Mann mit dickem Bauch
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Gekröse

PLÖTZLICH BERÜHMT: DIE DOPPELBAUCHFALTE

Die Bild-Zeitung jubelte: „Neues Organ entdeckt!“. Unmittelbar nach Neujahr war auch in den anderen Medien zu lesen, dass das „Gekröse“ nun in die Liste der menschlichen Organe aufgenommen werden müsse.

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Der irische Wissenschaftler Professor Calvin Coffey von der Universität Limerick entdeckte die Doppelbauchfalte, die den Darm an der Bauchwand befestigt, nicht neu. Bereits 1508 hatte Leonardo da Vinci, der seine anatomischen Erkenntnisse in genial-genauen Zeichnungen festhielt, das Mesenterium (wie es in der medizinischen Fachsprache heißt), das Aufhängeband minutiös aufgemalt, samt Namen und Funktion. Doch die Schulmedizin wies da Vincis Eingruppierung weit von sich. Ein Organ sei schließlich eine abgeschlossene Funktionseinheit, argumentierten die Ärzte. Im Medizinischen Wörterbuch „Pschyrembel“ steht die gültige Definition: Organ (von griechisch organon = Werkzeug), das ist ein aus Zellen und Geweben zusammengesetzter Teil des Körpers, welches eine Einheit mit bestimmten Funktionen bildet. Professor Coffey behauptet dies auch vom Mesenterium. Er schlägt sogar ein eigenes Studienfach dazu vor, die „Gekrösologie“.

Halteband im Körper Doch welche Aufgabe hat das Gekröse genau? Es liegt etwas versteckt und in sich gefaltet zwischen den unteren Enden von Dick- und Dünndarm, bildet die Verbindung zur Bauchwand. Wie eine dünne Haut, verzweigt und verästelt, schmiegt es sich an die Darmabschnitte und genauso fest haftet es am Bauchfell. Über das Gekröse laufen die Blutgefäße in den Darm, versorgen ihn mit Blut, bevor die Nährstoffe über andere Gefäße wieder abgeleitet werden. Gleichzeitig ist es eine Art Halterung, „denn der Darm liegt ja nicht wie ein langer Gartenschlauch im Bauchraum, sondern er ist an einer Aufhängung befestigt“, erklärte Professor Tobias Goeser, Leiter der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie am Uniklinikum Köln im Deutschlandfunk.

Die Wissenschaft ging bisher davon aus, dass diese Aufhängungen einzelne, voneinander unabhängige Strukturen darstellten; sie bekamen deshalb abschnittsweise den Namen des anhängenden Darmabschnittes zugewiesen (siehe auch Kasten). Die irischen Forscher zeigten in der Fachzeitschrift „Lancet Gastroenterology & Hepatology“ jedoch, dass es sich doch um ein zusammenhängendes Gewebe handelte und eine eigenständige Funktionseinheit darstellt. „Wir kennen jetzt die Anatomie und die Struktur. Jetzt müssen wir noch die Funktion herausfinden. Wenn man die Funktion versteht, wissen wir auch, wann das Organ nicht normal arbeitet und können somit neue Krankheiten des Verdauungstraktes erkennen“, schrieb Coffey im „Lancet“.

DAS WORT „GEKRÖSE“ …
hat laut Wikipedia mehrere Bedeutungen. Zum einen bezeichnet es umgangssprachlich Innereien, mit einem Beiklang zum Ekelhaften. Gekröse, das ist aber auch jene Bauchfellfalte, die als Aufhängeband zu inneren Organen fungiert. Und das ist nicht nur der Darm: Es gibt auch noch solche zum Magen, zur Gebärmutter und zu den Eileitern. Die „Bauchfellduplikaturen“, die der Pschyrembel definiert, hängen auch an Leber und Hoden. Dementsprechend ihre Fachbezeichnungen: Mesogastricum, Mescolon, Mesenterium, Mesometrium, Mesorchium, Mesosalpinx und Mesovarium.

Wirklich ein Organ? Doch sein Kölner Kollege ist da skeptisch. Goeser meint: „Ein Organ ist ein zusammenhängendes Gebiet mit einer bestimmten Funktion. Das haben die Autoren so gelöst, dass sie gesagt haben: Wenn man genau guckt, kann man schon sehen, dass auch in den Bereichen, wo wenig Gekröse ist, doch irgendwie auch ein bisschen Aufhängung ist.“ Der Professor hält den Punkt mit der Funktion für „noch nicht ganz geklärt“ und ist daher mit der Begriffsbezeichnung „Organ“ zurückhaltend. Im „Pschyrembel“, ist das Gekröse noch eine „Bauchfellduplikatur“, im englischen Standardwerk „Grays Anatomy“ jedoch seit allerneuestem bereits ein eigenes Organ.

Unbestritten ist jedoch, dass die Erforschung des Mesenteriums – ob nun Organ oder nicht – wertvolle Erkenntnisse über bestimmte Krankheiten ergeben würde. Darmkrebs beispielsweise, entzündliche Darmerkrankungen, Diabetes oder Adipositas. Fettleibige Menschen lagern nämlich im Gekröse besonders viel Fett ein. Dieses wiederum sorgt für inflammatorische Botenstoffe, die letztendlich Atherosklerose verursachen. Der „Dicke Bauch“ und sein Umfang gilt nicht umsonst als Wurzel vieler Übel, angefangen bei Herz- Kreislauf-Erkrankungen, endend bei Schlaganfall und Herzinfarkt.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/17 ab Seite 124.

Alexandra Regner, PTA, Journalistin und Redaktion

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