Eine Illustration von einer Schere, die durch einen DNA-Strang schneidet© Love Employee / iStock / Getty Images Plus
Erbkrankheiten aus der DNA schneiden und Gemüse so programmieren, dass es mehr gesunde Inhaltsstoffe liefert: Das und mehr kann die Genschere CRISPR.

Erbgut-Werkzeug

DIE GENSCHERE – UNGEAHNTE MÖGLICHKEITEN

Die sogenannte Genschere hat die Wissenschaft revolutioniert. Ein Jahrzehnt lang sorgt sie nun schon für Aufsehen; kaum ein Bereich, in dem nicht mit ihr experimentiert wird. Was kann sie, was nicht? Was gibt es Neues? Wir geben einen aktuellen Überblick.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Der Name Genschere bezeichnet verschiedene Molekülkomplexe. Alle schneiden DNA gezielt an der gewünschten Stelle. Die Besonderheit, die alle Genscheren gemeinsam haben, ist, dass man sie recht präzise steuern kann. So lässt sich das Erbgut verändern, lassen sich Gene an- oder ausschalten. Das bekannteste System ist CRISPR-Cas9, dessen Entdeckung mit dem Nobelpreis geehrt wurde.

Anfang des Jahres gaben Forschende des Würzburger Helmholtzzentrums für Infektionsforschung bekannt, eine neue Art von Genschere entdeckt zu haben: CRISPR-Cas12a2. Statt DNA schneidet sie RNA, das Erbgut vieler Viren. Hier steckt enormes therapeutisches Potenzial. Aber schauen wir uns zunächst an, was bereits jetzt mit der Genschere möglich ist. 
 

Unbesiegbare Pflanzen

Man kann Pflanzen mit der Genschere widerstandsfähiger gegen Umwelteinflüsse machen oder unempfindlich gegen Pilze und Bakterien. 2019 gelang es, Reispflanzen resistent gegen ein Bakterium zu machen, das zu Ernteausfällen führen kann. Die Forscher entfernten den Reispflanzen die Bindungsstelle für die Pathogene der Bakterien.

In den USA wird seit 2018 Mais mit höherem Stärkegehalt angebaut und vermarktet, in Japan seit 2021 eine Tomate mit besonderen Inhaltsstoffen. In Europa sind die Bestimmungen für gentechnisch veränderte Organismen strenger als in vielen anderen Ländern.

Tiere nach Bedarf

Im Jahr 2020 konnten Wissenschaftler bei männlichen Schweinen durch Stilllegung eines Gens eine Geschlechtsumkehr erreichen. Die Schweine waren nun weiblich. Dies könnte genutzt werden, um den bei männlichen Schweinen auftretenden strengen Geschmack des Fleisches zu beseitigen. Bei Hühnern führten Veränderungen im Erbgut dazu, dass männliche Embryonen im Ei abstarben.

Die Skepsis gegenüber gentechnisch veränderten Tieren ist groß. Die USA definieren die so erzeugten Organismen als Züchtungen, nicht als genetisch verändert, denn sie enthalten kein zusätzliches genetisches Material. In Europa sieht man das (noch?) anders.

Milch ohne Kühe

Die Veränderung des Erbgutes von Mikroorganismen ist keine neue Idee. Lab oder Insulin können so hergestellt werden. Die Weinindustrie nutzt veränderte Hefen.

Kürzlich gelang es erstmals, Kuhmilch ausschließlich durch Hefen zu produzieren. Dies macht es möglich, cholesterin- oder lactosefreie Milch herzustellen. Gleichzeitig entfällt das von Kühen in großen Mengen produzierte klimaschädliche Methan. Platz- und Wasserbedarf wären ebenfalls geringer. In den USA kam letztes Jahr „kuhfreie Milch“ mit gentechnisch hergestelltem Milcheiweiß auf den Markt. In Europa ist das bisher undenkbar.

Kerngesunde Menschen

Zahlreiche genetisch bedingte Erkrankungen werden als mögliche Anwendungsgebiete der Genscheren erforscht. Oft entnimmt man dem Körper Stammzellen, verändert diese und injiziert sie wieder zurück. An der Charité in Berlin forschen Wissenschaftler so an der Behandlung von genetisch bedingtem Muskelschwund. Die Genschere macht es möglich, die eigenen Stammzellen des betreffenden Menschen genau abgestimmt zu verändern.

In London wird an der Behandlung einer tödlich verlaufenden Stoffwechselstörung namens Transthyretinamyloidose (hATTR) geforscht. Dabei sind körpereigene Proteine durch einen Genfehler nicht mehr im Blut löslich und lagern sich im Körper ab. Die ersten Anwendungen der Genschere an betroffenen Menschen waren erfolgreich.

Weiter laufen Untersuchungen zu Einsatzmöglichkeiten gegen HIV, Malaria, Hepatitis, Krebs und Herzerkrankungen. Außerdem lässt sich die Methode nutzen, um gezielt bestimmtes Erbgut nachzuweisen, wie das von SARS-CoV-2, oder um es zu zerstören.
 

Die Büchse der Pandora?

Die Genschere ist ein mächtiges, umstrittenes Werkzeug. Mit ihr lässt sich effektiv und kostengünstig das Erbgut nahezu jeder Zelle verändern. Allerdings arbeitet sie nicht fehlerfrei.<s class="msoDel">,</s> Schnitte an der falschen Stelle sind selten, können aber schwere Folgen haben. Daher ist die Forschung an menschlichen Keimzellen ethisch umstritten und streng reguliert. Im Jahr 2019 kamen in China Zwillinge zur Welt, denen per Genschere eine Bindungsstelle für HIV entfernt worden war. Der Fall löste Entsetzen aus.

Weltweit sind Wissenschaftler der Meinung, dass dieses Werkzeug streng reguliert werden muss. In den falschen Händen könnte es fatale Folgen haben, in den richtigen viel Gutes bewirken.

Quellen:
https://www.spektrum.de/news/genschere-crispr-bremse-oder-vollgas-in-der-pflanzen-gentechnik/1695742 
https://www.trendsderzukunft.de/kuehe-ueberfluessig-forscher-produzieren-naturidentische-milch-im-bioreaktor/ 
https://perfectday.com/newsroom/perfect-day-and-betterland-foods-unveil-betterland-milk-the-first-ever-animal-free-milk-to-hit-shelves/ 
https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.2008743118 
https://www.nature.com/articles/s41587-019-0267-z#Abs1 
https://www.businessinsider.com/dupont-crispr-corn-in-stores-in-5-years 
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/mit-mrna-gegen-muskelschwund/ 
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/neue-art-der-crispr-genschere-entdeckt/ 
https://www.spektrum.de/news/gentechnik-die-crispr-kinder/1965646 
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/neue-art-der-crispr-genschere-entdeckt/ 

×