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Selbstmedikation

DR. GOOGLE

Wer krank ist, geht zum Arzt? Das ist längst nicht mehr so. Viele Betroffene informieren sich im Internet über ihre Beschwerden, bevor sie einen Mediziner konsultieren. Es ist Fluch und Segen zugleich.

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Every time I google my medical symptoms, I realize that I have cancer and have two months to live - heißt es manchmal scherzhaft in den sozialen Netzwerken. Suchmaschinen spucken nach der Eingabe von Symptomen tatsächlich oft abenteuerliche Krankheiten aus. Dennoch ist der Reiz für viele groß, erst einmal im Netz zu suchen, bevor sie sich in ein volles Wartezimmer mit hustenden und schniefenden Menschen setzen.

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass dieser Trend für viele Ärzte ein Problem ist. Von über 800 befragten Medizinern bewertete etwa die Hälfte kritisch, dass die Patienten mit vorab gegoogelten Beschwerden zu ihnen kommen, denn dies belaste die Arbeit in der Therapie. Fast ein Drittel der Befragten sei zudem der Ansicht, dass die Selbstinformation Patienten häufig verwirre und das Vertrauen zum Arzt beeinträchtige. Knapp ein Viertel der Mediziner rät Betroffenen sogar aktiv von der eigenständigen Suche nach Symptomen ab. Andere Ärzte störe es wiederum nicht, wenn Patienten sich im Netz informieren, denn ein aufgeklärter Patient arbeite auch besser mit.

Eine Folge der eigenständigen Symptomsuche sei aber auch, dass Patienten beim Arzt ein Medikament einfordern, obwohl sie es nicht unbedingt benötigen. Ihnen zu erklären, dass der Einsatz des Mittels gar nicht erforderlich ist, sei vermutlich schwieriger als ihnen ein neues Medikament zu verordnen.
Wer sich im Internet über Erkrankungen informiert, sollte zumindest auf seriöse Seiten zurückgreifen.

Bei dem gewaltigen Angebot ist es gar nicht so einfach, zuverlässige Quellen zu finden. Zwar gibt es auch Qualitätssiegel, diese sind allerdings kaum bekannt. Gibt man bei Google etwa den Suchbegriff „Kopfschmerzen“ ein, erhält man ungefähr 6 800 000 Ergebnisse: Tipps und Hausmittel gegen Kopfweh, Ursachen, Medikamente und spezielle Formen sind nur einige Aspekte der Ergebnisse. 

Übersetzung Arzt-Deutsch Für viele Kunden ist die medizinische Sprache ein Buch mit sieben Siegeln. Was bedeutet HWS, CT, EEG, EKG oder was ist gar eine Spondylophytenbildung oder ein Apoplex? Manchmal kommen Betroffene mit ihren Befunden in die Apotheke und hoffen auf den medizinischen Sachverstand von PTA und Apotheker.

Den Verwirrungen nach einem Arztbesuch kann jedoch auch eine Internetplattform ein Ende setzen: Hier werden Arztbriefe und Befunde von Medizinstudenten, die sich mindestens im achten Fachsemester befinden und ehrenamtlich arbeiten, kostenlos in eine für Laien verständliche Sprache übersetzt, während den Nutzern eine absolute Anonymität zugesichert wird. In einem „virtuellen Wartezimmer“ hinterlässt man eine Mail-Adresse und erhält innerhalb weniger Tage einen Link, um den Befund einzusenden.

Auf die Übersetzung warten die Patienten nur kurze Zeit (häufig nicht länger als 24 Stunden) und verschaffen sich auf diese Weise rasch Klarheit. Die Plattform „washabich.de“ wurde im Januar 2011 von den Dresdner Medizinstudenten Anja Kersten und Johannes Bittner sowie dem Trierer Diplom-Informatiker Ansgar Jonietz ins Leben gerufen.

Diese außergewöhnliche Idee wurde mit dem Querdenker-Preis 2016 gewürdigt, vergeben durch die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Die DGIM verleiht den Preis seit diesem Jahr an kreative und innovativ denkende Menschen, Organisationen oder Firmen, die mit ihren Ideen das Gesundheitswesen zukunftsweisend bereichern.

Dorn im Auge Es gibt seit Jahren sogar schon online-Arztpraxen wie DrEd.com, welche telemedizinische Leistungen anbieten. Die Plattform ermöglicht Betroffenen, mit Ärzten mittels Video, Telefon oder Fragebogen zu kommunizieren. Die ärztliche Beratung erfolgt demnach zuhause, im Büro oder unterwegs. Nach der Überprüfung stellen Ärzte Rezepte aus (z. B. Folgerezepte für Blutdruckund Cholesterolsenker) und versenden diese nach Hause oder sofort in eine Versandapotheke.

Dr. Ed berät seine Kunden allerdings nur in ausgewählten Indikationen, etwa bei erektiler Dysfunktion, bei Haarausfall oder vorzeitigem Samenerguss. Der Gesetzgeber möchte mit der 4. AMG-Novelle verbieten, dass Ärzte via Internet diagnostizieren und Rezepte per Email versenden. Apotheken sollen verschreibungspflichtige Medikamente künftig nicht mehr abgeben dürfen, wenn vor der Verordnung kein direkter Kontakt zwischen Patient und Arzt bestanden hat.

Gegen dieses Verbot protestiert der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA), da Versandapotheken nur einen geringen Teil am sogenannten Rx-Markt, also am Markt mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, haben.

Diagnose der Zukunft Die Plattform FindZebra ist auf seltene Krankheiten spezialisiert: Wenn Ärzte bei einem Patienten nicht mehr weiter wissen, können sie FindZebra konsultieren. In Tests schnitt FindZebra besser und schneller ab als Google.Übrigens steht der Begriff Zebra für eine Form der Fehldiagnose – mit dem Ausdruck bezeichnet man in der medizinischen Umgangssprache eine unwahrscheinliche Diagnose auf der Grundlage von Symptomen, die durch eine andere trivialere Diagnose besser erklärt würden.

Die Masse macht´s Neben Find- Zebra setzt auch Crowdmed, ein amerikanisches Startup, darauf, schwierige medizinische Fälle zu lösen. Crowdsourcing ist ein noch relativ neues Konzept, bei dem Unternehmer Internetnutzern eine Aufgabe geben. Dahinter steckt die Idee, dass die Meinung vieler Menschen die Qualität einer Expertenmeinung erreichen oder sogar übertreffen kann. Die sogenannten Medical Detectives lesen sich die Fälle mit allen Details durch und stellen darauf basierend eine Diagnose oder wählen eine bereits genannte Erkrankung aus. Der Nutzer erhält nach der Auswertung eine Liste seiner Top-Diagnosen und sollte diese daraufhin mit seinem Arzt besprechen.

Top 3 Laut Ärztezeitung informieren sich 80 Prozent der Internet-User im Netz über Gesundheitsthemen. Aufgrund der Umfrage einer Krankenversicherung weiß man nun, was die am häufigsten gegoogelten Fragen sind. Spitzenreiter ist die Schilddrüsenvergrößerung mit durchschnittlich 294 000 Suchen pro Monat, gefolgt von der Volkskrankheit Diabetes (140 220 Klicks) und Hämorriden (127 400 Suchen). Vermutlich sind die Unsicherheit und das Informationsbedürfnis bei Leiden wie der Schilddrüsenüberfunktion so hoch, weil sie mit vielfältigen Ursachen einhergehen und zahlreiche Therapieansätze verfügbar sind.

Keine Panik Der Umgang mit den gesammelten Informationen ist stark von der Psyche abhängig. Einige Personen interpretieren die Angaben als Indiz für ihre Gesundheit, andere fühlen sich nach der Eigendiagnose schwer krank. Hinzu kommt, dass es für Laien schwierig ist, die im Internet erhältlichen Angaben richtig einzuschätzen. Ein wesentlicher Nachteil ist, dass sie mit den Resultaten ihrer Suche alleine bleiben und diese nicht reflektiert ist. Daher wird Dr. Google häufig Panikmache vorgeworfen, schließlich fördere das System bei vielen Menschen eine Hypochondrie.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/16 ab Seite 146.

Martina Görz, PTA, B. Sc. und Fachjournalistin

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