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Tollwut

DIE GEBANNTE GEFAHR?

Seit 2008 gilt die Wildtollwut in Deutschland als ausgerottet. Doch durch die zunehmende Globalisierung besteht weiterhin Gefahr.

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Ein gewohnter Anblick in den 1980er-Jahren war in deutschen Wäldern allgegenwärtig: das Schild „Wildtollwut! Gefährdeter Bezirk!”. Diese wurde damals hauptsächlich von Füchsen übertragen.

Freilaufende Haushunde konnten von ihnen gebissen oder durch den aufgenommenen Speichel von infizierten Tieren angesteckt werden. Dadurch wurden sie auch für ihre Halter gefährlich, denn 99 Prozent der Tollwutfälle beim Menschen werden durch den Hund übertragen. Eine direkte Ansteckung von Wildtieren zum Menschen ist selten, da selbst infizierte Tiere noch zu scheu sind beziehungsweise es gar nicht erst zu einem Zusammentreffen kommt.

Infektion mit einem lebensgefährlichen Virus Die Tollwut ist eine Viruserkrankung. Da Menschen fast immer von Hunden angesteckt wurden, hieß sie bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts noch „Hundswut”. Der Begriff „Tollwut” wurde zum ersten Mal schriftlich im Jahr 1810 belegt. Infizieren können sich hauptsächlich Fleisch fressende Warmblüter. Infektionen von Pflanzenfressern sind hingegen kaum bekannt und auch Nagetiere werden selten angesteckt. Gleiches gilt für Vögel, da deren Körpertemperatur höher liegt, als es der Vermehrung des Virus zuträglich ist.

IMMUNITÄT GEGEN DAS VIRUS?
Anfang August machte eine Meldung Schlagzeilen: Im peruanischen Amazonasgebiet leben Volksstämme, die gegen das Virus immun zu sein scheinen. US-amerikanische Forscher untersuchten 92 Menschen, von denen sie bei sechs Antikörper gegen Tollwut fanden. In diesem Amazonasgebiet wird die Tollwut meist durch Vampirfledermäuse übertragen. Sie sind nachtaktiv, sodass die meisten Betroffenen den Biss überhaupt nicht bemerken. Die Wissenschaftler versuchen jetzt zu klären, warum der Körper der Peruaner gegen das Virus immun ist. Ihre Erkenntnisse könnten künftig die Tollwuttherapie revolutionieren.

Das Tollwutvirus gehört zur Gattung der Lyssaviren. Es ist im Speichel eines tollwütigen Tieres vorhanden und wird von dort entweder über Bisse, Kratzer oder auch über kleine Verletzungen in der Schleimhaut übertragen. An der Eintrittsstelle vermehrt das Virus sich über einige Tage, danach wandert es entlang der Nervenzellen ins Rückenmark und von dort ins Gehirn.

Vom zentralen Nervensystem aus gelangt der Erreger in andere Organe und auch wieder zurück in die Speicheldrüsen, über die er dann ausgeschiedenen werden kann. Das Virus verursacht eine akute Enzephalitis , die die Symptome auslöst. Sie sind unterschiedlich, je nachdem, ob es sich um den typischen oder den „stummen” Verlauf handelt.

Schreien, beißen, Schaum vorm Mund Das klassische Bild der Symptome von Tollwut sind Aggression und Schaum vor dem Mund. Tatsächlich sind in der späteren Phase des typischen klinischen Verlaufs eine erhöhte Unruhe, Erregungszustände, Überempfindlichkeit auf Umweltreize und Schaumbildung vor dem Mund zu beobachten.

Die Infektion beginnt jedoch wesentlich untypischer. Zuerst entstehen an der Eintrittsstelle sensorische Störungen: Gefühle von Kribbeln, Schmerzen und Taubheit, die sich auf die ganze Extremität ausweiten. In dieser Phase ist die Verwechslung mit anderen seltenen neurologischen Krankheiten wie etwa dem Guillain-Barré-Syndrom häufig. Später kommt es bei Tollwut jedoch zu den typischen Symptomen Angst, Halluzinationen, und Aggression, die mit Lähmungen einhergehen.

Sobald die Rachenmuskeln von den Lähmungen betroffen werden, kann der Speichel nicht mehr abgeschluckt werden, was zur Schaumbildung vor dem Mund führt. Die Inkubationszeit kann zwischen einem Monat und mehreren Jahren liegen. Das, kombiniert mit den zuerst sehr atypischen und grippeähnlichen Symptomen, kann eine Diagnose erschweren.

eine fledermaus, mit dem kopf nach unten hängend
Der "World Rabies Day" (Welt-Tollwut-Tag) findet jedes Jahr am 28. September statt. Weitere Informationen dazu im Internet unter www.worldrabiesday.org.

Beim „stummen” Verlauf der Tollwut können die typischen Aggressionszustände auch ganz fehlen. Nach dem Eintreten von Atem- und Herzinsuffizienz wird der Tod meist durch ein Multiorganversagen verursacht. Mensch und Tier zeigen sehr ähnliche Symptome, daher ist bei verhaltensauffälligen Haus- oder Wildtieren höchste Vorsicht geboten.

Therapie greift nur früh Tollwut führt unbehandelt in fast allen Fällen zum Tod. Je später die Virusinfektion behandelt wird, desto geringer sind die Heilungschancen. Es gilt: Am sichersten ist Vorbeugung. Haustiere werden bei uns regelmäßig geimpft, Menschen, die beruflich mit Wildtieren zu tun haben, also Jäger, Förster oder auch Naturschützer, sollten sich impfen lassen.

»Ohne vorherige Impfung oder einer Postexpositionsprophylaxe endet die Infektion mit Tollwut fast immer tödlich.«

Kommen Ungeimpfte in Kontakt mit dem Virus, empfiehlt die Ständige Impfkommission des Robert Koch-Instituts (STIKO) die PEP (postexpositionelle Tollwutimmunprophylaxe). Dabei wird nach drei Expositionsgraden unterschieden. Wer mit intakter Haut einen Impfstoffköder oder infizierte Tiere berührt oder sich von ihnen belecken lässt, fällt unter „Grad I”: keine PEP nötig.

Grad II bedeutet: Oberflächliche Kratzer, berühren oder belecken lassen von infizierten Tieren, Kontakt mit beschädigtem Impfstoffköder bei nicht intakter Haut. Hier ist die nachträgliche Tollwutschutzimpfung mit drei bis fünf Gaben indiziert.

Bei Bissen, kontaminierten Wunden oder Schleimhäuten greift Grad III: Hier wird zusätzlich zur Tollwutschutzimpfung auch noch einmalig ein Tollwutimmunglobulin verabreicht. Die Impfung gilt auch für Schwangere und Säuglinge als verträglich und sollte frühzeitig, am besten am Tag der Infektion, angewandt werden. Dann sind die Heilungschancen groß. Hat das Virus aber bereits eine Gehirnhautentzündung ausgelöst, wird die Therapie schwierig.

Tollwutfreiheit durch Immunisierung und Impfung Dass die Krankheit als allgegenwärtige Gefahr in einigen Ländern ihren Schrecken verloren hat, ist der Tatsache zu verdanken, dass dort eine konsequente orale Immunisierung von Wildtieren, gepaart mit der Impfung von Haustieren, durchgeführt wurde.

Deutschland kämpfte mit Tollwutimpfködern gegen die tückische Viruskrankheit. Die Füchse, die als Hauptüberträger des Virus galten, wurden dadurch immunisiert: Der letzte infizierte Fuchs in Deutschland wurde 2006 im Kreis Mainz-Bingen registriert. Hinzu kommt, dass die Impfrate bei Haustieren sehr hoch ist.

WEITERE INFOS

Das Friedrich-Loeffler-Institut bietet auf www.rbe.fli.bund.de die "Rabies Information System of the WHO Collaboration Centre for Rabies Surveillance and Research" an. Für Beratung und spezielle
Diagnostik stehen unter anderem zur Verfügung:

+ Konsiliarlaboratorium für Tollwut, Universitätsklinikum Essen, Institut für Virologie; Tel.: 02 01/7 23-35 61 oder -35 50
+ Nationales Referenzzentrum für Tropische Infektionserreger am Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg; Tel.: 0 40/4 28 18-401
+ Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Standort Wusterhausen;
Tel.: 03 39 79/80-0; beziehungsweise die regionalen veterinärmedizinischen Untersuchungsämter.

Merkblätter Abrufbar auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes www.auswaertiges-amt.de unter dem Punkt „Reise und Sicherheit”.

Weltweit lässt sich die Krankheit jedoch wohl nicht ausrotten, denn durch die Globalisierung bleibt die Gefahr weiter bestehen und könnte auch bei uns wieder zunehmen. So ist beispielsweise Indien das Land mit den meisten Tollwutinfektionen weltweit. Dort wird die Krankheit in fast allen Fällen durch den Biss streunender Hunde übertragen. Auf der Urlaubsinsel Bali, die als tollwutfrei galt, trat die Krankheit 2008 wieder auf, primär übertragen durch Affen.

Die letzten hier zu Lande verzeichneten Tollwutfälle bei Hunden und einem Menschen wurden immer durch Bisse in einem fremden Land oder illegal importierte Hunde aus dem Balkan verursacht. Um das Einschleppen der Krankheit zu verhindern, gibt es für die EU spezielle Einreisebestimmungen für Hunde, Katzen und Frettchen. Diese werden jedoch zum Teil von Privatpersonen, aber auch von professionellen Tierhändlern umgangen.

Besonders die dubiosen Hundemärkte im Osten sind gefährlich, aber auch nicht alle „Züchter” sind vertrauenswürdig. Vorsicht ist geboten, wenn ein Züchter viele unterschiedliche, vor allen Dingen Modehunderassen, anbietet, wenn man die Elterntiere nicht sehen kann oder die Welpen einen kranken Eindruck machen.

Neue Gefahr Fledermaustollwut Offiziell ist Deutschland seit 2008 lediglich frei von „terrestrischer Tollwut”, also der Tollwut, die durch am Boden lebende Wild- und Haustiere übertragen wird. Weltweit stellen jedoch Fledermäuse das Reservoir für die meisten Viren dar. Die Lyssaviren, die Fledermäuse in sich tragen, sind mit dem Erreger der Wildtollwut verwandt und für Mensch und Tier genau so gefährlich, sprechen allerdings auch auf die Tollwutschutzimpfung an. Das Robert Koch-Institut rät, weder in Deutschland, noch in anderen Ländern Fledermäuse anzufassen, auch keine toten Tiere. Bei Kontakt und unsicherer Diagnose sollte sofort eine postexpositionelle Tollwutimmunprophylaxe eingeleitet werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/12 ab Seite 118.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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