schritt müssen die rechtlichen Vorgaben abgeglichen werden. Hier entscheidet sich, ob der Kundenwunsch auch mit dem Gesetz vereinbar ist. Als erfolgversprechender erster Anlaufpunkt eignet sich das Gefahrstoffverzeichnis. Ein gut geführtes, aktuelles Gefahrstoffverzeichnis beinhaltet alle benötigten Informationen auf einen Blick. Hier werden verschiedene Gruppen von Gefahrstoffen alphabetisch aufgeführt. Es stehen Abgabeverbote, Mengenbeschränkungen, Etikettierungsvorschriften und andere pharmazeutische Sorgfaltspflichten übersichtlich zur Verfügung. Im Falle der Unvollständigkeit besteht allerdings kein Grund zur Panik.

Es gibt noch andere Quellen, die auch zur Vervollständigung des Gefahrstoffverzeichnis genutzt werden können. Zu beachten ist, dass die folgenden Gesetze und Verordnungen nicht nur auf Apotheken zugeschnitten sind, sondern für alle herstellenden Betriebe und Händler gelten, die mit Gefahrstoffen zu tun haben. Die Tabellen und Nachschlagewerke fallen dementsprechend weitläufiger aus. Auf europäischer Ebene gilt die Verordnung Nr. 1907/2006, auch als REACH-VO bekannt. Im Anhang XVII werden alle Stoffe gelistet, die gar nicht oder nur bedingt abgegeben werden dürfen. Auf deutscher Ebene gilt die Chemikalienverbotsverordnung. Angelehnt an die REACH-VO werden hier in Anlage I speziell für Deutschland geltende Verbote ergänzend aufgelistet. Die Wahl für die zweite Anlaufstelle für die Informationsbeschaffung für Abgabebeschränkungen sollte auf die REACH-VO fallen.

Über die Internetseite der europäischen Chemikalienagentur wird eine vollständige und aktuelle Übersicht des Anhang XVII der REACH-VO bereitgestellt. Alle Gefahrstoffe werden hier mit den jeweiligen Abgabebeschränkungen angezeigt. Handelt es sich bei dem gewünschten Gefahrstoff um einen Aus- gangsstoff für die Betäubungsmittelherstellung stellt das Grundstoffüberwachungsgesetz (GÜG) eine Quelle dar. Als letzte hier genannte Möglichkeit zur Informationsbeschaffung soll die Anlage I der EU-Verordnung 98/2013 genannt werden. Es werden Explosivgrundstoffe aufgelistet, die prinzipiell nicht an Privatkunden abgegeben werden dürfen. Ein weiteres allgemeines Abgabeverbot gilt auch für CMR-Stoffe der Kategorien 1A und 1B. Nachdem diese Quellen zur Recherche genutzt wurden und festgestellt wurde, dass der Kundenwunsch sich im legalen Rahmen befindet, müssen nun bestehende Gefahren und Sicherheitshinweise dem Kunden entsprechend zugetragen werden.

Im Gefahrstoffverzeichnis finden Sie Abgabeverbote, Mengenbeschränkung und Etikettierungsvorschriften auf einen Blick.

EtikettierungDer pharmazeutische Mitarbeiter sollte sich bewusstmachen, dass er wahrscheinlich einen Laien vor sich stehen hat. Der potenzielle Käufer wird den Gefahrstoff mit nach Hause nehmen, wo sich andere Erwachsene oder sogar Kinder befinden könnten. Informationen für die vorgeschriebene Etikettierung sind im besten Fall erneut im Gefahrstoffverzeichnis zu finden. Falls dieses Lücken aufweist, ist die nächste Anlaufstelle das Sicherheitsdatenblatt. Als letztes kann die EU-Verordnung Nr. 1272/2008, auch als CLP-​VO bekannt, hinzugezogen werden. In Anhang VI werden alle erforderlichen Angaben erwähnt.

Unabhängig woher die Informationen stammen, müssen folgende Angaben immer auf dem Gefahrstoffabgabegefäß vorhanden sein: Name des Stoffes plus Konzentration, Produktidentifikator, Gefahrenpiktogramme, Gefahrenhinweise, Sicherheitshinweise, Nennmenge in der Packung und Name, Anschrift und Telefonnummer der abgebenden Apotheke. Die Sicherheitshinweise sollten maximal sechs an der Zahl sein, darunter ein Hinweis zur Entsorgung. In vielen Fällen gibt es schon vorgefertigte Etikette bei Händlern zu erwerben, um Schreibarbeiten zu minimieren. Nachdem das Etikett geschrieben wurde und die Packung mit Kindersicherung abgabefertig hergestellt wurde, fällt noch ein letzter Pflichtpunkt für den Mitarbeiter an.

Kundenaufklärung Informationspflicht oder Dokumentationspflicht stehen auf der Agenda. Bei der Abgabe an gewerbliche Kunden entfallen diese Pflichten. Es muss nur ein Sicherheitsdatenblatt bei der ersten Abgabe mitgegeben werden. Hat sich bei der Informationsbeschaffung für Privatkunden eine Informationspflicht oder sogar Dokumentationspflicht herausgestellt, muss der abgebende Mitarbeiter eine sachkundige Person nach Paragraph 11 Chemikalienverbotsverordnung sein. Die geforderte Pflicht richtet sich nach den angebrachten Gefahrenpiktogrammen. Sobald die Gefahrenpiktogramme GHS02 – Flamme oder GHS03 – Flamme über einem Kreis angebracht werden müssen, gilt die Informationspflicht. Der Kunde muss über die aufgebrachten Gefahrenhinweise und Sicherheitsmaßnahmen mündlich aufgeklärt werden.

Als einer der wichtigsten Punkte gilt hierbei die fachgerechte Entsorgung nach dem Gebrauch. Bei den Gefahrenpiktogrammen GHS06 – Totenkopf und GHS08 – Gesundheitsgefahr kommt zusätzlich die Dokumentationspflicht hinzu. Der Kauf muss im Gefahrstoffabgabebuch hinterlegt werden und von beiden Seiten unterschrieben werden. Wurden alle Vorgaben beachtet und erweisen sich als rechtlich in Ordnung, kann der Kunde glücklich die Apotheke verlassen. Das Wichtigste einer geregelten Gefahrstoffabgabe ist allerdings, dass der pharmazeutische Mitarbeiter mit ruhigem Gewissen nach Hause gehen kann. Durch Beachtung dieser vier Punkte wird es trotzdem noch gefährliche, aber keine komplizierten Kundenwünsche mehr geben.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/2020 ab Seite 70.

Manuel Lüke, Apotheker und PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde

×