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Gewichtsreduktion

BEI ADIPOSITAS HELFEN DIÄTEN NICHT

Wenn der Versuch abzunehmen scheitert, steht als Ursache oft Willensschwäche im Raum. Stimmt das, sind Diäten nur für motivierte, willensstarke Personen geeignet – oder was passiert dabei mit Stoffwechsel und Essverhalten?

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So, wie es immer mehr adipöse Menschen gibt, werden auch immer mehr Reduktionsdiäten angeboten. Die zahlreichen Programme unterscheiden sich in ihren Methoden erheblich voneinander. Nur wenige Diätformen sind wissenschaftlich überprüft.

Viele Studien betrachten sie nur für den kurzen Zeitraum der Intervention sowie höchstens ein bis zwei Jahre danach, um zu entscheiden, ob der Erfolg signifikant ist. Die Langzeitwirkung wäre viel spannender. Die Studien verdeutlichen zwar, dass Diäten für einen kurzen Zeitraum wirksam sind oder Gesundheitsrisiken reduzieren. Diese Effekte können aber in den wenigsten Fällen langfristig gehalten werden und schlagen oftmals sogar ins Gegenteil um, sobald Ernährungseinschränkungen wieder aufgehoben werden.

Großer gesellschaftlicher Druck, schnell massiv Gewicht zu verlieren

Viele adipöse Menschen stehen in unserer Gesellschaft erheblich unter Druck. Sie sollen und wollen schnellstmöglich und effektiv Gewicht verlieren. Da Menschen mit einem BMI weit über 40 häufig über 50 Kilogramm Übergewicht abnehmen müssen, empfinden sie ein Kilogramm Abnahme pro Monat oft als viel zu wenig. Für sie fühlt es sich an wie eine endlose Phase der Restriktion, Reduktion und Disziplin, wobei kaum ein Horizont ersichtlich ist, wann tatsächlich ein Neutralgewicht zu erreichen sein mag. 

Viele adipöse Menschen suchen sich daher Methoden aus, durch die sie in schnellstmöglicher Zeit viel Gewicht verlieren. In unserer Gesellschaft gilt bei Abnehmprogrammen als erfolgreich, wer in kürzester Zeit die meisten Kilos verliert – so wird es durch moderne Medien wie soziale Netzwerke oder Fernsehformate beworben und so wird es gelebt, auch unter adipösen Menschen.

Formula-Diäten

Viele Personen führen beispielsweise Formula-Diäten durch. Dabei ersetzt ein bilanziertes Produkt mit reduzierten Kalorien mindestens eine Mahlzeit am Tag: vor allem industriell hergestellte Shakes, Fertiggerichte oder Pulver zum Anrühren, wie sie auch über Apotheken vertrieben werden. Die Verordnung für diätetische Lebensmittel (Anlage 17) definiert genau, in welchem Verhältnis Proteine, Kohlenhydrate, Fette, Vitamine und Mineralstoffe in den Ersatzprodukten enthalten sein sollten. Häufig sind Formula-Diäten Teil von Abnehmprogrammen.

Ein Fallbeispiel aus dem wahren Leben

Das folgende Fallbeispiel zeigt, wie sich restriktive Diätprogramme bei Menschen mit Adipositas in der Praxis auswirken. Dabei wird der Krankheits- und Gewichtsverlauf von Frau Beier* vorgestellt. Frau Beier ist 51 Jahre alt und seit ihrer Kindheit übergewichtig, da ihre Familie sich hochkalorisch ernährte. Ab dem Jugendalter litt Frau Beier unter dem Übergewicht, damals begann sie mit ersten starren Restriktionen ihr Körpergewicht zu reduzieren.

Dabei führte sie beispielsweise Maßnahmen durch,

  • die die Ernährung sehr einschränkten,
  • bei denen es viele Verbote gab,
  • die eine stark reduzierte Kalorienzufuhr vorsahen und
  • bei denen sie sich an einen sehr strengen Ernährungsplan halten musste.

Die Methoden wurden bezeichnet als Brigitte-Diät, Ananas-Diät, Atkins-Diät, Low Carb oder Trennkost, auch zu Formula-Diäten griff Frau Beier. Als junge Erwachsene konnte sie damit noch, wie sie selbst schilderte, große Erfolge verzeichnen. Bei einer Formula-Diät mit Mitte zwanzig nahm sie beispielsweise in drei Monaten 18 Kilogramm ab.

Gewicht sinkt, stagniert, steigt

Ab einer gewissen Zeit stagnierte das Gewicht aber immer, dann fiel es Frau Beier immer schwerer die starren Prinzipien einzuhalten. Sie nahm wieder „verbotene” Lebensmittel und mehr Kalorien zu sich. Der Jojo-Effekt folgte: Nach jeder Diät nahm Frau Beier wieder zu, hatte nach einer gewissen Zeit sogar mehr auf der Waage als vor der Diät, was sie zunehmend frustrierte. Mit steigendem Alter nahm sie bei Diätversuchen langsamer ab, weshalb sie ihre Ernährung immer strikter einschränkte, um überhaupt noch eine für sie passable Abnahme zu erreichen. Dafür nahm sie immer schneller zu, obwohl sie weder große Portionen noch Convenience-Produkte verzehrte. 

Chronische Krankheiten beeinflussen Stoffwechsel

Vor 15 Jahren wurde bei ihr ein Lip-/Lymphödem diagnostiziert. Dabei staut sich Lymphflüssigkeit in den Gliedmaßen, weil das Gefäßsystem geschädigt ist. Ein primäres Lymphödem ist angeboren, ein sekundäres entwickelt sich, wenn zu viel Masse auf das Lymphsystem drückt. Vor fünf Jahren wurde zudem die Schilddrüsenerkrankung Hashimoto festgestellt.

Unsere Autorin Sabrina Thaden ist Ernährungstherapeutin. Mehr zu ihrer Person und ihrem fachlichen Hintergrund finden Sie unter www.nutrition-master.de

Seitdem hat Frau Beier das Gefühl, dass sie Nahrung nur noch anschauen muss und davon zunimmt. Laut Ernährungsprotokoll und Berechnung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) verzehrte sie sogar eine Kalorienzufuhr unter ihrem Energieumsatz. Die jahrelangen Diäten, die Hashimoto-Thyreoiditis und das Lip- und Lymphödem haben ihren Energieumsatz beeinflusst. Die typischen Formeln zur Berechnung der täglichen Kalorienmenge beziehen immer nur Alter, Geschlecht, Gewicht und Aktivität ein. Faktoren wie den Einfluss von Diäten bleiben unberücksichtigt.

Hungern hilft nicht bei Adipositas

Bei einer restriktiven Diät wie einer Formula-Kur ruft der Körper den Notstand aus. Der Mensch lebt erst seit etwa 60 Jahren im Überfluss und bewegt sich zu wenig. Davor war das Nahrungsangebot immer geprägt von Mangel. Früher gab es bei schlechten Ernten monatelang eine zu geringe Kalorienzufuhr. Noch vor 100 Jahren im ersten Weltkrieg hungerte eine Vielzahl von Menschen in heutigen Wohlstandsländern. Die Menschheit hat überlebt durch folgende Notfall-Strategie: Bei einer zu geringen Kalorienzufuhr wird Muskelmasse abgebaut und der Grundenergieumsatz gesenkt. Sobald wieder Nahrung vorhanden ist, füllt der Körper Energiespeicher, vorzugsweise in Form von Fettreserven, auf. 

Dieses Programm ruft der Körper auch heute noch in und nach jeder Diät-Phase ab. Denn Gene ändern sich nicht innerhalb weniger Generationen. Durch Weight Cycling, also den ständigen Wechsel von Ab- und Zunahme, zwischen Diäthalten und dem anschließenden „zu viel“-Essen, werden schwerwiegende Gefahren für den Körper vermutet. 

Diäten werden kaum als sichere und effektive Behandlungsmethode von Adipositas angesehen. Vor diesem Hintergrund sollte umso mehr betrachtet werden, welchen Effekt das ständige Diäthalten auf Körper und Psyche hat.

Sabrina Thaden

* Namen geändert

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