© picsfive / 123rf.com

Bluterkrankheit

GERINNUNGSSTÖRUNG

Normalerweise hören Wunden von selbst auf zu bluten. Nicht so bei Menschen mit Hämophilie: Wegen einer genetischen Mutation bildet sich bei ihnen ein Blutpfropf nur schlecht oder gar nicht.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Dass etwas mit der Blutgerinnung nicht stimmt, fällt meist während des ersten Lebensjahres auf, wenn der Nachwuchs beginnt, seine Umwelt aktiv zu erkunden: Schrammen bluten länger als normal, zudem bekommen betroffene Kinder leicht blaue Flecken. Bei der Bluterkrankheit oder Hämophilie handelt es sich um eine seltene Erbkrankheit.

Durch genetische Mutationen können für die Blutgerinnung unverzichtbare Eiweiße im Blut nicht oder nicht ausreichend gebildet werden. Deshalb sollten Betroffene Verletzungen möglichst vermeiden. Zudem können die fehlenden Gerinnungsfaktoren dauerhaft oder bei Bedarf in Form von Medikamenten zugeführt werden.

Ablauf Die Hämostase, also die Stillung der Blutung nach einer Verletzung, ist eine lebenswichtige Funktion des Körpers und erfolgt bei Gesunden in mehreren aufeinander folgenden und ineinander greifenden Phasen: Zunächst zieht sich das betroffene Gefäß zusammen, um den Blutfluss zu verlangsamen. Im zweiten Schritt kommt es zur Anlagerung von Thrombozyten (Blutplättchen) an der verletzten Stelle sowie zu ihrer Aktivierung. Dadurch wird die Wunde zunächst mit einer dünnen Schicht verschlossen.

Diese Vorgänge zusammen bezeichnet man auch als primäre Hämostase. Die eigentliche Blutgerinnung folgt in Schritt drei, auch sekundäre Hämostase genannt: Durch eine komplexe Reaktionskaskade, an der die im Plasma gelösten Gerinnungsfaktoren (nummeriert von I bis XII) beteiligt sind, entsteht ein Fibringerinsel, das die Wunde fest verschließt. Dabei aktiviert wie bei einer Kettenreaktion immer ein Faktor den nächsten.

Ausfall Kann einer der Faktoren nicht oder nicht ausreichend gebildet werden, wird die Reaktionskaskade unterbrochen und die Blutgerinnung gestört. Abhängig davon, welche Faktoren betroffen sind, existieren verschiedene Formen der Bluterkrankheit: Am bekanntesten sind die Hämophilie A, die durch Mutationen im Gen für den Faktor VIII verursacht wird, und die Hämophilie B, bei der der Faktor IX betroffen ist. Beide Erkrankungen sind selten: Hämophilie A tritt bei einem von 10 000 Menschen auf, Hämophilie B bei einem von 60 000 Menschen. Auch andere Gerinnungsfaktoren können gestört sein, allerdings treten diese Mutationen noch viel weniger häufig auf.

Beim Von-Willebrand-Syndrom (auch: Von-Willebrand- Jürgens-Syndrom) ist die Bildung des Von-Willebrand-Faktors gestört. Dieses Protein spielt einerseits bei der Aggregation der Thrombozyten während der primären Hämostase eine wichtige Rolle, andererseits stabilisiert es den Faktor VIII im Blut. Eine Störung des Von-Willebrand-Faktors zieht deshalb zusätzlich auch einen Faktor VIII-Mangel nach sich.

Vererbung An Hämophilie A und B erkranken ausschließlich Männer, da sich die Gene für die Faktoren VIII und IX auf dem X-Chromosom befinden und der Erbgang rezessiv ist. Das bedeutet, dass Frauen mit einem gesunden und einem veränderten Gen nicht erkranken, da sie den Faktormangel aufgrund ihrer zwei X-Chromosomen ausgleichen können. Sie können die Erkrankung aber an ihre Söhne (ein X- und ein Y-Chromosom) weitergeben.

THERAPIE
Das Von-Willebrand-Syndrom wird mit Faktorkonzentraten behandelt, die sowohl den Von-Willbrand-Faktor als auch Faktor VIII enthalten. Bei Formen, bei denen noch Restmengen des Von-Willebrand-Faktors gebildet werden, können diese kurzfristig durch Desmopressin freigesetzt werden.

Bis zur Hälfte aller Betroffenen hat die Erkrankung von ihren Eltern geerbt, bei den anderen sind die Mutationen spontan aufgetreten. Das Von-Willebrand-Syndrom hingegen wird autosomal-dominant vererbt. Es können also sowohl Männer als auch Frauen gleichermaßen erkranken; zudem reicht ein mutiertes Gen aus, damit die Erkrankung ausbricht. Etwa ein Prozent der Bevölkerung ist betroffen.

Symptome und Komplikationen Verlängerte Blutungszeiten oder Nachblutungen, beispielsweise auch bei Impfungen oder wenn Blut abgenommen wird, weisen bereits bei kleinen Kindern auf eine Hämophilie hin. Bei beiden Erkrankungsformen kann es zu Blutungen in die Gelenke kommen, was unbehandelt zu einer Funktionsstörung und langfristig sogar zur Zerstörung führen kann. Betroffen sind häufig besonders die großen Gelenke an Knie und Ellenbogen oder das Sprunggelenk.

Gefährlich sind auch Blutungen in der Muskulatur, etwa nach einem Stoß oder Unfall. Dadurch können die Muskeln schrumpfen, was wiederum Gelenkfehlstellungen nach sich ziehen kann. Schließlich können Nerven durch zu großen Druck geschädigt werden. Lebensgefährlich sind Blutungen im Kopfbereich, besonders im Gehirn. Die Schwere der Erkrankung ist abhängig von der Restmenge des betroffenen Faktors, die noch gebildet werden kann. Während es bei leichten Verlaufsformen nur nach schweren Verletzungen oder Operationen zu Blutungen kommt, können sie bei schweren Formen sogar spontan ohne Grund auftreten. Auch alle Abstufungen dazwischen sind möglich.

Patienten mit Von-Willbrand-Syndrom leiden überdurchschnittlich häufig an Schleimhautblutungen, vor allem an Nasenbluten. Frauen haben verlängerte und/oder stärkere Regelblutungen. Oftmals wird die Erkrankung im Zusammenhang mit Komplikationen bei Routineeingriffen wie einer Zahnextraktion diagnostiziert. Auch hier kann die Schwere der Erkrankung in Abhängigkeit des speziellen Typs sehr unterschiedlich stark sein.

ZUSATZINFORMATIONEN

Behandlung
Die Therapie der Bluterkrankheit ruht auf zwei Säulen: Zum einen sollten Verletzungen so weit wie möglich vermieden werden. Zum anderen kann der fehlende Faktor bereits seit einigen Jahrzehnten durch Injektionen in die Vene substituiert werden. In der Anfangsphase wurden die Präparate ausschließlich aus Blut gewonnen, seit den 1990er Jahren werden sie auch rekombinant hergestellt.

Je nach Art und Schwere der Erkrankung sind ein bis mehrere Injektionen pro Woche erforderlich, die die Patienten nach einer Schulung selbst durchführen können. Bei weniger schweren Formen ist auch eine Therapie „on demand“, also bei Bedarf möglich. Heutzutage ist die Infektionsgefahr mit Krankheitserregern wie HIV oder Hepatitis-Viren durch strenge Testverfahren weitestgehend ausgeschlossen. Problematisch: Bei einem Teil der Patienten bilden sich Antikörper gegen die zugeführten Faktoren, was ihre Wirksamkeit beeinträchtigt. Medikamente mit blutverdünnender Wirkung wie Acetylsalicylsäure dürfen nicht angewendet werden.

Das Von-Willebrand-Syndrom wird mit Faktorkonzentraten behandelt, die sowohl den Von-Willbrand-Faktor als auch Faktor VIII enthalten. Bei Formen, bei denen noch Restmengen des Von-Willebrand-Faktors gebildet werden, können diese kurzfristig durch Desmopressin freigesetzt werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/14 ab Seite 146.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

×