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Wirkstoffe – historisch beleuchtet

S – WIE SCOPOLAMIN

Schon seit Jahrhunderten wurden Nachtschattengewächse als Teufels-, Zauber- oder Hexenkraut benutzt. Der Hauptwirkstoff wird auch heute noch aus Pflanzen gewonnen.

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Scopolamin, auch Hyoscin genannt, ist ein Tropanalkaloid, das in Nachtschattengewächsen wie Stechapfel, Schwarzem Bilsenkraut und Alraune vorkommt. Schon der griechische Philosoph und Naturforscher Theophrastos von Eresos warnte vor einer Überdosierung mit Stechapfel, indem er schrieb: „dass schon, wer weniger als ein Gramm zu sich nimmt, sich fühlen wird, als hätte er den Teufel im Leib; bei doppelter Dosis käme es zu Halluzinationen; bei dreifacher Menge verliere man den Verstand und beim Verzehr der vierfachen Menge erfolge der Tod”. Die Verwendung als Speer- und Pfeilgift ist durch den römischen Schriftsteller Plinius (ca. 23 bis 79 n. Chr.) überliefert.

Historische medizinische Verwendung In der mittelalterlichen Volksheilkunde kam Stechapfel beispielsweise gegen Geisteskrankheiten zum Einsatz. Die starke Giftigkeit sowie die geringe therapeutische Breite des Inhaltsstoffes Scopolamin standen einer intensiveren medizinischen Anwendung aber im Weg. Es kann leicht zu einer Überdosierung kommen, die zu schweren Halluzinationen, Bewusstseinsstörungen, internistischen Komplikationen und Apathie mit deliranten Zuständen bis langanhaltenden psychotischen Störungen führen kann.

Im Extremfall kommt es zum Tod durch Lähmung des Atemzentrums. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kamen Stechapfelzubereitungen zur Betäubung, bei Entzündungen, rheumatischen Beschwerden, gegen Verbrennungen und Krämpfe zum Einsatz. Stechapfel und Bilsenkraut wurden wegen ihrer krampflösenden Funktion zudem als Räuchermittel bei Asthma bronchiale verwendet. Erstmals isoliert wurde Scopolamin dann 1888 von E. Schmidt.

In der Psychiatrie kam es bis vor einigen Jahrzehnten zur Behandlung von Erregungszuständen zum Einsatz. Auch als Wahrheitsserum, also als Droge, die zu Redseligkeit bei einem Zustand der Willenlosigkeit führt, wodurch Informationen von einer Person zu erhalten sind, die diese eigentlich nicht preisgeben will, diente Scopolamin – und das noch bis in die 1950er-Jahre!

Heutige therapeutische Anwendung Scopolamin ist ein Parasympatholytikum, da es Muscarinrezeptoren blockiert. Dies sind spezielle Bindungsstellen der parasympathischen Fasern des vegetativen Nervensystems, die normalerweise durch den körpereigenen Botenstoff Acetylcholin aktiviert werden. Scopolamin verdrängt Acetylcholin an den Rezeptoren und unterdrückt damit dessen Wirkung.

Folge ist, dass sich die Herzfrequenz erhöht, die Drüsensekretion vermindert, die glatte Muskulatur der Bronchien, des Magen-Darm-Traktes, der Gallenwege und der Harnblase erschlafft. An den Muscarinrezeptoren des Gehirns vermindert Scopolamin die Aktivität des Brechzentrums, weshalb es als transdermales therapeutisches System hinter das Ohr geklebt gerne als Mittel gegen Übelkeit und Erbrechen bei Reisekrankheiten, (Seekrankheit) verschrieben wird.

An den Muscarinrezeptoren des Auges kommt es zur Erschlaffung des Musculus sphincter pupillae, wodurch die Pupille ähnlich wie beim bekannten Tropanalkaloid Atropin weit gestellt wird. Auch der Augeninnendruck erhöht sich. Beides wird von Augenärzten gerne genutzt. Ein halbsynthetisches Derivat des Scopolamins, das N-Butylscopolaminiumbromid, kann, im Gegensatz zum Scopolamin selbst, die Blut-Hirnschranke nicht überwinden. Es hat sich als krampflösendes Mittel für den Gastro- und Urogenitaltrakt bewährt. Und Stechapfel selbst findet sich heute noch immer gerne als Bestandteil von K.-o.-Tropfen.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 04/12 auf Seite 28.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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