Eine Apothekenkraft berührt eine Seniorin mitfühlend an der Schulter© Drazen Zigic / iStock / Getty Images Plus
Manchmal genügt ein mitfühlendes Wort und ein offenes Ohr - so lässt es sich auch über Probleme mit beispielsweise der Medikation sprechen.

Patientenbetreuung

NEUE LEITLINIE BEI DEPRESSION STÄRKT ROLLE DER APOTHEKEN

Die unipolare Depression ist die in Deutschland am häufigsten vorkommende psychische Erkrankung. Kürzlich erschien eine neue nationale Versorgungsleitlinie (NVL). Diese enthält   einige neue Aspekte, so wird auch die Rolle des Apothekenpersonals hervorgehoben.

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Die NVL dient als Entscheidungshilfe für Diagnostik und Therapie bei Erkrankungen mit hoher Häufigkeit. Die Bundesärztekammer erarbeitet diese in Zusammenarbeit mit anderen Fachgesellschaften wie der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker (AMK).

Erstmals werden digitale Angebote berücksichtigt und die Verantwortung der Apotheken betont. Die medikamentöse Therapie rückt in der Priorität ein Stück nach hinten, die Psychotherapie gewinnt an Bedeutung. Informationsmaterial soll die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient verbessern.

Genauere Diagnostik

Zunächst wird in der neuen Leitlinie auf die korrekte Diagnostik eingegangen. Bisher waren für die Diagnosestellung vier Leitsymptome notwendig, nun sind es fünf.

Symptome bei unipolarer Depression
Die Symptome werden in unterschiedliche Bereiche namens Cluster eingeteilt:
- Affektiver Cluster (gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit)
- Kognitiver Cluster (Konzentrationsstörungen, reduziertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit, Suizidgedanken)
- Neurovegetativer Cluster (Schlafstörungen, Veränderung des Appetits, Antriebsmangel, Unruhe, schnelle Ermüdbarkeit)

Mindestens ein Symptom aus dem affektiven Cluster muss vorliegen. Die Einstufung in Schweregrade erfolgt nicht mehr allein nach der Summe der Symptome, sondern nun auch nach deren Intensität und dem Grad der Einschränkung für den Patienten, zum Beispiel im Sozial- oder Arbeitsleben.

Patienten dürfen mitentscheiden

Den zweiten wichtigen Punkt in der NVL bildet die Therapieplanung. Hier nimmt die Aufklärung und Information des Patienten eine Schlüsselrolle ein. Die NVL bietet Patientenblätter an, die bei der Information unterstützen. Arzt und Patient sollen gemeinsam Therapieziele festlegen und Behandlungsmaßnahmen auswählen. Hiervon verspricht man sich eine verbesserte Zusammenarbeit und Therapietreue der behandelten Person.

Bei erstmalig auftretenden, leichten, akuten Episoden empfiehlt die Leitlinie als erste Maßnahmen angeleitete Selbsthilfe, hausärztliche Grundversorgung und psychotherapeutische Beratungsgespräche. Neu hier sind die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA), die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zertifiziert sind. Es handelt sich um Apps, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden können. Dauerhaft verordnungsfähig sind bisher zwei Apps, die Hintergrundwissen bieten, als Stimmungstagebücher dienen und auf Elementen der kognitiven Verhaltenstherapie beruhen.

Medikamente nicht erste Wahl

Antidepressiva werden bei leichten Episoden nicht zur Erstbehandlung empfohlen. Die Risiken überwiegen nach Meinung der Autoren den Nutzen. Auch bei wiederkehrenden oder mittelschweren Depressionen steht an erster Stelle nicht die medikamentöse Behandlung, sondern eine Psychotherapie. Sollte diese nicht erfolgreich sein oder eine schwere Depression vorliegen, wird ein Antidepressivum dazu gewählt. Der Nutzen der Psychotherapie wird höher eingestuft als der der mit Nebenwirkungen und Interaktionen einhergehenden Antidepressiva. Die NVL betont bei diesen auch einen deutlichen Placebo-Effekt.

Die bekannten Antidepressiva werden in der neuen Leitlinie ergänzt durch den neuen Wirkstoff Esketamin. Durch eine Blockade des N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptors (NMDA-Rezeptor) beeinflusst die Substanz direkt die Emotionsregulation im Gehirn, und das binnen weniger Stunden. Wegen der möglichen gravierenden Nebenwirkungen und seines Suchtpotentials dient Esketamin ausschließlich in der stationären Behandlung als Notfalltherapeutikum.

Apotheken in der Verantwortung

Sollte das Antidepressivum die gewünschte Wirkung verfehlen, gibt die Leitlinie eine Handlungsempfehlung. Bei der Erfassung möglicher Ursachen für die mangelnde Wirksamkeit (Compliance, Arzneistoff- oder Dosiswahl, mögliche Fehldiagnose) wird auf die Apotheken als niedrigschwellige Anlaufstelle eingegangen. Oft bestehen gerade bei Psychopharmaka starke Ängste, zum Beispiel vor Abhängigkeit oder Wesensveränderungen. In der Apotheke kann im Gespräch durch feinfühlig vermittelte Informationen zur Therapietreue beigetragen werden. Dosetten oder Verblisterung können ebenfalls unterstützen.

Ein eigener Abschnitt namens „Apothekerische Versorgung“ weist noch einmal auf die zahlreichen Verantwortlichkeiten der Apotheken bei der Versorgung depressiver Patienten hin. Das Apothekenfachpersonal kann im Beratungsgespräch oder bei der Durchführung einer Medikamentenanalyse gezielt Risikopatienten und Krisensituationen erkennen und an den Arzt verweisen. Zum Beispiel bei wiederholter Selbstmedikation von Schlafmitteln, Johanniskraut oder Vitaminpräparaten zur Konzentrationssteigerung sollte genauer nachgefragt werden. Auch für die Arzneimittelsicherheit sind die Apotheken nach Meinung der Autorengruppe wichtig, denn sie erkennen Interaktionen und Nebenwirkungen.

Quellen:
Pharmazeutische Zeitung
Leitlinie

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