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Berühmte Apotheker

DER BERNER PHARMAKOGNOST

Das Leben des Otto A. Oesterle (1866 bis 1932) lief nicht so wie es sollte. Oder anders ausgedrückt: Wenn der Krieg dem gewünschten wissenschaftlichen Schaffen, einen Strich durch die Rechnung macht …

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Geboren in Bern, gestorben in Bern – und dazwischen eine berufliche Lehr-Station in der kleinen Kantonstadt Biel sowie später als Hochschulprofessor in Straßburg. Er hat die Forschung vorangetrieben, langjährige Lehrwerke der Pharmazie (mit)gestaltet. Und doch lief seine berufliche Karriere – aufgrund äußerer Umstände – nicht wie es seiner Neigung entsprach. Zu Großem berufen, konnte er leider viele seiner Ideen und Ziele nicht umsetzen. Der Erste Weltkrieg mit seiner Unbill, seinen Herausforderungen, Einschränkungen, stand seiner vollen Lebens- und Wissenschaftsentfaltung entgegen. Nein, so sollte das Resümee der Leistungen des Berner Apothekers und Hochschulprofessors Otto Adolf Oesterle nicht lauten. Und doch liegt viel Wahres darin.

Apotheker statt reiner Kaufmann Am 16. Juni 1866 erblickte Otto A. Oesterle in Bern als Sohn des angesehenen Kaufmanns (Tuchhändlers) Adolf Otto und dessen Frau Bertha Cäcilia (geborene Wagner) das Licht der Welt. Auch besuchte er dort die örtlichen Schulen. Nach dem väterlichen Willen sollte er in dessen Fußstapfen treten, zumindest einen kaufmännischen Beruf erlernen! Doch der junge Otto hatte hierfür wohl Eignung, aber nicht eigentlich Neigung. Stattdessen wandte er sich der Pharmazie zu. Er brach die kaufmännische Ausbildung ab und holte stattdessen die Maturiätsprüfung (Reifeprüfung, Schweizer Abitur) nach. Danach ab–solvierte er seine Lehrzeit in der bernischen Staatsapotheke unter Prof. Paul Perrenoud (1846 bis 1889), der nicht nur die Staatsapotheke 16 Jahre bis zu seinem Tod leitete, sondern auch Privatdozent und außerordentlicher Professor für Pharmazie und Pharmakognosie an der Universität Bern war. Es schloss sich eine Gehilfenzeit bis 1887 bei Dr. Bählers in dessen Jura-Apotheke in Biel, einer Stadt im Schweizer Kanton Bern, an. Anschließend begann Otto Oesterle das Studium im Pharmazeutischen Institut in Bern unter Prof. Alexander Tschirch´s Leitung.

Dass dieser „Professor der Pharmakognosie, Pharmazeutischen und gerichtlichen Chemie“, der das Berner Pharmazeutische Institut, die Schweizer wissenschaftliche Apothekerausbildung zu dieser Zeit maßgeblich prägte, auch Otto Oesterles Arbeiten und seine Art zu Arbeiten bedeutsam mitprägte, ist verständlich. Nach Ablegung des Staatsexamens als Apotheker (1891) übernahm Otto Oesterle eine Assistentenstelle am pharmazeutischen Institut und promovierte bei Prof. Tschirch 1892 zum Dr. phil. mit der Arbeit „Pharmakognostische Studien über Gutta-Percha“.

Habilitation und wissenschaftliches Schaffen Und er blieb am Pharmazeutischen Institut: Gemeinsam mit Alexander Tschirch gab er während der Jahre 1893 bis 1897 den „Atlas der Pharmakognosie und Nahrungsmittelkunde“ heraus. Dieses Werk machte Oesterles Namen weithin bekannt und wurde nicht nur in Fachkreisen bald sehr geschätzt. Denn die Tafeln dieses Atlasses zeigten eine Detailtreue, eine Genauigkeit des Beobachtens und Zeichnens, die zur damaligen Zeit viel Neues offenbarte. Zudem verstand es Otto Oesterle das Beobachtete aus gründlicher botanischer und chemischer Kenntnis der Objekte gewissenhaft zu beurteilen. 1899 habilitierte Otto Oesterle unter Tschirch in Pharmakognosie, nachdem er zuvor noch zwei Jahre in der pharmazeutischen Industrie tätig gewesen war. Doch Otto Oesterle hatte für sich erkannt: Die Wissenschaft ist mein Metier. Oesterle forschte viel über die Chemie der Anthrachinone (pflanzliche Abführmittel), klärte dabei zahlreiche wichtige Naturkörper, etwa das Aloe- und Frangula-Emodin, das Rhein, Aloin, nach ihrer chemischen Konstitution auf – teils in Zusammenarbeit mit Kollegen.

Und privat? Noch im Habilitationsjahr heiratete er: Augusta Flückiger, 1868 in Burgdorf geboren, Tochter des international renommierten Apothekers, Chemikers und Pharmakognosie-Professors Friedrich August Flückiger war die Auserwählte. 32 Jahre – bis zu Oesterles Tod –waren die beiden verheiratet, ein Sohn und eine Tochter gingen aus der Ehe hervor. 1903 wurde Oesterle zum Titularprofessor, 1907 zum außerordentlichen Professor für Pharmakochemie und gerichtliche Medizin in Bern ernannt. Er war Mitarbeiter der zweiten Ausgabe der „Real-Enzyklopädie der gesamten Pharmazie“ (1904 bis 1912) sowie Mitglied der Kommission der vierten Ausgabe der „Pharmacopoea Helvetica“ (1907). In seinem Werk „Grundriss der Pharmakochemie“ (1909) führte Oesterle weit verstreutes Material über die Chemie der wirksamen Bestandteile der Drogen und künstlicher Heilmittel sorgfältig zusammen. Die stille Anerkennung seiner wissenschaftlichen Verdienste war ihm damit gewiss. Nur der Ruf auf eine ordentliche, gut bezahlte Professur war ihm bis dahin verwehrt geblieben.

Ruf nach Straßburg Das änderte sich 1913: Otto Oesterle wurde als Nachfolger von Eduard Schär (1842 bis 1913) zum Ordinarius für Pharmazie und Direktor des Pharmazeutischen Instituts an die ehemalige Kaiser Wilhelms-Universität Straßburg berufen. Die Fakultät in Straßburg vereinigte seit jeher die erlesensten Vertreter der deutschen Naturwissenschaft. Interessanterweise hatte sogar Oesterles Schwiegervater Friedrich August Flückiger („Lehrbuch der Pharmakognosie des Pflanzenreiches“ – 1867; Erstentwurf der „Pharmacopoea Helvetica“ für den Schweizerischen Apothekerverein – 1860), ein Mann mit hohem internationalen Ansehen, von 1873 bis 1892 den Lehrstuhl in Straßburg schon innegehabt. Im Frühjahr 1914 trat Oesterle sein neues Amt an – und zunächst schienen auch alle Voraussetzungen für eine reiche und wirkungsvolle wissenschaftliche Tätigkeit in Straßburg vorhanden zu sein. Oesterle begann sein Können, Wissen und Wesen in das neue, glänzend ausgestattete Institut voll einzubringen. Doch der im Sommer 1914 beginnende Weltkrieg zerstörte diese Lebensentfaltung.

1918 kehrte Oesterle – ohne von dort einen Ruf als Hochschullehrer erhalten zu haben – nach Bern und damit in sein Heimatland zurück. Auch ermöglichten es die Verhältnisse in der Schweiz nach dem Ersten Weltkrieg nicht, ihm dort einen neuen Wirkungskreis als Hochschulprofessor zu verschaffen. Schade nicht nur für ihn persönlich, sondern auch für die gesamte wissenschaftliche Pharmazie. Stattdessen verschaffte ihm sein Freund Dr. Albert Wander, Sohn des Georg Wander, der 1865 in der Berner Altstadt ein „chemisch-technisches und analytisches“ Laboratorium errichtet hatte, die Leitung des wissenschaftlichen Laboratoriums der Dr. A. Wander AG. Außerdem wurde er Vizepräsident des Verwaltungsrates. Diese Aufgaben erfüllte Oesterle zu gegenseitigem Nutzen und mit Erfolg sehr gewissenhaft. So wurde nach Oesterles Plänen eine rationelle und großzügige Forschungs-Wirkstätte errichtet. Das bekannteste Wander-Produkt kennt übrigens bis heute fast jeder: Es ist quasi ein „Muss“ für jeden Schweiz-Besucher, das Malzgetränk „Ovomaltine“ – seit 1904 produziert. Auch wenn die Wander AG 1967 von Sandoz übernommen und im Jahr 2002 an die Associated British Foods verkauft wurde. Aber das geschah lange, lange nach Oesterle. Denn während für andere mit 66 Jahren das Leben anfängt, hörte es für Prof. Dr. Otto A. Oesterle auf: Er starb am 31. Mai 1932 vorzeitig an einer „heimtückischen Krankheit“, wie in den Mitteilungen der Berner Naturforschenden Gesellschaft von 1932 zu lesen ist. Zwar hatte er sich mit der Tragik des allgemeinen Schicksals, nicht die große Hochschulkarriere machen zu können, versöhnt. Und auch seiner Arbeit bei der Wander AG konnte er eine gewisse Befriedigung abgewinnen. Dass er nicht nur Gründungsmitglied, sondern bis zuletzt noch Stiftungsrat der „Stiftung zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung an der Universität Bern“ war, zeigt jedoch, wie sehr ihm doch gerade die wissenschaftliche Forschung am Herzen lag. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/19 ab Seite 66.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

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