Politik

DAS VERSORGUNGSSTRUKTURGESETZ

Die Versorgungssituation von Patienten soll sich zum 1. Januar 2012 spürbar und nachhaltig verbessern. Das Gesetz ermöglicht zudem Modellprojekte für ein besseres Arzneimittelmanagement.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Der Fahrplan für das Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung, kurz Versorgungsstrukturgesetz , steht. Das Kabinett hat das Gesetz im August beschlossen und wenn alles nach Plan läuft, tritt es zum Jahreswechsel in Kraft.

Ziele Hauptintention ist die Verbesserung der ärztlichen Versorgung in unterversorgten oder von der Unterversorgung bedrohten Gebieten. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen junge Mediziner mehr Honorar bekommen und nicht mehr von Honorarkürzungen bedroht sein, wenn sie sich auf dem Land oder in sozial schwachen Stadtteilen niederlassen. Im Gegenzug ist geplant, die Überversorgung in anderen Gebieten abzubauen, etwa indem Kassenärztliche Vereinigungen den Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung finanziell fördern. All das wird Geld kosten. Bezahlen müssen es letztlich die Versicherten.

Berührt das Gesetz den Arzneimittelbereich? Ja – man muss allerdings genau hinschauen, um auf mehr als 175 Seiten die wenigen, relevanten Regelungen zu finden. Manches wird auch lediglich gesetzlich klargestellt, was höchstrichterlich bereits entschieden ist. Etwa, dass Patienten mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einen Leistungsanspruch auf nicht zugelassene Arzneimittel haben, wenn eine vage Aussicht auf Besserung oder Heilung besteht.

Erwähnenswert ist auch, dass die bisherigen Angebotsmöglichkeiten der Krankenkassen für Satzungsleistungen ausgeweitet werden. Inwieweit die Kassen Gebrauch von der Möglichkeit machen werden, rezeptfreie Arzneimittel als Erstattungsleistung aufzunehmen, bleibt abzuwarten. Zudem ist geplant, die Strukturen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu reformieren und transparenter zu machen.

Der G-BA ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung und bestimmt für mehr als 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherte, welche Leistungen der medizinischen Versorgung erstattet werden – Arzneimittel eingeschlossen. Nichtsdestotrotz werden Entscheidungen des G-BA auch in Zukunft zu heftigen Kontroversen führen, zumal die gerade angelaufene Nutzenfrühbewertung neuer Arzneimittel viel Sprengstoff birgt. Ferner wird geregelt, dass zentrale Preisverhandlungen für neue Arzneimittel zwischen GKV-Spitzenverband und pharmazeutischem Unternehmer vertraulich sein sollen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Was ändert sich für die Apotheken? De facto werden sie im Versorgungsstrukturgesetz nur am Rande erwähnt. Die bereits für Arzneimittel geltende Verpflichtung zum Auftragen eines bundeseinheitlichen Kennzeichens auf dem Rezept und zur elektronischen Übermittlung von Abrechnungsdaten wird zukünftig auch für Impfstoffe gelten. Zudem wird klargestellt, dass ein Rabattverbot für den neuen 70-Cent-Fixzuschlag auch im Direktvertrieb von pharmazeutischen Unternehmern an Apotheken gilt.

Das Gesetz soll zudem die Möglichkeit eröffnen, in Modell - regionen das von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) entwickelte Versorgungskonzept zu testen. Dieses Konzept sieht eine stärkere Verantwortung von Ärzten und Apotheken vor und soll die Compliance chronisch kranker Patienten fördern. Grundlage des Modells ist ein Medikationskatalog auf Wirkstoffbasis, der eine leitliniengerechte Versorgung sicherstellen soll.

Vorgesehen ist, dass Ärzte Wirkstoff, Stärke, Menge und Darreichungsform verordnen und insoweit ein Stück ihrer Therapiehoheit abgeben, dass die Apotheken ihrerseits ein Präparat aussuchen. Bewährt sich das Modell, könnte perspektivisch der Apothekenalltag wieder einfacher werden und die Berufszufriedenheit steigen. Auch die Patienten könnten durch Vermeidung arzneimittelbezogener Probleme profitieren. Eventuelle Einsparungen sollen teilweise an Ärzte und Apotheken zurückfließen.

Win-Win-Situation? Gleichwohl gibt es Gegenwind von der pharmazeutischen Industrie und den Krankenkassen. Insbesondere wird der Zusatznutzen für Patienten bezweifelt und die Reduzierung des Arzneimittels auf den Wirkstoff und damit die Nichtbeachtung von zugelassenen Indikationen, unterschiedlichen Hilfsstoffen und Bioverfügbarkeiten kritisiert. Unklar ist auch, ob sich so Einsparungen erzielen lassen. Erst über den Weg der parlamentarischen Beratungen, quasi auf den letzten „Drücker“, fand das Konzept Eingang in das Gesetz. Es ist ein kleiner Quantensprung in der Arzneimittelversorgung. Nun trägt das Gesetz zu Recht den Titel „Versorgungsstrukturgesetz“.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/11 ab Seite 52.

Dr. Michael Binger, Hessisches Sozialministerium

×