Eine Illustration eines kugelförmigen Virus mit Oberflächenstrukturen, daneben zwei Erbgut-Helices.© Gilnature/ iStock / Getty Images Plus
Viren vermehren sich, indem sie ihr Erbgut in das der Wirtszelle integrieren und vom Wirt neue Virusteile produzieren lassen. Schon eine kleine Mutation im Genom ändert den Bauplan kann dafür sorgen, dass die nächste Virus-Generation resistent gegen Arzneimittel ist.

Paxlovid®

SARS-COV-2 HAT DAS POTENZIAL ZUR RESISTENZ

Dass das Coronavirus anpassungsfähig ist, hat es bereits bewiesen: Einige Varianten entgehen dem Immunsystem und Impf-Antikörpern. Studien zeigen nun auf, dass SARS-CoV-2 gegen Nirmatrelvir, einen der beiden Wirkstoffe in Paxlovid®, resistent werden könnte.

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Kurz zur Erinnerung: Paxlovid®, das Fertigarzneimittel, das spezifisch gegen COVID-19-Infektionen entwickelt und zugelassen wurde, enthält zwei verschiedene Tabletten mit den Wirkstoffen Nirmatrelvir und Ritonavir. Ritonavir hemmt den Abbau von Nirmatrelvir. Nirmatrelvir blockiert ein viruseigenes Enzym, eine Protease. Sie zerschneidet normalerweise die sehr großen Proteine, die aus der Virus-RNA abgelesen werden, in neue, kleinere Virusbausteine. Nach der Blockade durch Nirmatrelvir kann sich das Virus also nicht mehr vermehren. 

Expert*innen hatten bereits befürchtet, dass das Coronavirus Resistenzen entwickeln würde, um dem Wirkstoff zu entgehen. Drei Studien bestätigen dies nun.

Die belgische Studie

Dr. Dirk Jochmans von der Universität von Leuven untersuchte mit seinem Team, wie viele Virusgenerationen nötig sind, bis SARS-CoV-2 gegen einen Proteaseinhibitor resistent wird. Sie verwendeten dabei eine Prüfsubstanz namens ALG-097161, die Nirmatrelvir ähnelt. Sie legten Zellkulturen an, überführten deren Tochterzellen in neue Gefäße (das nennt man Passagieren) und versetzten jede Generation mit steigenden Konzentrationen von ALG-097161.

Während die erste Zellgeneration lediglich 0,4 Mikromol (μM) des Inhibitors aushielt, waren es nach acht Passagen bereits 5 μM, also das 12,5-Fache. Nach vier weiteren Generationen, die 5 μM ALG-097161 ausgesetzt waren, sequenzierte das Forschungsteam das Genom der Viren und konnte drei Mutationen isolieren: E166A, L167F und L50F.

Doch damit nicht genug: Diese Virusgeneration war nicht nur gegen die Prüfsubstanz ALG-097161 resistent, sondern zudem kreuzresistent gegen Nirmatrelvir. Außerdem stellte das Team um Jochmans fest, dass Virusvarianten, die nur E166A und L167F trugen, nur mäßig resistent gegen die Proteaseinhibitoren waren. Erst die Kombination aus allen drei Mutationen führte zu einer deutlichen Resistenz.

Die gute Nachricht ist, dass die gefundenen Mutationen im Virus zu einer geringeren Protease-Aktivität führten. Obwohl also das Arzneimittel nicht mehr wirkte, sank die Vermehrungsfähigkeit der Varianten dennoch. Das Team gibt deshalb zu bedenken, dass die resistenten Mutanten sich unter echten Bedingungen womöglich nicht durchsetzen könnten.

Die dänische Studie

Ein Team der Universität Kopenhagen um Judith Margarete Gottwein kam zu ähnlichen Ergebnissen. Sie stießen auf die beiden Mutationen L50F und E166A, die das Coronavirus resistent gegen Nirmatrelvir machen. Ihrer Erkenntnis nach reicht jedoch schon E166A allein aus, um die Wirksamkeit des Proteaseinhibitors zu senken. Außerdem konnten sich die Varianten in ihrem Experiment durchsetzen, da ihre Proteaseaktivität nicht, wie in der belgischen Studie, durch die Mutationen gehemmt wurde.

Zwar fanden die Wissenschaftler*innen zudem heraus, dass Nirmatrelvir in Kombination mit Remdesivir weiter wirksam sei. Da Remdesivir aber als Injektion verabreicht wird, Nirmatrelvir hingegen oral, ist eine Kombination in der Praxis schwierig.

Die US-amerikanische Studie

Forscher*innen um Jun Wang von der Rutgers Universität in New Brunswick durchforsteten GISAID. Die Global Initiative on Sharing All Influenza Data ist eine Datenbank, die weltweit Genom-Sequenzierungen von Influenza-Viren und SARS-CoV-2 sammelt. Dort fand das Team 66 Genvarianten, die entweder die Virusprotease selbst oder ihre Nirmatrelvir-Bindungsstelle beeinflussen.

Als sie diese Varianten genauer untersuchten, stellten sie fest, dass fünf davon zu einer Nirmatrelvir-Resistenz führen: S144, M165, E166, H172 und Q192 – auf E166 waren auch das belgische und das dänische Team gestoßen. GISAID listet 5,1 Millionen Virusgenome, in 4665 davon fand das amerikanische Team E166. Die Wissenschaftler*innen halten das Risiko, dass diese Resistenz sich durchsetzt, deshalb aktuell für gering. Bei einem vermehrten Einsatz von Nirmatrelvir könnte die Variante jedoch einen Selektionsvorteil haben und schnell global dominieren.

Quellen:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/deutet-sich-eine-resistenzentwicklung-gegen-paxlovid-an-134074/  
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/135598/COVID-19-Studien-zeigen-leichte-Resistenzbildung-gegen-Nirmatrelvir
https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2022.06.07.495116v1
https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2022.06.06.494921v1
https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2022.06.28.497978v1

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