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Amputationen

EIN ENDGÜLTIGER EINGRIFF

Eine schreckliche Vorstellung, Gliedmaßen zu verlieren! Heutzutage führen hauptsächlich chronische Durchblutungsstörungen zu Amputationen. Sie können sich aufgrund eines nicht gut eingestellten Diabetes mellitus entwickeln.

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Bei einer Amputation wird ein Körperteil vom gesunden Gewebe abgetrennt, meist von den Armen oder Beinen. Die Entscheidung über die Entfernung der Gliedmaßen wird getroffen, wenn die Schädigung so stark ist, dass eine Heilung ausbleibt und/oder der Erhalt des Körperteils für den Patienten mit Risiken einhergehen würde. Diabetiker leiden häufig unter Schädigungen der Nerven. Insbesondere im Bereich der Füße besteht die Gefahr, Hautverletzungen nicht zu bemerken. Oft siedeln sich dort Keime an, zudem werden Schadstoffe nicht abtransportiert und die verschiedenen Gewebe nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt.

Die chronischen Wunden eines Diabetischen Fußsyndroms entdecken Betroffene oft zu spät, sodass es in Folge zu Amputationen kommen kann. In Deutschland existiert zwar kein Amputationsregister, allerdings geht man aufgrund der Daten der gesetzlichen Krankenkassen davon aus, dass die Zahl der Amputationen im Bereich der Beine und Füße jährlich bei etwa 60 000 Fällen liegt. Dabei erfolgen 85 Prozent aller Zehen- und Fußamputationen aufgrund des Diabetischen Fußsyndroms.

Medizinische Fortschritte Einst kamen Amputationen als Folge von (kriegsbedingten) Verletzungen oder Unfällen vor, aufgrund der verbesserten Behandlungs- und Operationsmethoden in den letzten Jahrzehnten sind diese Gründe heut- zutage eher selten. Früher waren auch Brustamputationen im Zusammenhang mit Brustkrebs üblich, mittlerweile gehen Chirurgen schonender vor und operieren in den meisten Fällen brusterhaltend.

Einbildung oder Schmerz? Es klingt paradox: Manche Menschen klagen nach der Amputation eines Körperteils über Phantomschmerzen, also über schmerzhafte Empfindungen in dem Glied, das bereits abgetrennt wurde. In der Regel betrifft die Problematik die Arme oder die Beine. Auch nach der Beseitigung von Körperteilen, die nicht zu den Gliedmaßen gehören (also nach Zahnextraktionen, Brustamputationen oder die Entnahme eines Auges), sind Symptome möglich. Phantomschmerzen können allerdings auch durch Unfälle, Nervenerkrankungen, degenerative Prozesse oder nach chirurgischen Eingriffen auftreten.

Früher ging man davon aus, dass die Ursachen für die empfundenen Schmerzen psychischer Natur sind, heutzutage existieren verschiedene Theorien darüber, weshalb in dem fehlenden Körperteil schmerzhafte Empfindungen entstehen. Fest steht, dass Faktoren wie Stress oder Angst die Beschwerden verstärken. Manchmal leiden Betroffene ein Leben lang unter Phantomschmerzen, während sie sich bei anderen Patienten mit der Zeit verbessern. Phantomschmerzen sind von Stumpfschmerzen abzugrenzen, bei denen im vorhandenen Stumpf tatsächliche Schmerzen spürbar sind.

Rund 50 000 Amputationen im Bereich von Beinen und Füßen werden jährlich als Folge von Diabetes durchgeführt.

Phantomschmerz Wie erklären Sie Kunden am besten, dass in einem fehlenden Körperteil Beschwerden auftreten können? Zunächst begründete man Phantomschmerzen mit Entzündungen an den durchtrennten Nervenendigungen, die möglicherweise Signale zum Gehirn aussenden. Man vermutete, dass das Gehirn diese Impulse als Schmerz interpretieren würde. Jedoch hat sich diese Erklärung nicht bewährt, da es auch Menschen gibt, denen von Geburt an Gliedmaßen fehlen und die dennoch über die Schmerzempfindungen in den fehlenden Körperteilen klagen.

Kortikale LandkarteIn der Großhirnrinde des Gehirns repräsentieren die verschiedenen Areale die unterschiedlichen Körperteile. Bei der Amputation erhält das entsprechende Areal keine Signale mehr aus der Peripherie, sodass sich das Gehirn aufgrund seiner Plastizität umstellt. Früher ging man davon aus, dass die Zuteilung angeboren und unveränderlich ist, heute ist bekannt, dass sich die kortikale Zuordnung flexibel gestaltet. Bei einigen Menschen funktioniert die kortikale Reorganisation nicht einwandfrei, sodass das Hirnareal vom benachbarten Bereich übernommen wird. Die Empfindungen aus diesen Hirngebieten werden auf die fehlenden Gliedmaßen projiziert. Die Repräsentation des Gesichts befindet sich auf der kortikalen Landkarte beispielsweise neben der Repräsentation der Hand. Reize im Gesicht äußern sich bedingt durch das sogenannte Remapping auch in der Handregion – Betroffene empfinden durch die Fehlverarbeitung Schmerzen.

Gegen das Phantom Bereits vor der Amputation ist es möglich, Phantomschmerzen vorzubeugen, indem man aktuelle Schmerzen behandelt. Dadurch reduzieren Betroffene die Schmerzempfindlichkeit und hemmen das Schmerzgedächtnis. Postoperativ hilft eine spezielle Verhaltenstherapie, die der Neurologe Vilayanur Ramachandran im Jahre 1996 entwickelt hat: Patienten setzen sich so vor einen Spiegel, dass sie lediglich die gesunde Gliedmaße, nicht das fehlende Körperteil betrachten.

Bewegen sie beispielsweise die gesunde Hand, wird dem Gehirn durch den Spiegel vorgegaukelt, der Körper würde noch beide Gliedmaßen besitzen. Das verwaiste Gehirnareal wird aktiviert, sodass die Ersatzempfindung „Schmerz“ nicht mehr ausgelöst werden muss. Während einer Amputation ist die Anwendung von Lokalanästhetika sinnvoll: Die Wirkstoffe unterbrechen die Reizleitung an der durchtrennten Faser und die Weitergabe von Impulsen an zentrale Neuronen wird gestoppt. Dadurch können Phantomschmerzen im Vorfeld verhindert oder zumindest minimiert werden.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/2020 ab Seite 106.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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