3-D-Illustration eines menschlichen Gehirns; daneben ein DNA-Strang © Dr_Microbe / iStock / Getty Images Plus
Die Alzheimer-Erkrankung gilt bislang als unheilbar. Doch nun könnte die Entdeckung einer Schutz-Mutation für die Forschung die Wende bedeuten.

Forschungssensation

SELTENE MUTATION BIETET SCHUTZ VOR ALZHEIMER

Die Ursachen und Krankheitsmechanismen von Alzheimer sind noch lange nicht abschließend geklärt. Mehr Licht ins Dunkel bringt nun jedoch ein Patient mit einer genetischen Mutation. Das Besondere an der Genvariante: Sie schütz den Patienten vor dem Auftreten einer erblich bedingten Alzheimer-Demenz.

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Die Entdeckung der Schutz-Mutation ermöglicht völlig neue Einblicke in die Wirkweise der Krankheit und könnte dazu beitragen, effektivere Therapieansätze zu finden. Die Genmutation ist so selten, dass weltweit nur eine einzige weitere Patientin bekannt ist.

Ein Forschungsteam um Francisco Lopera von der Universität von Antioquia in Kolumbien ist auf die Schutz-Mutation gestoßen. „Die genetische Variante, die wir identifiziert haben, deutet auf einen Weg hin, der zu einer extremen Widerstandsfähigkeit und einem Schutz vor Alzheimer-Symptomen führen kann“, sagt Co-Autor Joseph Arboleda-Velasquez von der Harvard Medical School in Boston.

Genmutation zögert Alzheimer-Ausbruch hinaus

Menschen mit der sogenannten Paisa-Mutation entwickeln normalerweise schon im Alter von im Schnitt 44 Jahren erste demenzielle Symptome und versterben binnen 20 Jahren an den Folgen der Erkrankung. So jedoch nicht der identifizierte Patient. „Der Mann zeigte trotz der Paisa-Mutation bis zu einem Alter von 67 Jahren keine kognitiven Beeinträchtigungen“, so Lopera und sein Team. Erst im Alter von 72 Jahren wurde bei ihm eine leichte Demenz diagnostiziert.

Bereits 2019 hatten die Forschenden um Joseph Arboleda-Velasquez eine ähnliche Patientin gefunden. Auch sie blieb trotz einer erblich bedingten Veranlagung zu Alzheimer bis zu ihrem 70. Lebensjahr symptomfrei. Verantwortlich für den Schutz der Patientin machten die Forschenden eine Mutation im Gen APOE3.

Schlüssel zum Verständnis von Alzheimer-Demenz

Auf der Suche nach vergleichbaren Ergebnissen führte das Team Untersuchungen an 1200 Menschen mit der Paisa-Mutation durch und stießen schließlich auf den zweiten Patienten. Dieser war mit 73 Jahren der Studie beigetreten. Als er ein Jahr später an den Folgen einer Lungenentzündung verstarb, spendeten seine Angehörigen sein Gehirn der Forschung.

An dem Gehirn durchgeführte Untersuchungen deckten auf, dass der Mann anders als die erste Patientin keine Mutation im Gen APOE3 aufwies. Bei ihm war dafür das Gen für das Protein Reelin verändert. Reelin ist für die Funktion von Nervenzellen essenziell und ähnlich wie auch das Gen APOE3 an der Phosphorylierung des Tau-Proteins beteiligt – mit dem Unterschied: Reelin verringert die Phosphorylierung, APOE3 erhöht sie.

„Die Tatsache, dass wir im ersten Fall eine Variante gefunden haben, die APOE betrifft, und im zweiten Fall Reelin, sagt uns, dass dieser Signalweg, der unter anderem die Phosphorylierung von Tau steuert, der Schlüssel zum Verständnis sein könnte, warum diese Patienten geschützt waren“, erklärt Arboleda-Velasquez. „Dies ist für die Therapieplanung von entscheidender Bedeutung, denn es zeigt uns deutlich, dass mehr Reelin möglicherweise positive Auswirkungen haben könnte.“

Was macht Alzheimer mit dem Gehirn?
Bei einem Alzheimer-Betroffenen sterben die Nervenzellen im Gehirn nach und nach ab. Die genauen Ursachen hierfür sind noch unklar. Aus bisherigen Untersuchungen ist jedoch bekannt, dass sich Plaques aus fehlgefalteten Beta-Amyloid-Proteinen zwischen den Nervenzellen im Gehirn ablagern. Auch die Tau-Proteine im Inneren der Nervenzellen sind bei Alzheimer krankhaft verändert. Das führt dazu, dass sie sich zu sogenannten Tau-Fibrillen zusammenschließen. Diese beiden Prozesse begünstigen den zunehmenden Verfall der Nervenzellen.

Schutz vor Demenz beginnt in entorhinalem Kortex

Die Untersuchungen, die noch zu Lebzeiten am Patienten durchgeführt wurden, zeigten, dass sein Hirn zwar die für Alzheimer typischen Amyloid-Beta-Plaques aufwies und von Tau-Fibrillen betroffen war, sein entorhinaler Kortex jedoch, weitgehend verschont blieb. Der entorhinale Kortex ist die Region im Gehirn, welche für das Lernen und Gedächtnis von Bedeutung ist.

„Dieser Fall deutet darauf hin, dass die entorhinale Region ein winziges Ziel darstellen könnte, das für den Schutz vor Demenz entscheidend ist“, sagt Quiroz.

„Die Erkenntnisse können uns Hinweise darauf geben, wo im Gehirn wir ansetzen müssen, um das Fortschreiten der Krankheit zu verzögern oder zu stoppen.“

Das Team will in zukünftigen Forschungsstudien Behandlungsansätze suchen, welche den Schutzmechanismus von Reelin nachahmen. Die Forschenden hoffen dabei, weitere Patienten mit Schutz-Mutationen zu identifizieren, um so Alzheimer genauer zu ergründen.

Quelle: wissenschaft.de

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