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Kulinaria

EINE ECHTE CHIMÄRE

Sie tragen Namen wie Hallimasch, Totentrompete oder Krause Glucke: Dass Pilze sonderbare Wesen sind, spiegelt sich auch in ihrer Botanik wider. Fungi stehen zwischen Pflanze und Tier.

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Ein Pilz kann nicht weglaufen, ist also festgewachsen wie eine Pflanze. Doch Pflanzen ernähren sich von Licht, Luft und Wasser. Pilze aber verzehren organische Materialien. Ihre Zellen enthalten Vakuolen und Zellwände, keine Chloroplasten, sie treiben keine Photosynthese. Und sie benutzen Glykogen für die Speicherung von Nährstoffen – die Pflanze macht das mit Stärke. Zu allem Überfluss lagert ein Pilz Chitin in seiner Außenhaut statt Zellulose. Ist der Pilz an sich also ein Tier?

Nicht Fisch, nicht Fleisch Ist er nicht. Er steht jedoch den Tieren näher als den Pflanzen. Da er sich nach wie vor nicht eindeutig zuordnen lässt, wies ihm die Wissenschaft ein eigenes Reich zu, das der vielzelligen Eukaryonten; die Lehre von den Pilzen heißt Mykologie. Man kann den Pilz essen, wie den Champignon, man kann sich vor ihm ekeln, wie vor dem Mehltau, und man kann sogar Medizin aus ihm gewinnen, wie aus dem Penicillinum notatum. Letzterer war jener Schimmelpilz, den Alexander Fleming während seines Sommerurlaubs 1928 im Labor vergaß.

Als er zurückkehrte, bemerkte er, dass dieser Pilz in der Agarschale das Bakterienwachstum in seiner Nähe unterband; die Folgen sind bekannt. Speisepilze gehören zu den „höheren“ Pilzen. Was da aus dem Waldboden wächst, ist eigentlich der Fruchtkörper, ähnlich wie ein Apfel. Pilze haben sonderbare Wurzeln. Aus dem Spor, einer Art Samenkorn, wächst eine Hyphe, die unter dem Mikroskop aussieht wie ein Haar und „Pilzfaden“ heißt. Viele Hyphen ergeben ein Mycel, das sich wiederum mit einem verschiedengeschlechtlichen Mycel vereinigen muss, um einen neuen Pilz zu erzeugen.

Ab ins Körbchen Wildpilze wachsen im Wald; sie wachsen auf dem Boden zwischen Tannennadeln und krümeliger Humuserde, die sie selbst produzieren; sie bevorzugen mal einen schattigen, mal einen sonnigen Standort. Pilzkenner wandern mit einem Körbchen und einem scharfen Messer los, vorzugsweise zwischen August und Oktober.

Das Weidengeflecht lässt Luft an die Außenhaut der Pilze, denn sie verderben schnell; das scharfe Messer lässt die langfädigen Wurzeln an Ort und Stelle; ein wenig Erde nach dem Abschneiden darüber lässt auch in nächsten Jahr noch Pilze sprießen. Doch Vorsicht! Wie jeder weiß, haben Pilze so ihre Abwehrmechanismen Fressfeinden gegenüber entwickelt und dazu gehört ihre partielle Giftigkeit.
Der weiße Knollenblätterpilz, einer der giftigsten Pilze Europas, kann in jüngerer Form durchaus mit dem völlig unschädlichen Wiesenchampignon verwechselt werden.

Nicht jeder giftige Pilz zieht „aus lauter Purpur ein Mäntlein um“, wie das Kinderlied den Fliegenpilz beschreibt, der so leicht an seiner weißgepunkteten, knallroten Haube zu erkennen ist. Amanita muscaria ist sein botanischer Name; sein Gift heißt Ibotensäure, das im Körper zu Muscimol umgewandelt wird und psychogen wirkt. Amatoxin wiederum entfaltet im grünen, gelben und weißen Knollenblätterpilz seine bereits in kleinen Mengen tödliche Wirkung, indem es die Leber funktionsunfähig macht.

Mineralstoffbomben Doch wer die Klippen der Beschaffung umschifft hat – das geht wahrscheinlich am besten im Supermarkt oder auf dem Wochenmarkt – der bekommt ein einzigartiges Lebensmittel an die Hand. Pilze sind Mineralstoffbomben, haben gesundheitsfördernde Eigenschaften und werden in der Traditionellen Chinesischen Medizin sogar als Heilmittel eingesetzt.

Zum Beispiel der Steinpilz: Er hat ein starkes, nussiges Aroma, das in getrockneter Form sogar noch zu nimmt. 100 Gramm Steinpilze haben sieben Gramm Ballaststoffe und über fünf Prozent Eiweiß. Sie enthalten sagenhafte 184 Mikrogramm Selen, sind also für Schilddrüsenpatienten von einigem Wert.
Der Steinpilz, wie auch seine anderen essbaren Kollegen, enthalten 20 Prozent mehr Kalium als Fleisch, was ihre blutdrucksenkende Wirkung erklärt, und er könnte, täglich gegessen, durchaus die eine oder andere Zinktablette ersetzen – denn auf 100 Gramm Steinpilz gibt es 1,5 Milligramm Zink.

Vitamin A, B3 (Niacin) und C sind ebenfalls auf den vordersten Plätzen. Vor allem in einem sind Pilze gerade für Vegetarier interessant: Als Zulieferer von Vitamin D, das in höherer Konzentration vor allem in Fisch vorliegt.

Speichermedium Die Schattenseiten für den Endkonsumenten liegen hier: Wildpilze speichern Schwermetalle und Radionukleide wie ein Schwamm. So wurde nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl auch anhand der Messungen an Pilzen das Ausmaß der radioaktiven Strahlung erhoben. Steinpilze und Pfifferlinge, die beide um diese Jahreszeit in größeren Mengen aus Ost- und Südeuropa zu uns kommen (in Deutschland darf nur für den Eigenbedarf geerntet werden), lassen sich nicht züchten und müssen daher wild gesammelt werden.

Sie haben das typische Aroma, das jedem Gericht eine unvergleichliche Note gibt. Steinpilze kann man sehr gut trocknen; dazu werden sie in circa drei Millimeter dicke Scheiben geschnitten, auf Bindfaden gefädelt und ein paar Tage an einem trockenen Ort gehängt (gleiches funktioniert auch auf der Heizung oder im Dörrofen). Sind sie aller Feuchtigkeit beraubt, halten sie sich in einem gläsernen Schraubglas jahrelang.

Drei Zuchtsorten Pilze sind kapriziös und lassen sich nicht anbauen wie Roggen oder Weizen. Nur drei machen da eine Ausnahme: Der Champignon, der Austernpilz und der Schopf-Tintling. Letzterer hat die unangenehme Eigenschaft, zu einer blauschwarzen Masse (Tinte) zu zerfließen, wenn man sich nicht sehr bald nach der Ernte um ihn kümmert, dann wird er ungenießbar.

Doch der Champignon, den gibt es überall; er ist unkompliziert und gut zu verarbeiten. Seine Frische erkennt man, wenn man seinen Hut eindrückt: Bleibt die Delle bestehen und fühlt sich der ganze Pilz überhaupt sehr gummiartig an, wirft man ihn lieber weg. Der Austernpilz oder -seitling wirkt in der Natur auf unverzichtbare Weise als Destruent: Er ernährt sich vom Lignin im Holz, weshalb er gern auf Rotbuchen sitzt. Er hat nicht nur den Ruf, ausgezeichnet zu schmecken, sondern auch cholesterinsenkend zu wirken.

Es gibt verschiedene Studien zu dieser Eigenschaft, aber auch in Richtung Prävention des Darmkrebses zeigen sich Hinweise. Der oben erwähnte Schopftintling soll laut TCM auf bösartige Tumoren wirken, auch auf Prostatakrebs, und dass dieser spezielle Pilz den Blutzucker senkt, hat ein Mykologe im Eigenversuch bewiesen.

Das Rezept Zum Schluss noch ein unschlagbares, weil einfaches Rezept, um Pilze zuzubereiten und dabei ihren Eigengeschmack zu erhalten: Zwei Zwiebeln fein hacken und in einer großen, hohen Pfanne in Butter oder Öl anschwitzen. 600 bis 1000 Gramm gehackte Pilze dazugeben, scharf anbraten, mit Mehl bestäuben, mit Salz und Pfeffer und eventuell etwas Zitronenschale abschmecken. Dann reichlich Sahne dazugeben (lieber ein bisschen mehr) und etwa zehn Minuten bei mittlerer Temperatur einköcheln lassen. Zum Schluss ein Bund feingehackte Petersilie dazugeben. Schmeckt wie verrückt und am besten passen Semmelknödel dazu.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/16 ab Seite 94.

Alexandra Regner, PTA, Journalistin und Redaktion

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