© KeremYucel / iStock / Thinkstock

Sucht

DROGE INTERNET

Wer ohne Smartphone, Tablet oder Computer unruhig wird, könnte von einer Online-Sucht betroffen sein. Problematisch ist, dass Kinder und Jugendliche immer früher in Kontakt mit diesem potentiell abhängig machenden Verhalten kommen.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Smombies nennt man sie: Die Menschen, die ihre Finger nicht vom Smartphone lassen können. Der Begriff wurde 2015 im Auftrag des Langenscheidt- Verlags von einer Jury zum „Jugendwort des Jahres“ in Deutschland gewählt. Er setzt sich aus den Wörtern Smartphone und Zombie zusammen. Laut Langenscheidt sind damit die Personen gemeint, die durch den ständigen Blick auf das Handy so stark abgelenkt sind, dass sie ihre Umgebung kaum noch wahrnehmen. Vor der Nominierung war das Wort allerdings noch nicht im Internet aufgetaucht, sodass im Anschluss an die Entscheidung diskutiert wurde, ob es sich eventuell um eine reine Erfindung im Rahmen der Wahl handele.

Normaler Umgang oder Sucht? Die Übergänge vom häufigen Internetgebrauch zur Abhängigkeit sind fließend und oft nicht deutlich erkennbar. Von einer Sucht spricht man, wenn der Betroffene sein Verhalten nicht mehr kontrollieren kann, sodass es zu gravierenden Einschränkungen im Alltag kommt. Erste Anzeichen sind Kommentare von Freunden oder Familie, die den verstärkten Konsum thematisieren.

Indizien für eine Online-Abhängigkeit Aus dem Drogen- und Suchtbericht 2016 wird deutlich, dass die Zahl der trinkenden und rauchenden Jugendlichen zwar zurückgegangen ist, das Phänomen der Internetsucht jedoch in den Vordergrund rückt. Es soll sogar Extremfälle geben, in denen Internetjunkies Windeln anziehen, damit sie Online- Rollenspiele nicht verlassen müssen. Als besonders gefährdet gelten Menschen mit Kommunikationsund Beziehungsstörungen, also gerade solche Personen, denen es in der realen Welt nicht leicht fällt, Partnerschaften zu pflegen oder mit anderen Menschen zu kommunizieren. Verschiedene Hinweise deuten darauf hin, dass es sich um ein problematisches Verhalten handeln könnte:

  • Spiele ich täglich stundenlang über Monate hinweg?
  • Habe ich Probleme aufzuhören oder eine Pause einzulegen?
  • Vernachlässige ich Verpflichtungen?
  • Leide ich darunter, wenn ich einmal nicht online sein kann?
  • Wird das Smartphone in deutlich unangemessenen Situationen genutzt?
  • Sind reale Kontakte weniger wichtig als die Handy-Kommunikation?
  • Werden das Smartphone oder der Computer zur Aufheiterung oder zum Stressabbau verwendet?
  • Sind das Smartphone oder der Computer das Wichtigste im Leben?

Wer diese Fragen mit ja beantwortet, erfüllt einige von vielen Anzeichen einer Internetsucht. „Die Sucht beginnt, wenn die virtuelle Welt das eigene Leben dominiert, die Gedanken nur noch um den Cyberspace kreisen, Hobbys und Freundschaften, ja selbst der Kontakt zur Familie dafür aufgegeben werden“, erklärt Rainer Thomasius, ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

Umgangssprachlich spricht man im Zusammenhang der Internetabhängigkeit von einer „Sucht“ – genau genommen handelt es sich um eine substanzungebundene Abhängigkeit, welche laut ICD-10 in folgende Bereiche kategorisiert werden kann:

  • F63 Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle
  • F63.0 Pathologisches Spielen
  • F63.8 Sonstige abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle
  • F63.9 Abnorme Gewohnheit und Störung der Impulskontrolle, nicht näher bezeichnet

Die Internetabhängigkeit gilt als Exot unter den Impulskontrollstörungen, weil sie nicht durch ein zwanghaftes Beenden eines unangenehmen Spannungszustandes beschrieben werden kann. Stattdessen entgleitet die Kontrolle über ein ursprünglich als Vergnügen erlebtes Verhalten. Da bislang keine einheitliche Diagnose vorliegt, wird die Computer-, Smartphone- oder Internetabhängigkeit von den Krankenkassen oder Rententrägern nicht anerkannt. Meist wird auf die oben beschriebenen Diagnosen zurückgegriffen, um Betroffene zu therapieren. Eine Maßnahme ist in solchen Einrichtungen möglich, in denen die Bereiche Sucht und Abhängigkeit behandelt werden.

Das Problem einer Internetsucht besteht darin, dass im Gegensatz zu stofflichen Abhängigkeiten eine vollständige Abstinenz nicht als Ziel gelten kann, weil Computer, Smartphones & Co. zum alltäglichen Leben dazu gehören. Betroffene sollen daher erlernen, einen kontrollierten, bewussten und gesellschaftlich angepassten Umgang mit dem Medium zu pflegen. Wer sich dazu entschieden hat, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, könnte sich mit der Problematik zunächst an seinen Hausarzt wenden. Konkrete Adressen von Suchtberatungsstellen sind beim Fachverband für Medienabhängigkeit zu finden.

Verantwortungsvoll Surfen Damit es erst gar nicht zu einer Abhängigkeit kommt, sind insbesondere folgende Aspekte im Auge zu behalten: Das soziale Umfeld sowie der eigene Online-Konsum. Wer seinen Internetkonsum reduzieren möchte, könnte sich an eine enge Bezugsperson wenden, um die eigenen Bedenken und den Veränderungswunsch zu äußern. Gemeinsam können dann Ziele gesetzt werden, die das Verhalten im Internet definieren (zeitliche Eingrenzung, bestimmte Online-Tätigkeiten). Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man sich seines Online-Konsums bewusst ist. Betroffene könnten zunächst ein Tagebuch über das eigene Verhalten aufstellen, in dem notiert wird, wann, wozu und wie häufig man im Internet aktiv war.

Bei der Auswertung des Tagebuchs wird in der Regel deutlich, welche Handlungen ein Suchtpotential bergen und welche eher unbedenklich sind. Überall online Eine entscheidende Rolle bei der Internetsucht spielen Smartphones. Inzwischen besitzen etwa 44 Millionen Menschen in Deutschland ein solches Handy, 2009 waren es lediglich sechs Millionen Smartphone-Nutzer. Die Telefone erleichtern uns mit ihren informativen und praktischen Apps zwar den Alltag, haben allerdings auch ihre Schattenseiten, denn viele Menschen leiden unter der permanenten Ablenkung. Früher war das Internet „nur“ an stationären Computern erreichbar, das hat sich mit der Verbreitung der Smartphones geändert. Überall kann man Informationen sammeln, mal eben WhatsApp checken, ein Game zum Zeitvertreib spielen oder in sozialen Netzwerken wie Facebook mit Freunden kommunizieren. Und das macht sich auch in der Öffentlichkeit bemerkbar: Ob im Supermarkt, in der Straßenbahn oder auf dem Schulhof – viele Menschen haben permanent ihr Smartphone in der Hand.

Clash of Clans, World of Warcraft Neben dem rein funktionalen (z. B. der Informationssuche) Nutzen erfüllt das Internet auch emotionale Zwecke: Die „User“ haben die Möglichkeit, Anerkennung zu bekommen, indem sie etwa stundenlang an Rollenspielen teilnehmen. Hier erhalten sie die Bestätigung, die ihnen im Alltag fehlen mag – die Online- Spiele gehen somit über eine Freizeitbeschäftigung hinaus und dienen als Flucht aus der realen Welt.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/16 ab Seite 126.

Martina Görz, PTA, B. Sc. und Fachjournalistin

×