Brot auf Teller © lolostock / iStock / Getty Images
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Autoimmunerkrankungen

ZÖLIAKIE

Sie ist nicht so selten wie gedacht – kann sich aber auf so unterschiedliche Weise äußern, dass sie oft lange nicht erkannt wird. Ursache ist eine durch Gluten verursachte Autoimmunreaktion.

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Weizen wird aktuell von vielen Menschen für zahlreiche gesundheitliche Probleme verantwortlich gemacht. Doch bei weitem nicht alle dem Weizen angelastete Vorwürfe lassen sich wissenschaftlich untermauern. Unbestritten ist, dass Zöliakie, Weizenallergie und Weizensensitivität Erkrankungsbilder sind, bei denen der Körper mit Beschwerden auf Gluten beziehungsweise Weizen reagiert. Allen dreien liegen unterschiedliche Pathomechanismen zugrunde: Die Zöliakie ist eine Autoimmunerkrankung. Bei ihr bilden sich, ausgelöst durch Gluten, Autoantikörper gegen das körpereigene Enzym Gewebe-Transglutaminase.

Betroffen sind in Deutschland etwa 0,3 Prozent der Bevölkerung; vermutlich gibt es eine gewisse Dunkelziffer. Bei der Weizenallergie dagegen kommt es zu einer Überreaktion des Immunsystems gegen bestimmte Bestandteile des Weizens. Darüber hinaus gibt es Menschen, die weder eine Zöliakie noch eine Weizenallergie haben, die aber trotzdem mit Problemen wie Bauchschmerzen, Durchfall oder Abgeschlagenheit auf Weizen reagieren. Bei ihnen spricht man von einer (Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-)Weizensensitivität.

Autoantikörper gegen die Gewebe-Transglutaminase Die Entstehung der Zöliakie ist heute gut verstanden: Das Gluten und damit das Protein Gliadin, enthalten beispielsweise in Weizen, Dinkel und Roggen, gelangt mit der Nahrung in den Dünndarm. Dort wird es durch gastrointestinale Enzyme in kleinere Peptide gespalten. Diese passieren die Dünndarmschleimhaut und werden dort durch die Gewebe-Transglutaminase deamidiert. Die Komplexe aus Gewebe-Transglutaminase und deamidiertem Gliadin werden von Darmwandmakrophagen den T-Lymphozyten präsentiert. Dadurch werden spezifische T-Helfer-Zellen aktiviert, die wiederum Zytokine aus- schütten.

Es kommt zur Produktion von Metalloproteinasen, die die Schleimhaut angreifen, sowie zur Apoptose von Enterozyten. Ebenfalls aktivierte B-Zellen produzieren Antikörper gegen deamidiertes Gliadin und die Gewebetransglutaminase – die Autoantikörper. Die Folgen sind die für die Zöliakie typischen Schädigungen der Darmschleimhaut. Doch nicht jeder von uns erkrankt an Zöliakie. Voraussetzung ist ein bestimmter Genotyp: Durch die Deamidierung steigt die Immunogenität des Gliadinpeptids. Weil dieses nur durch die HLA-Proteine DQ2 und DQ8 auf den Makrophagen gebunden und präsentiert werden kann, können auch nur Menschen mit diesem Genotyp erkranken.

Es hat sich gezeigt, dass gut 90 Prozent aller Zöliakie-Patienten das HLA-DQ2-Gen tragen und knapp 10 Prozent das HLA-DQ8-Gen. Aus der Tatsache, dass aber insgesamt etwa ein Drittel der Bevölkerung Träger eines dieser beiden Gene ist, lässt sich schließen, dass noch weitere Faktoren dazukommen müssen, damit die Zöliakie ausbricht. Unter Verdacht stehen eine frühe, massive Glutenexposition, Infektionen des Darms und auch Medikamente.

Die geschädigte Dünndarmschleimhaut kann häufig nicht mehr genug Laktase bilden, sodass Zöliakie oft mit Laktoseintoleranz einhergeht.

Vielfältiges Krankheitsbild Eine Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten. Für die Symptome spielen sowohl die chronische Entzündungsaktivität durch die Autoimmunreaktion als auch die verschlechterte Aufnahme von Nährstoffen (z. B. Vitamine A, B1, B12, K, Eisen, Folsäure, Calcium, Magnesium) über die geschädigte Darmschleimhaut eine Rolle. Weil diese nicht nur eingeschränkt funktionsfähig ist, sondern aufgrund der typischen Zottenatrophie einen Großteil ihrer Oberfläche verliert, kann es zu einer Reihe von Mangelerscheinungen kommen darunter Anämie, periphere Neuropathie, Knochenschmerzen, Osteoporose, Osteomalazie, Muskelkrämpfe, Nachtblindheit, Ödeme und Blutungsneigung.

Das klassische Bild einer Zöliakie, wie man es vom Kleinkind kennt – Bauchschmerzen, Durchfälle, aufgetriebenes Abdomen, Erbrechen und Wesensveränderungen – tritt nur bei einer Minderheit der Patienten auf. Häufiger sind oligosymptomatische, subklinische und sogenannte symptomatische Verlaufsformen. „Oligo“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „wenige“, das heißt, es treten nur einige der möglichen Symptome auf – was eine Diagnose erschwert. Patienten mit subklinischer Zöliakie haben subjek- tiv keine Beschwerden – sie werden meist zufällig oder durch Scree- ning-Untersuchungen entdeckt, weisen aber die typische Zöliakie-Serologie und auch die typischen Veränderungen der Darmschleimhaut auf. Als „symptomatisch“ werden Verlaufsformen bezeichnet, bei denen Symptome hauptsächlich außerhalb des Magendarmtrakts auftreten.

Dazu zählen etwa Fatigue, Eisenmangel(anämie), Schlaflosigkeit und Müdigkeit. Schließlich kann sich die Zöliakie auch an der Haut als Dermatitis herpetiformis Duhring manifestieren, eine Hauterkrankung, die mit einem starken Juckreiz einhergeht. Zudem sollten unter anderem auch Migräne, Depressionen und Infertilität an eine Zöliakie als mögliche Ursache denken lassen. Schließlich gibt es Menschen, die zwar den HLA-DQ2 beziehungsweise –DQ8-Genotyp und auch die typischen Zöliakie-Autoantikörper, aber keine (oder kaum) Symptome und auch keine Veränderung der Darmschleimhaut aufweisen. In diesen Fällen spricht man von einer potenziellen Zöliakie. Die Zöliakie kommt gehäuft mit anderen Autoimmunerkrankungen wie beispielsweise Typ-1-Diabetes, Autoimmunthyreoiditis oder Autoimmunhepa- titis vor.

Diagnose Die Diagnose der Zöliakie basiert auf mehreren Faktoren: So müssen die Autoantikörper gegen die Gewebe-Transglutaminase sowie in einer Biopsie die typischen Veränderungen der Dünndarmschleimhaut nachgewiesen werden. Darüberhinaus erfolgt ein Gentest, um den Genotyp festzustellen – ist dieser nicht HLA-DQ2 oder -DQ8, ist damit eine Zöliakie so gut wie ausgeschlossen. Sodann wird gefordert, dass sich die Beschwerden des Patienten unter einer glutenfreien Diät deutlich bessern. Bei Kindern kann unter bestimmten Umständen auf die Biopsie verzichtet werden.

Therapie Die Behandlung einer Zöliakie besteht in einem strengen Verzicht auf Gluten. Darunter verbessern sich die Beschwerden meist rasch, auch die Darmschleimhaut erholt sich. Bei einer Minderheit der Patienten liegt eine refraktäre Zöliakie vor, bei der sich die Beschwerden nicht bessern. Hier können eventuell immunsuppressive oder antineoplastische Therapien zum Einsatz kommen.

Medikamente in der Entwicklung Aktuell befindet sich ein Medikament in der klinischen Testphase, das die Gewebe-Transglutaminase hemmt. Die Rationale: Vor allem das deamidierte Gliadin wirkt immunogen – könnte man die Deamidierung durch die Inhibition des Enzyms verhindern, sollte sich dadurch auch die Autoimmunreaktion unterbinden lassen. In einem noch frühen Entwicklungsstadium befinden sich Antikörperfragmente, die an mit der Nahrung aufgenommenes Gluten binden und es dadurch unschädlich machen sollen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/19 ab Seite 114.

Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

Die geschädigte Dünndarmschleimhaut kann häufig nicht mehr genug Laktase bilden, sodass Zöliakie oft mit Laktoseintoleranz einhergeht.

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