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Politik

EINE FRAGE DER PERSPEKTIVE

Zum Jahresbeginn kam in Deutschland ein neues Arzneimittel auf den Markt, mit dem Hepatitis-C-Infektionen geheilt werden können. 700 Euro kostet eine Tablette, 20 000 Euro eine Packung. Wucher und eine Bedrohung für das Gesundheitssystem?

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Etwa 300 000 Menschen sind hier zu Lande mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert. Hauptursache ist die intravenöse Injektion von Drogen. Bei chronischem Verlauf drohen den Betroffenen Leberzirrhosen und maligne -tumore. Therapeutisch kamen in der Vergangenheit insbesondere pegyliertes Interferon alpha, Ribavirin und Proteasehemmer wie Boceprevir oder Telaprevir zum Einsatz. Die Behandlung ist oftmals mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden.

Mit dem neuen Polymerasehemmer Sofosbuvir (Sovaldi®) können (in Kombinationstherapien) hohe anhaltende virologische Ansprechraten bei häufig verkürzter Behandlungsdauer und besserer Verträglichkeit erzielt werden als unter den bisher verfügbaren Therapien.

Im Juli hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Rahmen der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoff Sovaldi® zur Behandlung einer chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion (teilweise) einen beträchtlichen Zusatznutzen attestiert. Faktisch rückt mit dem Arzneimittel eine fast garantierte Heilung HCV-Infizierter in greifbare Nähe. Doch der therapeutische Fortschritt hat seinen Preis. 20 000 Euro kostet eine Packung. Bei einer Therapiedauer von 24 Wochen summieren sich die Kosten auf mehr als 100 000 Euro. Viel Geld. Zu viel Geld?

Gesetzgeber soll prüfen Aufgeschreckt von den Krankenkassen sieht der G-BA den Gesetzgeber gefordert. Er solle prüfen, ob der für innovative Arzneimittel auf Basis der frühen Nutzenbewertung ausgehandelte Preis in Zukunft rückwirkend gelten solle. Ein teures, wenngleich überzeugendes Mittel wie Sofosbuvir habe seine Forschungskosten bereits amortisiert, wenn die Verhandlungen über den späteren Preis abgeschlossen sind, so die Einschätzung des mächtigen Ausschusses, der für mehr als 70 Millionen Versicherte festlegt, welche Leistungen der medizinischen Versorgung von der Gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden.

»Vielmehr ist von einem nachhaltig hohen Preisniveau auszugehen.«

Eine derartige Gesetzesänderung hätte weitreichende Folgen für die Pharmaunternehmen und die Patientenversorgung. Das unternehmerische Risiko der Markteinführung einer Arzneimittelinnovation würde deutlich erhöht, die Entwicklung neuer Wirkstoff könnte ins Stocken geraten. Dem pharmazeutischen Unternehmer drohten für die Dauer der zwölfmonatigen Preisfindungsphase kaum kalkulierbare finanzielle Rückforderungen der Krankenkassen. Apotheken und Großhandel könnten zudem betroffen sein, weil Distributionsaufschläge eine prozentuale Komponente haben, die auf dem Abgabepreis des Herstellers aufsetzen.

Patienten hätten das Nachsehen Zu bedenken ist zudem, dass die Einführung von Innovationen auf den deutschen Markt und damit der Zugang für Patienten massiv gestört und verzögert werden könnte. Pharmazeutische Unternehmen könnten erwägen, Arzneimittel erst nach Abschluss der frühen Nutzenbewertung und Erstattungsbetragsverhandlungen an den Handel zu liefern. Patienten wären dann unter Umständen hier zu Lande gezwungen, auf Arzneimittelinnovationen länger zu warten.

Gerade dieser unmittelbare Zugang der Patienten zu Arzneimittelinnovation nach der Zulassung war bisher der wesentliche Vorteil des in Deutschland etablierten Verfahrens, während in anderen europäischen Ländern regelmäßig Preisverhandlungen mit den Krankenkassen vor Markteintritt abgeschlossen sein müssen. Diese als „vierte Hürde“ bezeichnete zeitliche Verzögerung wollte man Bundesbürgern ersparen.

Derzeit befinden sich etliche weitere sogenannte nicht-nukleosidische Polymerasehemmer wie Sofosbuvir in Phase-III-Studien, doch ist kaum davon auszugehen, dass Konkurrenzprodukte zu einem Preisrutsch führen und sich insoweit der Handlungsdruck vermindert. Vielmehr ist von einem nachhaltig hohen Preisniveau für diese Arzneimittel auszugehen. Schlimmer noch. Immer speziellere Arzneimittel für einzelne Patientenkollektive (z. B. in der Onkologie) könnten zu einer Zuspitzung der Preisproblematik insgesamt führen.

ZUSATZINFORMATIONEN
Was ist angemessen?
Insoweit ist die Frage nach einem angemessenen Preis für „echte“ Arzneimittelinnovationen aktueller denn je. Eine Richtschnur könnte sein, welche Kosten (im Verhältnis zum Patientennutzen) in der Vergangenheit von der Gesellschaft noch akzeptiert wurden. Im Falle der Hepatitis-C-Therapie betrugen die Kosten bereits bisher mehrere 10 000 Euro. Im Endstadium einer Leberzirrhose können diese Summen auch jährlich auflaufen. Die Kosten für eine Lebertransplantation erreichen mitunter gar einen sechsstelligen Betrag, zusätzliche Arzneimittel bis zum Lebensende nicht eingerechnet.

So gesehen, relativieren sich auf den ersten Blick horrende Arzneimittelpreise für eine neue, vielversprechende Therapieoption, zumindest wenn man die langfristigen Einsparungen chronischer HCV-Infektionen nicht außer Acht lässt. Eine finanzielle Bedrohung für das deutsche Gesundheitssystem stellen solche „Einmaltherapien“ nicht dar. Trotzdem wird der Gesetzgeber vermutlich nicht tatenlos zusehen (können) und die Preisregulierung für innovative Arzneimittel weiterentwickeln (müssen).

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/14 ab Seite 98.

Dr. Michael Binger, Hessisches Sozialministerium

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