Bücher, von denen man spricht

KURZE GESCHICHTE DES MENSCHLICHEN KÖRPERS

Kurz ist sie nicht, sondern 672 Seiten lang, diese Reise durch den menschlichen Körper. Doch sie ist so faszinierend und mitreißend erzählt, dass man sich verwundert die Augen reibt, wenn sie zu Ende ist.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Wem im Anatomieunterricht öfters mal langweilig ist, dem sei dieses Buch empfohlen. Es traut sich wahrscheinlich nur Bill Bryson, der Autor der vielen „Eine kurze Geschichte von…“-Bücher, so witzig über Körperflüssigkeiten und -funktionen, über Evolutionsmerkmale und gewichtige medizinische Entdeckungen zu schreiben, ohne dass es dem Text an Faktentreue mangelt. Akribisch listet das Inhaltsverzeichnis die Kapitel über Haut und Haare, Skelett, Herz und Blut, Lunge und Gedärm auf und er vergisst nichts, dieser Bill Bryson, der im wirklichen Leben Politikwissenschaft studiert hat und aus einer Journalistenfamilie stammt, was ihm einen anderen Beruf als Schriftsteller unmöglich machte.

Kauen und verdauen Vor allem ist er grandios, der menschliche Körper, findet Bryson. Und so muss man das wirklich mal sehen: Größenteils funktioniert er eigentlich super, wenn wir ihn nicht vorher mutwillig ruinieren. Er atmet und verdaut beispielsweise, ohne dass wir etwas dafür tun müssen. So beim Abendessen: „Während wir über unsere Arbeit oder den Gemüsepreis sprechen, überwacht unser Gehirn nicht nur sehr genau den Geschmack und die Frische der Dinge, die wir essen, sondern auch ihre Ausmaße und Konsistenz. Deshalb können wir einen großen feuchten Klumpen (Austern oder eine Kugel Speiseeis) schlucken und gleichzeitig sind wir bei kleineren, trockenen, scharfkantigen Gegenständen wie Nüssen und Körnern zu sorgfältigem Kauen gezwungen.“

Darüber hat man sich wahrscheinlich noch nie Gedanken gemacht. Wenn wir uns schneiden, läuft rotes Blut hinaus, das normalste von der Welt – doch es im Labor nachzumixen, also künstliches Blut herzustellen, ist noch keinem Wissenschaftler gelungen. Menschen sind in der Konkurrenz der Arten nicht gerade üppig ausgestattet; sie haben kein Fell, das sie warm hält, keine Mords-Kieferknochen, keine besonders üppigen Muskeln. Was sie von den anderen Säugetieren unterscheidet, ist der aufrechte Gang und, damit verbunden, das große Gehirn. Beides zusammen ermächtigte sie, größere und stärkere Tiere zu erlegen und sie aufzuessen.

Denn wir sind als Dauerläufer angelegt, und das können wir besser als jeder andere Warmblüter, obwohl wir uns das heute vielleicht nicht mehr so recht vorstellen können und es unfreiwillig komisch klingt. „Wenn wir an einem heißen Tag gegen eine Antilope oder ein Gnu antreten und das Tier verfolgen können, laufen wir es in Grund und Boden“, beschreibt Bryson, denn: „Die meisten großen Tiere können nicht weiter als 15 Kilometer laufen, dann brechen sie zusammen“. Der Preis des Aufrechtganges: Rückenschmerzen und ein schmales Becken, das zu erheblichen Problemen bei der Geburt von Menschenbabys führen kann.

Von Bakterien und Viren Und es ist außerdem nicht so, dass es niemand auf uns abgesehen hätte. Viren und Bakterien möchten schließlich auch leben. Meist machen sie sich nicht groß bemerkbar: in unserem Darm beispielsweise. Da hilft eine ganze Armee von Mikroben mit, dass die Nahrung in ihre Bestandteile zerlegt und aufgespalten wird: Die B-Vitamine zum Beispiel führen sie in den Körper zurück. Was weder Mensch noch Kleinstlebewesen gebrauchen können, wird als Fäzes für die Ausscheidung vorbereitet. Dann sind da noch diejenigen Bakterien, die sich ebenfalls teilen und sich vermehren wollen und dabei Krankheiten verursachen, die lange Zeit nicht heilbar waren; Tuberkulose beispielsweise, Cholera oder Typhus.

Außerdem, noch eine Fraktion kleiner, die Viren, die sogar ohne eigenen Stoffwechsel auskommen: „Ein Virus ist“, so zitiert Bryson den britischen Nobelpreisträger Peter Medawar, „ein Stück schlechte Neuigkeiten, eingewickelt in Protein.“ Wie recht er damit hat. Bryson findet Viren „seltsam: Sie fressen nicht, sie atmen nicht und tun auch sonst kaum etwas. Wir müssen hinausgehen und sie einsammeln – von Türklinken oder geschüttelten Händen oder aus der Luft, die wir einatmen.“ (Übrigens, das Buch wurde VOR der Corona-Pandemie geschrieben). Eigentlich, so sinniert der Autor und zitiert dabei einen amerikanischen Wissenschaftler, „sind wir auf eine schlimme Epidemie nicht besser vorbereitet als vor hundert Jahren als Zigmillionen an der Spanischen Grippe gestorben sind.“ So manche Stelle in Brysons Buch liest sich wie eine prophetische Vorhersage von COVID-19 mit besonderer Berücksichtigung der USA.

So ganz nebenbei räumt der Autor mit ein paar Vorurteilen auf, für deren Widerlegung es endlich Zeit wurde. Zum Beispiel die Sache mit dem Wasser: Nein, wir müssen nicht acht Gläser am Tag davon trinken, damit wir gesund und munter bleiben. Die Empfehlung lässt sich nämlich auf einen 1945 erschienenen Artikel der amerikanischen Gesellschaft für Ernährung zurückverfolgen: Darin wurde festgestellt, achtmal sei die Menge, die ein Mensch durchschnittlich am Tag Wasser zu sich nimmt – in Unzen (eine Unze – rund 30 ml H2O). Es entstand der Mythos, dass der Mensch, will er gesund bleiben, zweieinhalb Liter zusätzlich zu sich nehmen soll – was eben nicht gesund ist. So entsteht ein wissenschaftlicher Mythos …

Die Sache mit dem Sex Und dann ist da noch die Geschichte mit der Fortpflanzung. Männer kommen schlecht dabei weg. So erfährt der Leser/die Leserin, dass diese Spezies bei den Geckos, den kleinen grünen Echsen, längst abgeschafft wurde: Gecko-Mütter produzieren einfach lauter Klon-Eier ihrer selbst, und es funktioniert hervorragend. Wann dies auch bei Menschen zutreffen wird, wagt Bryson nicht vorauszusagen; jedoch schildert er das männliche Spermium als nicht gerade helle: „Sie können entsetzlich schlecht schwimmen und haben offensichtlich nahezu keinen Richtungssinn.“ Unter diesen Umständen ist es wohl nur der weiblichen Eizelle zu verdanken, dass der Mensch noch nicht ausgestorben ist, denn sie ist im Vergleich so riesig, dass das Spermium sie gar nicht verfehlen kann.

Und doch, zieht Bryson ein wenig betrübt das Fazit, beträgt die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung bei einem zufällig vollzogenen Sexualakt nur drei Prozent: „Und in der westlichen Welt scheint es immer schlimmer zu werden: Ungefähr eines von sieben Paaren bemüht sich heute um Hilfe.“ Alles in allem jedoch ist der menschliche Körper ein Wunderwerk an Technik und Chemie, was sein menschlicher Besitzer nicht immer zu schätzen weiß: „Wir schütten uns einfach immer mehr Rotwein in den Rachen“, meint Bryson lustig-melancholisch, „wir destabilisieren damit alle inneren Systeme und sorgen dafür, dass die Funktion des Gehirns ernsthaft beeinträchtigt wird. Die Aussage, unser Körper sei unser ewig leidender Diener, ist noch vorsichtig formuliert.“

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/2020 ab Seite 112.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

Bill Bryson „Eine kurze Geschichte des menschlichen Körpers“ Aus dem Englischen von Dr. Sebastian Vogel. 672 Seiten, gebunden, 24 Euro, ISBN 978-3-442-31398-3

×