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Giftunfälle

AUFGEPASST ZUHAUSE!

Jährlich werden mehr als 19 000 Giftunfälle bei Kindern bis 15 Jahre gemeldet. Mehr als die Hälfte davon könnten vermieden werden, wenn Eltern umsichtiger wären.

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Eine Vergiftung ist die unbeabsichtigte Aufnahme von toxisch wirkenden Substanzen. Dabei können diese verschluckt, eingeatmet oder über die Haut aufgenommen werden. Bei Kindern im Alter von sieben Monaten bis zu vier Jahren ist das Verschlucken die häufigste Vergiftungsursache, weil Kleinkinder ihre Umgebung erkunden, indem sie Gegenstände in den Mund nehmen.

Häusliche Gefahrenquellen Auf Platz eins der giftigen Gefahrenquellen stehen bei Kleinkindern Reinigungsmittel, direkt gefolgt von Medikamenten. Kleine Kinder können nicht zwischen Säften und Putzmitteln oder Tabletten und Bonbons unterscheiden. Was Medikamente angeht, sind Eltern meist sensibilisiert und bewahren sie außerhalb ihrer Reichweite auf. Bei Reinigungsmitteln ist das anders: Der klassische Platz unter dem Spülbecken ist für die Kleinen leicht zu erreichen.

Besonders gefährlich ist es, wenn Putzmittel in andere Behältnisse, wie Limonadenflaschen, ab- oder umgefüllt wurden. Auch ein angenehmer Duft wie etwa der nach Früchten macht Putzmittel für Kinder unwiderstehlich. Reinigungsmittel sollte man daher immer im Originalbehältnis in einem abschließbaren Schrank verstauen und nie – auch nicht während des Putzens – unbeaufsichtigt in der Wohnung stehen lassen.

Erste Hilfe Auch bei größter Umsicht müssen Eltern für den Ernstfall gerüstet sein. So sollte die Telefonnummer der nächsten Giftnotrufzentrale beziehungsweise die Notrufnummer 112 am besten neben das Telefon gehängt werden. In die Hausapotheke gehört zum einen ein Mittel gegen Aufgasung mit den Wirkstoffen Dimeticon oder Simeticon, zum anderen medizinische Kohle, am besten als Pulver, das leichter zu dosieren ist als Kompretten. Medizinische Kohle bindet die Giftstoffe im Körper; man verwendet pro Kilogramm Körpergewicht ein Gramm in Flüssigkeit auf-
geschwemmter Kohle. Milch zu geben ist tabu, denn durch sie könnten Giftstoffe noch schneller resorbiert werden und damit in die Blutbahn gelangen.

GEFAHRENQUELLEN, DIE MAN NICHT SOFORT ERKENNT
+ Oma ist zu Besuch und hat in ihrer Handtasche Medikamente.
Die Enkel durchstöbern die Tasche und finden „bunte Bonbons”.
+ Kinder können in ihrem Entdeckerdrang die Abdeckungen von batteriebetriebenen Geräten lösen. Hörgeräte oder Hunde-Leuchthalsbänder, die mit leicht verschluckbaren Knopfbatterien arbeiten, daher außerhalb der Reichweite von den Kleinen aufbewahren.
+ Zahnpasta kann gefährlich sein, nämlich dann, wenn das Kind Erwachsenenzahnpasta aufnimmt. Diese enthält Fluorid in einer Menge, die beim Nachwuchs Vergiftungen auslösen kann. Besonders fluoridhaltige Gels für Erwachsene sind gefährlich. Ihre Fluoridkonzentration liegt
bei etwa 1,25, die von Kinderzahnpasta nur bei 0,05 Prozent. Hat das Kind Zahnpasta gegessen, gilt als Ausnahme: Milch trinken lassen. Denn in diesem Fall bindet das Kalzium das schädliche Fluorid.

Woran man welche Vergiftung erkennt Meist sind Eltern panisch, wenn ihr Kind Vergiftungserscheinungen zeigt, und nicht immer können sie sofort die Quelle ausmachen. Daher sollte man wissen, welche Vergiftungen welche Symptome auslösen, um richtig zu reagieren.

Reinigungsmittel Bei ätzenden Produkten speichelt das Kind stark, es hustet und das Gesicht schwillt stark an. Alkoholhaltige Produkte machen das Kind schläfrig und benommen. Es darf auf keinen Fall hingelegt werden, sondern sollte aufrecht und wach gehalten werden. Bei Vergiftungen mit tensidhaltigen Produkten wie Spülmittel oder Allzweckreiniger kommt es zu einer starken Aufschäumung. Das Kind hustet, hat starke Magenschmerzen und weist Schaum im Mund oder im Erbrochenen auf. Dieser Schaum kann gefährlich werden, wenn er beim Abhusten oder Erbrechen in die Lunge gerät. Daher sollte hier nur sehr wenig Flüssigkeit zugeführt werden, um das Aufschäumen nicht noch zu unterstützen. Gleichzeitig hilft ein Teelöffel Entschäumer.

Nikotin Vergiftungen durch das Verschlucken von Zigaretten kommen sehr selten vor, da der Geschmack die Kinder davon abhält, die dafür nötige Menge an Nikotin aufzunehmen. Ein im Spiel zusammengebrauter Sud aus Zigarettenfiltern und Wasser kann jedoch gefährlicher sein. Das größte Risikopotenzial haben Nikotinpflaster und -kaugummis. In diesen Fällen muss schnell gehandelt werden. Pflaster sofort abziehen, Kaugummi oder -reste aus dem Mund entfernen, Notruf alarmieren. Das Kind muss in der Klinik beobachtet werden.

Medikamente Antiarrhythmika (besonders Solatol sowie alle Kalziumkanalblocker) und Antidiabetika können bereits in geringen Dosen lebensgefährlich sein. Antiarrhythmika können zu schweren Herzrhythmusstörungen bis zum Herzstillstand führen. Hat das Kind Antidiabetika zu sich genommen, kann es stark schwitzen und Heißhunger entwickeln, aber auch Krampfanfälle bekommen und bewusstlos werden. Auch bei solchen Vergiftungen gilt: Mund sofort von Arzneimittelresten säubern und umgehend den Notruf alarmieren. Eine etwa 24-stündige Beobachtung in der Kinderklinik ist angezeigt.

Giftige Pflanzen Wenige Eltern denken daran, dass auch Pflanzen oder Teile davon giftig sind. Sie enthalten Toxine, so zum Beispiel Fingerhut, Rittersporn, Dieffenbachia oder Engelstrompete. Werden Pflanzen oder Teile davon verschluckt, entsteht zunächst ein Taubheitsgefühl, das in Kribbeln und Brennen übergeht. Dann kommen starke Magenschmerzen, Erbrechen und Durchfall hinzu. Bei allen Pflanzenvergiftungen gilt:

  • sofort Mund ausspülen
  • nach Berühren der Pflanze Hände abwaschen
  • sofort Notruf verständigen! 

ERSTE-HILFE-MASSNAHMEN
+ Kind beruhigen
+ Reste aus dem Mund entfernen
+ Sofort kalten Tee, Wasser oder Saft zu trinken geben, um die Toxine zu verdünnen
  (Ausnahme: Vergiftungen mit tensidhaltigen Reinigungsmitteln)
+ Auf keinen Fall Erbrechen auslösen
+ Muss sich das Kind erbrechen, Oberkörper aufrecht halten und stützen
+ Giftnotruf oder Notruf alarmieren, dabei Etikett der Vergiftungsquelle, sofern bekannt,
   bereithalten

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 03/13 ab Seite 76.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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