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Welch ein Name

DER SIEGESZUG DES SCHIMMELPILZES

Alexander Fleming, der Leiter der Bakteriologie am Londoner St. Mary’s Hospital, war ein klein wenig unordentlich. Manchmal stapelte er die geimpften Petrischalen einfach übereinander.

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So auch in jenem Sommer des Jahres 1928: Vielleicht hatte er bereits den Urlaub im Kopf, der ihn, seine Frau und den Sohn ein paar Wochen lang ausspannen lassen sollte. Fakt ist, dass er einige Anzuchtböden achtlos übereinander beiseite stellte. Erst nach dem Urlaub sollte er sich daran erinnern. Doch welch ein Ärger: Auf ein paar Schalen war ein dichter, pelziger Schimmelpilz gewachsen. Verunreinigte Proben warf man üblicherweise einfach weg – doch ein Impuls brachte den Wissenschaftler dazu, genauer hinzuschauen: Rund um den Schimmelpilz waren die Bakterien weg, eliminiert durch eine unbekannte Substanz. Etwa durch Absonderungen des Pilzes Penicillinum notatum?

Mangelndes Interesse Der Rest ist Geschichte. Doch es ist eine Geschichte mit Verzögerung. Fleming forschte weiter, entdeckte recht bald, dass der nun in „Penicillin“ abgekürzte Wirkstoff gram-positive Bakterien, die Scharlach, Meningitis, Diphterie und Lungenentzündung verursachten, abtötete. Auch den Erreger der Geschlechtskrankheit Gonorrhoe (Tripper) schaltete er aus. Fleming gelang es jedoch nicht, den Extrakt des Schimmelpilzes zu isolieren. Zwar veröffentlichte der 48-Jährige seine Entdeckung im Fachblatt „British Journal of Experimental Pathology“, doch interessierte sich so recht niemand dafür. Fleming focht das nicht weiter an, er experimentierte weiter, beobachtete erstmals Penicillin-Resistenzen unter dem Mikroskop.

Da er ein eher stiller Mensch war, dem das Streitbare seiner berühmten Vorgänger abging, verfolgte er die wissenschaftliche Sensation nicht weiter, zumal es ihm einfach nicht gelang, Penicillin in brauchbaren Mengen herzustellen. Alexander Fleming wurde 1881 in südschottischen Lochfield geboren. Er war der Sohn einfacher Bauern; sein Vater starb, als er neun Jahre alt war. Durch ein Stipendium konnte der begabte junge Mann die Kilmarock Academy besuchen, danach wechselte er an eine Polytechnische Schule nach London, arbeitete im Anschluss als Büroangestellter. Erst mit 21 Jahren eröffnete ihm der Tod eines Onkels mittels Erbschaft neue Möglichkeiten: Er entschloss sich zum Medizinstudium, das er fünf Jahre später mit Auszeichnung abschloss.

Flemings Steckenpferd Der Eintritt Flemings ins Berufsleben war das Zeitalter der bakteriologischen Entdeckungen: Die Asepsis und Antisepsis hielten Einzug; so lernten die Ärzte, Infektionen wenigstens nicht zu verschlimmern. Doch wirksame Antibiotika gab es nicht – stattdessen aber stark wirkende antibakterielle Arzneistoffe, die das Immunsystem der Patienten jedes Mal schwächten. Fleming veröffentlichte einen Aufsatz im „Lancet“ darüber und empfahl den Chirurgen, abgestorbenes Gewebe so weit wie möglich zu entfernen. Er ließ sich abgetötete Staphylokokken in die Vene applizieren, um zu beweisen, dass diese Art der Applikation für Impfstoffe nicht geeignet war.

Der junge Bakteriologe Fleming hatte etwas zu seinem Steckenpferd gemacht, das von Joseph Lister als „Antibiose“ beschrieben worden war: Die Beziehung von zwei lebendigen Individuen, die für einen für beiden mit Nachteil verbunden war und das später als Bezeichnung der Behandlung mit Antibiotika gelten wird. Er entdeckte das in Speichel, Tränen, in Hühnereiweiß und Muttermilch enthaltene Enzym Lysozym, das ebenfalls auf gram-positive Bakterien wirkt und sie durch Einwirkung auf ihre äußere Hülle zerstört, doch das als Basis für einen Arzneistoff ungeeignet war, da es nur harmlose Bakterien bekämpft.

Sir Alexander Fleming
… wurde 1822 im schottischen Lochfield geboren. Der Bakteriologe, der sich der Forschung antibakteriologischer Substanzen verschrieben hatte, entdeckte 1928 per Zufall das Penicillin. 1939 durch die Wissenschaftler Florey und Chain reproduzierbar gemacht, erhielten alle drei 1945 den Nobelpreis für Medizin. Fleming starb 1955 in London.

Keiner will es Erst 1935, als Gerhard Domagk die Funktionsweise des von ihm entdeckten Sulfonamids in einem Vortrag erläuterte, meldete sich Fleming, der unter den Zuhörern saß, zu Wort: „Ich habe etwas viel Besseres“, erzählte er einem Kollegen. „Aber keiner will davon hören.“ Vier Jahre später – der Zweite Weltkrieg war im Gange und Antibiotika wurden dringend gebraucht – nahmen sich Howard Walter Florey und Ernst Boris Chain des Penicillins an. Endlich gelang es ihnen, den Wirkstoff zu isolieren. Mäuse, die vorher mit Streptokokken infiziert wurden, genasen. Der erste Mensch, der mit Penicillin behandelt wurde, war ein Londoner Polizist, durch eine Wunde im Mund mit Bakterien infiziert. Nach zweitägiger Behandlung besserte sich sein Zustand. Tragischerweise starb er dennoch, da die Penicillin- Vorräte zu schnell aufgebraucht waren.

Penicillin für alle Jetzt begann die industrielle Produktion des „Wundermittels“; noch während des Krieges konnte es als stabiles Trockenpulver hergestellt werden. Über Alexander Fleming, der 1944 zum Ritter geschlagen wurde, brach der Ruhm herein. Er wurde zum Fellow der Royal Society gewählt und erhielt zusammen mit Florey und Chain 1945 den Nobelpreis für Medizin, daneben verlieh man ihm dreißig Ehrendoktorwürden in aller Welt. Doch es schien, als ob der schmale, weißhaarige Mann mit der randlosen Brille sich immer ein Stückchen Distanz zum Hype um seine Person bewahrt hatte. Immer behielt er seinen trockenen Humor: Man habe ihn bezichtigt, das Penicillin erfunden zu haben, sagte er bei einem Vortrag. „Doch erfinden ließ sich das Penicillin von keinem Menschen, denn es wurde vor urdenklichen Zeiten von einem gewissen Schimmelpilz hervorgebracht.“

Im übrigen war Flemings Credo: Man muss seine Tagesarbeit tun, dabei aber gefasst sein, auf Unerwartetes zu stoßen. Auch privat zeigte sich Fleming von unaufgeregter Beständigkeit: 1915 heiratete er die Krankenschwester Sarah Marion McElroy. Aus dieser Ehe entstammte der einzige Sohn Robert, der später ebenfalls Arzt wurde. Nach 34-jähriger Ehe starb seine Frau. Sir Alexander Fleming mochte nicht allein bleiben und ehelichte 1953 mit über siebzig die griechische Ärztin Amalia Koutsouri-Vourekas. Wie alle großen Forscher ging er niemals in den Ruhestand: Am 11. März 1955 ereilte ihn in London ein Herzinfarkt, an dem er starb. Seine junge Frau überlebte ihn um dreißig Jahre.

Ein Kap, ein Stern, eine Schule Zwar ist eine Gedenktafel am Grabmal Alexander Flemings in der St. Pauls-Kathedrale angebracht, doch ansonsten sind bemerkenswert wenige öffentliche Orte nach ihm benannt. Ein Kap in der Antarktis trägt seinen Namen und auch ein Asteroid sowie die Berufliche Schule für Gesundheit und Pflege in Stuttgart. Doch immerhin heißt der Oscar der Bakteriologen nach ihm: Der „Alexander Fleming Award of Infectious Diseases Society of America“ wird für besondere Leistungen verliehen. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/17 ab Seite 98.

Alexandra Regner, PTA und Redaktion

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