© digitalgenetics / iStock / Thinkstock

Epigenetik

PROGRAMMIERTE DNA

In nahezu jeder Zelle befinden sich die gleichen Gene. Dennoch unterscheiden sich die kleinen Kammern und übernehmen verschiedenartige Funktionen. Epigenetische Merkmale bestimmen, welche Gene aktiv sind.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Einst galt: Wer die Gene kennt, kenne auch die Menschen und wisse, wie die verschiedensten Krankheiten zu heilen sind. Als Bill Clinton am 26. Juni 2000 verkündete, dass das menschliche Erbgut entschlüsselt sei, waren die Hoffnungen in diesem historischen Moment groß.

Der ehemalige US-Präsident erklärte: „Unser Wissen wird die Medizin revolutionieren – es wird die Heilung der meisten, vielleicht aller Krankheiten möglich machen.“ Doch die Euphorie hielt nicht lange an, denn es gibt bislang keine erfolgreiche Genbehandlung – die Entschlüsselung des Erbguts war lediglich ein erster Schritt.

Fortführung der Genetik Die Epigenetik stellt ein Spezialgebiet der Molekulargenetik dar und befasst sich mit Regulationsmechanismen der Genaktivität jenseits der DNASequenz. Die zellulär-molekulare Perspektive bleibt weiterhin leitend, es werden jedoch Umweltfaktoren in die Analysen mit einbezogen. Demnach machen nicht nur die Gene die Menschen und ihre Nachkommen zu dem, was sie sind.

Vor allem die Lebensumstände der Vorfahren scheinen einen enormen Einfluss zu nehmen, einen größeren als die Forschung lange vermutete. Die Bezeichnung Epigenetik setzt sich somit aus zwei Begriffen zusammen: Genetik und Epigenese . Somit stellt sie ein Bindeglied zwischen der Umwelt und den Genen dar und determiniert, unter welchen Umständen welches Gen aktiviert und wieder deaktiviert wird.

Gesteuertes Erbgut Mithilfe der Epigenetik wurden zahlreiche biochemische Strukturen an und neben Genen entdeckt, welche deren Funktion regulieren. Änderungen sind durch Einflüsse der Umwelt möglich, beispielsweise durch Traumata. Die Gene sind dann plötzlich mehr oder weniger aktiv als zuvor und zwar solange, wie das Signal aus der Umwelt einwirkt oder sogar darüber hinaus.

Erst wenn ein neuer Umwelteinfluss den „epigenetischen Schalter“ in seine Ausgangsposition zurückversetzt, verschwindet die Veränderung wieder. Beispielsweise kann eine Psychotherapie bei einer posttraumatischen Belastungsstörung den negativen Umwelteinfluss revidieren. Inzwischen ist also klar geworden, dass die Gene nicht nur selbst steuern, sondern auch gesteuert werden.

Erklärung für Krankheiten? Das Genom des Menschen besteht aus etwa 25 000 Genen mit 250 verschiedenen Zelltypen. In nahezu jeder Zelle befindet sich dieselbe DNASequenz, doch nicht in jeder Zelle sind alle Gene aktiv. Zwar ist die Gen-Sequenz das, was Individuen ausmacht, sonst gäbe es beispielsweise nicht die hohe Ähnlichkeit eineiiger Zwillinge.

Weil das Epigenom die Entwicklung von Krankheiten steuern kann, hofft die Medizin, von den Erkenntnissen dieser Disziplin zu profitieren – denn vermutlich gehen die meisten Erkrankungen aus einem Wechselspiel von Genom und Umwelt hervor.1 Epigenetische Veränderungen sind beispielsweise dafür verantwortlich, dass ein Mensch an Krebs erkrankt, während ein anderer mit dem gleichen Krebs-Gen vielleicht gesund bleibt. Erste Arzneimittel, die am Epigenom der Krebszellen angreifen, kommen seit einigen Jahren bei manchen Blutkrebs-Arten zum Einsatz.2

Verschiedene Untersuchungen Spanische Wissenschaftler untersuchten genetisch identische Zwillingspaare zwischen drei und 74 Jahren und stellten fest, dass sich die jungen Menschen im epigenetischen Code kaum unterschieden, während die Älteren deutliche Abweichungen zeigten. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass Individuen im Laufe des Lebens verschiedene Erfahrungen sammeln, sich in unterschiedlichen Lebenssituationen befinden und andere Gewohnheiten entwickeln.

Hatten die Großväter von Einwohnern eines nordschwedischen Dorfes in ihrer Kindheit wenig Nahrungsmittel zur Verfügung, lebten ihre Enkel länger.3 Personen, die im holländischen Hungerwinter 1944/ 1945 geboren wurden, neigten als Erwachsene zu Übergewicht.4 Die geschilderten Beobachtungen sind nicht mit dem klassischen Gen-Modell zu erklären, sondern sie sprechen dafür, dass die Aktivität des Erbguts beeinflusst wird und Gene komplett an- oder abgeschaltet werden können.

Arten von Schaltern Die epigenetische Genregulation erfolgt auf verschiedenen Wegen: Bei der DNAMethylierung bindet ein Enzym (Methylase) eine Methylgruppe an eine DNA-Base. Dabei verändert sich die Basenabfolge nicht, es handelt sich lediglich um eine epigenetische Veränderung. Die Proteine, die das Erbgut ablesen, können die methylierte DNA nicht gut aufnehmen, sodass das Gen eventuell stillgelegt wird. Der Prozess ist durch sogenannte Demethylasen umkehrbar.

Ein weiterer Vorgang ist die Acetylierung sogenannter Histone, durch die der Zugang zu einem Gen ermöglicht wird. Histone sind Proteinkomplexe, die von der DNA umschlungen sind, die Kombination bezeichnet man als Chromatin. Während die DNA über eine negative Ladung verfügt, sind Histone positiv geladen. Soll das Erbgut gelesen werden, ist sie zunächst zu entpacken. Durch das Binden von Acetylgruppen an Histone hebt sich deren positive Ladung auf, sodass sie sich von der DNA lösen und das Gen nun zugänglich für regulative Proteine ist.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/16 ab Seite 150.

Quellen:
1 S. Johnstone, Stress and the epigenetic landscape: a link tot he pathobiology of human deseases?, Nature Review Genetics 2010, vol. 11, pp. 806–12
2 J. Kaiser, Epigenetic Drugs Take on Cancer, Science 2010, vol. 330, pp. 376–8
3 Bygren et al., Longevity determined by paternal ancestors nutrition…, Acta Biotheoretica 2001, vol. 49, pp. 53–9
4 F. Ahmed, Tales of Adversity, Nature 2010, vol. 468, p. 20.

Martina Görz, PTA, B. Sc. und Fachjournalistin

×