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Herpes

KÜSS MICH NICHT!

Viele kennen sie nur als juckende Bläschen an der Lippe. Doch eine Herpesinfektion kann sich auch anders äußern, wenn die Viren aus ihrem Schlaf erwachen.

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Es juckt und kribbelt am Lippenrand, kurz darauf bilden sich nässende Bläschen: Der Lippenherpes hat wieder zugeschlagen. Unangenehm, aber meist harmlos. Doch manchmal kann ein Herpesvirus auch Komplikationen verursachen. Einige Infektionen können einen Krankenhausaufenthalt nötig machen, in einigen Fällen, wie bei der Herpes-simplex-Enzephalitis, können sie sogar lebensbedrohlich sein.

Die meisten Menschen tragen es in sich Das eine Herpesvirus gibt es nicht. Zurzeit kennt man etwa 170 verschiedene, wirtsspezifische Formen, von denen aber nur acht den menschlichen Organismus befallen können . Am bekanntesten ist wohl das Herpes-simplex-Virus vom Typ 1 (HSV-1), das in den meisten Fällen den Lippenherpes auslöst. Allerdings sind auch das Epstein-Barr-Virus, eine Herpesform, die das Pfeiffersche Drüsenfieber verursacht, und das Varizella-zoster-Virus weit verbreitet. Man geht davon aus, dass über 90 Prozent aller Menschen mit diesen drei Virustypen infiziert sind. Dabei findet die Übertragung meist schon von der Mutter auf den Säugling statt.

Das Virus „reist” entlang der Nervenwege Bei einer Erstinfektion mit einem Herpesvirus dringt der Erreger meist über die Schleimhäute, seltener über geschädigte Hautareale ein. Die Viren vermehren sich in den Epithelzellen, wobei sie die Wirtszellen zerstören. Hierdurch kommt es zu einer lokalen Entzündungsreaktion, die sich zum Beispiel in den bekannten flüssigkeitsgefüllten Bläschen äußern kann.

Sind die Viren einmal in den Körper eingedrungen, verbleiben sie dort ein Leben lang. Sie lassen sich nicht abtöten, Medikamente unterbrechen lediglich ihre Vermehrung bei einer akuten Infektion. Die Erreger wandern nach der Infektion entlang der Nervenbahnen weiter bis zu einem Nervenknotenpunkt, einem Ganglion. Dort tritt die Latenzphase ein, das heißt, das Virus „schläft”, kann aber jederzeit wieder aktiv werden. Im Falle eines solchen Rezidivs kehren die Viren über die Nervenbahnen zurück zum Epithel und vermehren sich dort explosionsartig, was die typischen Symptome auslöst.

Jeder Zweite betroffen Die bekannten Lippenbläschen könnten durch beide Subtypen des Herpessimplex- Virus verursacht werden. Meistens löst jedoch Typ 1 die Infektion aus. Anders als Typ 2, der für seine Latenzphase die Ganglien in der Leistengegend bevorzugt, ruht Ersteres nämlich lieber in den Trigeminalganglien, also den Nervenknotenpunkten im Gesicht. Von dort wandern die Viren bei einem Rezidiv an den Lippenrand, wo dann die flüssigkeitsgefüllten Bläschen entstehen.

Allerdings bemerken die meisten Menschen die Symptome erst bei einem Rezidiv, denn die Erstinfektion verläuft in 90 Prozent der Fälle asymptomatisch. Bei den restlichen 10 Prozent treten die Bläschen flächig auf größeren Hautbereichen im Gesicht auf. Je jünger die Betroffenen bei der Erstinfektion sind, desto schwerer sind normalerweise die Symptome. Kinder leiden häufig neben dem Hautausschlag unter Fieber, Mattigkeit und Kopfschmerzen sowie einer starken Rötung der Mund- und Rachenschleimhaut.

Haben sich die Viren nach der Erstinfektion in die Ganglien zurückgezogen, braucht es bestimmte Auslöser, um die Infektion erneut aufflammen zu lassen. Besonders häufig ist das der Fall, wenn das Immunsystem geschwächt ist, zum Beispiel bei Fieber oder einer Erkältung. Werden die Viren reaktiviert, spüren die Betroffenen meist schon kurz vor dem Auftreten der ersten Bläschen, wie die Lippenhaut spannt und kribbelt. Jetzt ist der optimale Zeitpunkt, um mit einer Medikation zu beginnen.

Virostatika früh einsetzen Aciclovir und Penciclovir als Salbe sind bei Lippenherpes die Medikamente der Wahl. Je früher man sie anwendet, desto positiver können sie sich auf den Krankheitsverlauf auswirken. Diese Virostatika verhindern die Vermehrung der Herpesviren, indem sie die Neubildung der Virus-DNS blockieren. Sie ähneln in ihrer Struktur dem DNS-Baustein Thymidin, der von Enzymen der Zelle auch in neue Virus-DNS-Stränge eingebaut wird. Hierzu muss das Thymidin jedoch zunächst von einem viralen Enzym aktiviert werden. Dieses kann aber nicht zwischen dem echten Baustein und den Virostatika unterscheiden, wodurch beide in die neue Virus-DNS eingefügt werden.

FAKTOREN, DIE EIN REZIDIV AUSLÖSEN KÖNNEN
+ physischer und psychischer Stress
+ Sonnenlicht
+ Schwaches Immunsystem, Fieber und Erkältungen
+ Menstruation
+ Bei Gürtelrose und Zytomegalie: eine andere Grunderkrankung, die das Immunsystem stark schwächt

Im Gegensatz zum Thymidin besitzen die Virostatika jedoch keine „Kupplung”, an die ein weiterer DNS-Baustein angefügt werden kann, sodass der unfertige Strang an dieser Stelle abbricht. Aciclovir und Penciclovir stoppen also lediglich die Vermehrung der Viren, vernichten können sie sie nicht. Daher ist es wichtig, die Medikamente frühzeitig anzuwenden, um die explosionsartige Vermehrung der Viren zu unterbinden. Sie sollten etwa alle zwei Stunden aufgetragen werden, und zwar so lange, bis die Bläschen aufgeplatzt sind und verkrusten, was meist nach drei bis vier Tagen der Fall ist.

Hochinfektiöses Geschehen Das höchste Infektionsrisiko birgt die Flüssigkeit in den Bläschen, denn in ihr befinden sich Unmengen von Viren. Daher darf man die Bläschen auf keinen Fall aufstechen, in der falschen Hoffnung, dass sie dann schneller abheilen. Die Erreger könnten somit leicht auf andere Körperstellen übertragen werden und dort ebenfalls eine Entzündung auslösen, wie etwa am Auge (Herpes corneae).

Ein besonders hohes Risiko hierfür besteht bei Kontaktlinsenträgern, denen man während der akuten Phase einer Infektion entweder vom Tragen der Linsen abraten oder eine gute Handhygiene empfehlen sollte. Das Aufstechen der Bläschen erhöht außerdem das Risiko einer Superinfektion mit anderen Erregern. Küssen ist in der akuten Phase ebenfalls tabu.

Sind die Bläschen offen und verkrustet, sind sie zwar nicht mehr ansteckend, doch sollte man trotzdem vorsichtig sein. Zum einen verzögert man durch mechanische Reizung das Abheilen der Wunden, zum anderen entstehen nicht alle Bläschen gleichzeitig, sodass zwar die ersten schon verkrusten, sich gleichzeitig aber neue, hochinfektiöse Pusteln bilden können. Auf der sicheren Seite ist man, wenn man mindestens zehn Tage lang penibel auf Hygiene achtet und enge zwischenmenschliche Kontakte meidet.

Starke Belastung für die Betroffenen Da ein Lippenherpesrezidiv durch Stress begünstigt wird, treten die Symptome oft dann auf, wenn man sie gar nicht gebrauchen kann: bei einem Vorstellungsgespräch, vor einem ersten Date, vor einer großen Feier. Mit anderen Worten: Immer dann, wenn Ihre Kunden besonders gut aussehen müssen, werden sie von entstellenden Bläschen geplagt.

»Sind die Pusteln erst aufgeplatzt, ist die Virenvermehrung abgeschlossen.«

Zwei Dinge sind demnach wichtig: eine schnelle Behandlung, die am besten noch die Symptome kaschiert, und die Vorbeugung gegen ein erneutes Auftreten. Antivirale Salben gibt es auch getönt, damit können Ihre Kunden die Hautrötungen ein wenig verbergen. Allerdings helfen die Salben nur in den ersten zwei, drei Tagen beziehungsweise nur dann, wenn noch neue Bläschen entstehen.

Sind die Pusteln erst aufgeplatzt, ist die Virenvermehrung abgeschlossen, für die Virostatika gibt es dann nichts mehr zu tun. Zu diesem Zeitpunkt sollten Sie Ihren Kunden daher eher wirkstofffreie transparente Pflaster empfehlen. Sie umgeben die Bläschen mit einem Gelpolster, sorgen für optimale Flüssigkeitsversorgung der Haut, schützen vor mechanischer Reizung und lassen sich sogar überschminken. Darunter können die Pusteln dann in Ruhe abheilen.

Da die Bläschen unter den Gelpflastern fast unsichtbar sind, sind sie für alle geeignet, die besonders unter den ästhetischen Gesichtspunkten der Infektion leiden. Die verkrusteten Bläschen reißen außerdem immer wieder auf, weil sie am Lippenrand großer mechanischer Belastung ausgesetzt sind.

Während einer akuten Phase kann dann eine Lippenpflege mit Melissenextrakt helfen. Dem ätherischen Öl werden virushemmende Eigenschaften nachgesagt, außerdem fördert es die Wundheilung. Normalerweise heilen die Bläschen narbenfrei aus. Reißen die Wunden jedoch ständig wieder auf, kann es durchaus zur Narbenbildung kommen – auch davor kann eine konsequente Lippenpflege schützen.

Hausmittel bei Lippenherpes? Viele schwören darauf. Manche tragen Zahnpasta, Teebaumöl oder Honig auf die Pusteln auf oder reiben die betroffenen Stellen mit einer aufgeschnittenen Knoblauchzehe ein. Anderen wiederum hilft es, wenn sie direkt beim ersten Kribbeln ein Stück kaltes Metall, zum Beispiel einen Schlüssel, fest gegen die betreffende Stelle drücken. Wieder andere glauben an die Wirkung von Salben mit Zink oder Aloe vera.

Klinisch bewiesen sind die Erfolge dieser Heilmittel nicht, die Tatsache, dass sie manchen helfen, könnte auch auf den Placeboeffekt zurückzuführen sein. Manche dieser Mittel können jedoch auch kontraproduktiv sein, wie beispielsweise Zahnpasta, die die betroffenen Stellen austrocknet und die Haut dadurch spröde und rissig macht, sodass Erreger ein noch leichteres Spiel haben. Ätherische Extrakte wie Teebaumöl oder Knoblauch können Kontaktallergien auslösen und die Haut dadurch ebenfalls zusätzlich reizen.

Wie kann man vorbeugen? Am effektivsten schützt man sich vor Rezidiven, indem man die Auslöser vermeidet. Stress kann man mit Autogenem Training entgegenwirken, darüber hinaus können gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung zu geistiger und körperlicher Ausgeglichenheit führen. Studien zu Sinn oder Unsinn einer lysinreichen Diät (z. B. viel Fisch) in Bezug auf eine Verbesserung der Symptome und eine Verringerung der Rezidive halten sich die Waage.

GÜRTELROSE ALS WARNZEICHEN
Das humane Herpes-Virus Typ 3 (Varizella-Zoster-Virus) löst bei Kindern Windpocken aus. Wie alle Herpesviren verbleibt es danach im Organismus. Wird es bei einem Erwachsenen reaktiviert, verursacht es eine Gürtelrose – typische Hautbläschen, die sich etwa in Gürtelhöhe einmal um den Leib ziehen. Die Krankheit löst heftige Schmerzen aus, die man in besonders schweren Fällen nicht einmal mit starken Schmerzmitteln in den Griff bekommt. Eine Gürtelrose ist aber auch ein Warnsignal: Wenn ein Erwachsener symptomatisch an einem Rezidiv des Varizella- Zoster-Virus erkrankt, ist sein Immunsystem meist gefährlich aus der Balance geraten. Im schlimmsten Fall kann eine Gürtelrose zum Beispiel auf einen Tumor oder eine Immunschwäche wie die Infektion mit dem HI-Virus hinweisen. In weniger dramatischen Fällen können sie durch schwere physische oder psychische Erschöpfung ausgelöst werden.

Einige kleine Studien bestätigten die Wirksamkeit, andere wiederum widerlegten sie. Unbestritten wichtig aber ist die Lippenpflege, denn raue, rissige Lippen bilden willkommene Eintrittspforten für Erreger. Raten Sie Ihren Kunden daher zur regelmäßigen Pflege, um Superinfektionen zu verhindern. Am besten mit einem der Umgebung angepassten Sonnenschutzfaktor, da starke Sonneneinstrahlung ebenfalls ein Rezidiv auslösen kann.

Treten die Symptome alle fünf Wochen oder häufiger auf, sollten Sie Ihren Kunden von der Selbstmedikation abraten und Ihnen einen Arztbesuch empfehlen, denn dann könnte eine chronische Störung des Immunsystems vorliegen. Generell gibt es für Infizierte jedoch einen Trost: Mit zunehmendem Alter treten die Rezidive immer seltener auf.

Komplikationen und seltenere Erkrankungen Herpes-simplex-Viren können außer Lippen- und Genitalherpes auch seltenere, zum Teil gefährlichere Erkrankungen auslösen. Besonders gefürchtet ist dabei die Herpes-simplex-Enzephalitis. Sie droht, wenn das Herpesvirus die Nasenschleimhaut infiziert und von dort über den Riechnerv – in sehr seltenen Fällen auch über den Trigeminusnerv – in das Gehirn wandert. Dort kommt es unbehandelt innerhalb von Tagen zu einem massiven Niedergang von Gehirnzellen und schließlich in 80 Prozent der Fälle zum Tod.

Die Herpesenzephalitis zeigt sich in grippeähnlichen Symptomen mit starkem Fieber, Nackensteifigkeit, Gesichtsfeldausfällen und, nach einigen Tagen, einer deutlichen Wesensänderung. Die Betroffenen leiden unter Wahnvorstellungen, sind desorientiert und entwickeln schließlich generalisierte epileptische Anfälle.

Eine solche Enzephalitis gilt als Notfall und muss umgehend intensivmedizinisch betreut werden. Therapiert wird sie mit einer dreiwöchigen intravenösen Gabe von Virostatika. Nekrosen oder Ödeme machen darüber hinaus möglicherweise operative Eingriffe notwendig. Die Mortalität ist trotzdem sehr hoch: Selbst bei sehr früher Therapie stirbt jeder Fünfte, die Überlebenden weisen häufig ihr Leben lang neuronale Störungen auf.

Zytomegalievirus – lange vernachlässigt Das ebenfalls zu den Herpesviren zählende Zytomegalievirus (CMV) tragen etwa 60 Prozent aller Menschen in sich. Normalerweise verläuft die Infektion ohne Symptome. Gefährlich wird es jedoch, wenn eine Schwangere unbemerkt eine akute Infektion durchmacht. Überträgt sie das Virus auf das Ungeborene, kann es schweren Schaden nehmen, oder es kann sogar zu einer Fehlgeburt kommen.

Aufgrund des unauffälligen Verlaufs stand diese Herpesform lange Zeit nicht im Fokus von Arzt und Patienten. Doch mittlerweile weisen viele Gynäkologen ihre Patientinnen auf die Gefahr hin. Ein engmaschiger Test auf Zytomegalievirus-Antikörper ist allerdings immer noch nicht Teil des Mutterschutzes, die Schwangeren müssen diese Untersuchungen selbst zahlen. Im Falle einer Infektion gibt es jedoch mittlerweile gute Ergebnisse mit speziellen Immunglobulinen, die eine Übertragung auf das Ungeborene verhindern können.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 03/13 ab Seite 58.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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