rotes Herz auf blauem Hintergrund. Herz hat eine Traene und bröckelt nach außen© tadamichi / iStock / Getty Images Plus
Eine Vielzahl von Menschen, die an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung leiden, leiden auch unter Depressionen.

Medikationsanpassung

WENN HERZPATIENTEN UNTER DEPRESSIONEN LEIDEN

Menschen, die unter einer chronischen Erkrankung leiden, haben oft auch noch mit anderen Belastungen zu kämpfen. Bei Herzpatienten treten beispielsweise gehäuft Depressionen auf. Dann gilt Vorsicht bei der Einnahme bestimmter Medikamente.

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Ständiges Grübeln und beschäftigen mit der eigenen Erkrankung – ein solches Gedankenkarussell tritt bei vielen Betroffenen chronischer Erkrankungen regelmäßig auf. Die Folge ist oft eine Depression. Auch bei Menschen, die an einer kardiovaskulären Erkrankung leiden. 

„Etwa ein Drittel der Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen leidet auch unter Depressionen“, erklärte Professor Dr. Kai Kahl von der Medizinischen Hochschule Hannover im vergangenen November beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin.
 

Metakognitive Therapie

Kahl erklärt weiter, dass Betroffene klassischerweise in Grübeleien verhaftet sind, ununterbrochen an ihre Krankheit denken und sich negative Zukunftssituationen ausmalen. Die metakognitive Therapie (MCT), die von Professor Dr. Adrian Wells an der Universität Manchester entwickelt wurde, wäre in solchen Fällen eine geeignete Therapiemethode. 

Ziel dieser Therapie ist es dem Betroffenen zu verdeutlichen, dass ein dauerhaftes Problemwälzen nicht zur Besserung der Situation beiträgt. Vielmehr sollen die Betroffenen erkennen, dass es sich hierbei um ein Teil des Problems handelt. Studien zufolge ist MCT in der Lage, bei Herzpatienten in der Reha Ängstlichkeit und Depressivität zu verringern. 
 

Soziale Kontakte essenziell

Es gibt auf der anderen Seite aber auch Menschen, die sich nicht von dem Gedankenkarussell aus der Bahn werfen lassen. In diesem Fall spricht man von Resilienz. „Man geht heute davon aus, dass Resilienz eine erlernbare Eigenschaft ist“, so Kahl. Um eine solche Resilienz in ihren Grundmauern zu festigen, ist Bindung von zentraler Bedeutung. Hier ist nicht die frühkindliche Bindung gemeint, sondern die soziale Interaktion in der gegebenen Situation. Das Engagement in einem Verein würde beispielsweise darunterfallen. 

Resilienz
Der Begriff der Resilienz bezeichnet die Widerstandsfähigkeit eines Menschen, bestimmte Lebenssituationen und Belastungen auszuhalten. Resiliente Menschen haben eine gewisse innere Stärke und lassen sich nicht von Schicksalsschlägen aus der Bahn werden. Sie kommen wieder auf die Beine und bewältigen ihr Leben wie zuvor.
 

Achtung: Anticholinerge Wirkung der Trizyklika

Sind Herzpatienten an einer Depression erkrankt und Antidepressiva sind das Mittel der Wahl, müssen Punkte beachtet werden: „Insbesondere Patienten mit koronarer Herzerkrankung sollten nicht mit trizyklischen Antidepressiva behandelt werden“ erklärt der Professor. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Trizyklika haben eine anticholinerge Wirkung, die zu einer Einschränkung der Herzratenvariabilität führt.

Kommen selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) bei Herzpatienten zum Einsatz, muss auf eine potenzielle QT-Zeit-Verlängerung geachtet werden. Bereits vor über zehn Jahren, 2011, haben zwei Rote-Hand-Briefe auf den Umstand hingewiesen, dass bei Citalopram und Escitalopram das Risiko besteht. Jedoch ist in diesem Fall SSRI nicht gleich SSRI, was bedeutet, dass Sertralin eine solche Nebenwirkung nicht aufweist. Zu diesem Ergebnis kam eine im Jahr 2002 veröffentlichte Studie. 

Laut einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020 ist die Einnahme von SSRI nach einem Herzinfarkt sicher. Das Risiko, einen Zweitinfarkt zu bekommen, wurde demnach sogar gesenkt. Man muss allerdings auf das Blutungsrisiko bei Patienten achten, die SSRI einnehmen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn gleichzeitig nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) gegeben werden.
 

Betablocker in Verdacht Depressionsrisiko zu erhöhen

Es gab eine Zeit, in der mit einem kritischen Blick auf den Zusammenhang zwischen der Einnahme von Betablockern und einem Depressionsrisiko geschaut wurde. Der Verdacht, Betablocker erhöhen das Depressionsrisiko, stand im Raum. „Das ist aber mittlerweile widerlegt“, so Kahl. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2021 konnte keinen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Betablockern und Depressionen sowie anderen psychiatrischen Nebenwirkungen feststellen. Allgemein sollte man aber darauf achten, dass es ab dem Einsatz von zwei Arzneistoffen zu Interaktionen kommen kann.
 

Täter-Opfer-Konzept

Professor Dr. Christoph Hiemke von der Universitätsmedizin Mainz hat während einer anderen Session beim DGPPN-Kongress einen geeigneten Ansatz zur Wechselwirkungsprüfung vorgestellt: das Täter-Opfer-Konzept. 

Dieses besagt, dass Arzneistoffe aufgrund ihres Metabolismus über bestimmte CYP-Enzyme als Täter oder Opfer agieren und dadurch klassifiziert werden können. Die Vorgehensweise ist simpel und läuft wie folgt ab: Ist der Täter des jeweiligen Enzyms ein Induktor, sorgt er dafür, dass das Opfer beschleunigt abgebaut wird. Ist der Täter ein CYP-Inhibitor, ist es genau umgekehrt.

„Die Medikamentenliste nach diesem Prinzip abzuscannen, geht ganz schnell“, erklärte Hiemke. Der Professor nahm Bezug auf die sogenannte Flockhart-Tabelle, die auf der Internetseite der US-amerikanischen Indiana University frei zugänglich ist. Innerhalb dieser Tabelle sind im oberen Bereich Opfer -Arzneistoffe (nicht ausschließlich Psychopharmaka) nach abbauendem CYP-Enzym geordnet und aufgelistet. Im unteren Bereich hingegen sind die Täter in zwei weiteren Tabellen aufgeführt, getrennt nach Inhibitoren und Induktoren. 
 

Ausschließlich Berücksichtigung von moderaten und starken Tätern

Geht es in die Prüfung hinein, ist es von enormer Bedeutung, lediglich moderate oder starke Täter zu berücksichtigen „um keinem Overalerting anheimzufallen“, wie Hiemke betonte. Um also nicht schon bei Wechselwirkungen in Alarmbereitschaft zu verfallen, die vernachlässigbar sind. 
 

Pharmakodynamik: Fachinformationen aufaddieren

Pharmakodynamische Wechselwirkungen fanden dabei allerdings keine Berücksichtigung. Hiemke empfahl in diesem Fall ebenfalls ein praktikables Vorgehen. In diesem Fall sollten Fachinformationen der einzelnen Präparate auf der Medikamentenliste des Patienten durchgegangen werden. 
Werden beispielsweise schwerwiegenden Nebenwirkungen in mehreren Fachinformationen mindestens mit der Häufigkeit „häufig“ genannt, sollte ein besonderes Augenmerk daraufgelegt werden. Hiemke erklärt abschließend, dass ein Aufaddieren verschiedener Fachinformationen mit ein und derselben Nebenwirkung dabei helfen kann, die Wahrscheinlichkeit für ein Auftreten besser einschätzen zu können.

Quellen:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/depressive-herzpatienten-richtig-behandeln-138985/ 
https://www.geo.de/magazine/geo-wissen/19986-rtkl-widerstandskraft-resilienz-das-geheimnis-der-inneren-staerke
 

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