Seuchen der Welt
'FRANZOSENKRANKHEIT'
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Fakt ist: Im Europa des späten 15. Jahrhunderts schlug eine „neue” Krankheit „Morbus gallicus”, also „französische Krankheit”, heute Syphilis, auch Lues venerea oder harter Schanker genannt, ausgehend von Neapel, wo der französische König Karl VIII. mit seinen Söldnern einmarschiert war, mit verheerender Gewalt zu. Als Folge dieses Syphilisausbruchs von Neapel 1495 überzog innerhalb von fünfzig Jahren eine schwere Syphilisepidemie Europa. Diese schwächte sich zwar infolge eines Virulenzverlustes deutlich ab, die Erkrankung selbst blieb aber bis heute erhalten.
Ob die Krankheit tatsächlich durch erkrankte Seeleute des Konquistadors Christoph Kolumbus aus Westindien eingeschleppt wurde oder in etwas anderer Form schon zuvor in Europa existierte, ist bis heute umstritten.
Krankheitszeichen Syphiliskranke hatten damals – wie Abbildungen und Schilderungen belegen – am Körper dicke Pusteln und Abszesse, die sich bis zu den Knochen durchfraßen. Ihre Gesichter waren so eingefallen, dass sie aussahen wie Totenschädel. In der Regel war die Syphilis tödlich. Heute ist bekannt, dass es verschiedene Stadien der Erkrankung gibt.
Typisch ist der Beginn mit im Regelfall im Genitalbereich befindlichen schmerzlosen, am Rand verhärteten, geröteten Geschwüren, die eine farblose hochinfektiöse Flüssigkeit absondern. Da diese Geschwüre auch unbehandelt nach vier bis sechs Wochen abheilen, bleibt die Erkrankung in diesem Stadium immer noch öfter unerkannt. Kurze Zeit später folgen Lymphknotenschwellungen am ganzen Körper, grippeartigen Beschwerden wie Fieber, Abgeschlagenheit, Kopf- und Gliederschmerzen. Nach zehn Wochen erscheint bei den meisten Erkrankten ein Exanthem (Hautausschlag).
Vielfältiger Haut-und Organbefall, etwa gummiartig verhärtete Knoten und große Geschwüre auf der Haut, kennzeichnen das nächste Stadium. Jahre später im Endstadium kommt es zur Zerstörung des gesamten zentralen Nervensystems. Kinder von erkrankten Müttern können sich schon im Mutterleib anstecken. Sie leiden dann unter Blindheit, Taubheit und den charakteristischen „Stift-Zähnen” (Lues connata).
Allmählicher Erkenntnisgewinn Als sich die Syphilis in Europa ausbreitete, wurde sie teilweise mit einer anderen „venerischen Krankheit” (von Venus, der römischen Göttin der Liebe) verwechselt: der Gonorrhoe, auch als Tripper schon seit der Antike bekannt. Denn dass sexueller Kontakt, also Geschlechtsverkehr, Hauptansteckungsquelle war, wurde früh entdeckt. Dabei gibt es lange Perioden, in denen die Betroffenen selbst kaum Symptome spüren, aber andere trotzdem anstecken können.
ÜBERBLICK
In unserer neuen Serie „Seuchen der Welt“ stellen wir Ihnen in den bevorstehenden Monaten folgende Themen vor:
+ Cholera
+ Typhus
+ Malaria
+ Pocken
+ Masern
+ Polio
+ Grippe
+ AIDS
+ SARS
Das Sprichwort „Eine Nacht mit Venus und ein Leben mit Merkur”, kam von dem weitverbreiteten Behandlungsversuch mit Quecksilber (lateinisch mercurius). Dabei war die hochgiftige Quecksilber-„Kur” schädlich wie die Krankheit selbst. Noch zu Zeiten des deutschen Komponisten Ludwig van Beethovens (1770 bis 1827), der infolge einer Syphiliserkrankung die letzten beiden Lebensjahrzehnte taub war, kam die Quecksilbertherapie häufig zum Einsatz.
1879 wurden schließlich die Gonokokken als Auslöser der Gonorrhö identifziert. 1905 fanden die deutschen Forscher Fritz Schaudinn (1871 bis 1906) und Erich Hoffmann (1868 bis 1959) in syphilitischen Schankern spiral- und fadenförmige Bakterien, den Syphiliserreger Treponema pallidum. 1906 entwickelte ein anderer deutscher Wissenschaftler, August von Wassermann (1866 bis 1925), zusammen mit seinen Kollegen einen Syphilisbluttest, bekannt als „Wassermannreaktion”. 1910 entdeckten der deutsche Bakteriologe Paul Ehrlich (1854 bis 1915) und sein japanischer Kollege Sahachiro Hata (1873 bis 1938) das allerdings noch sehr giftige Salvarsan als erste „Wunderwaffe” gegen die Syphilis.
Das 1928 von Alexander Flemming (1881 bis1955) entdeckte Penicillin wurde mit seiner breiteren Produktion ab1943 dann zur wahren „Wunderkur” gegen Syphilis, aber auch der Gonorrhoe. Penicillin G ist noch heute Mittel der Wahl zur Behandlung der „französischen Krankheit” in allen Krankheitsstadien. Dabei wird es intramuskulös ein bis zwei Mal, in fortgeschrittenem Krankheitsstadium aber auch intravenös über einen Zeitraum von mehreren Wochen gegeben.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 03/13 ab Seite 96.
Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin