Schlafstörungen
PTA-Fortbildung

Wenn Schäfchenzählen nicht hilft …

Nicht schlafen zu können, ist eine Belastung, die die Betroffenen im täglichen Alltag einschränkt. Bevor Schlafmittel empfohlen werden, sollte die Ursache geklärt sein, denn sie kann vielfältig sein.

16 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. Februar 2020

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Achtung kurze Therapie Früher waren Benzodiazepine die Allzweckwaffe gegen Schlafstörungen und Ängste. Sie wurden seit den 1960er Jahren großzügig wegen der großen therapeutischen Breite und ihres Sicherheitsprofils eingesetzt. Benzodiazepine haben antikonvulsive, muskelrelaxierende und sedierende Eigenschaften, hingegen kein erhöhtes kardiales oder renales Risiko. In den letzten beiden Jahrzehnten haben die Verordnungszahlen deutlich abgenommen, weil die Substanzen dieser Wirkstoffgruppe ein hohes Abhängigkeitspotenzial aufweisen. Bereits nach wenigen Wochen stellt sich eine deutliche Toleranzentwicklung ein, sodass die Benzodiazepine nach heutigen Erkenntnissen maximal vier bis sechs Wochen eingesetzt werden sollen. Die pharmakologische Wirkung beruht auf der Bindung an GABAA-Rezeptoren (gamma-​Aminobuttersäure). Die gamma- Aminobuttersäure ist der wichtigste inhibitorische Neurotransmitter im ZNS und steuert die Signalweiterleitung, die für den Schlaf, die Hirnströme, Gefühle von Angst und vieles mehr verantwortlich ist. Benzodiazepine verstärken die Wirkung von GABA am Rezeptor. Benzodiazepine unterscheiden sich im Wesentlichen aufgrund ihrer Halbwertzeiten.

Zu beachten ist, dass die Metabolite auch ihrerseits zum Teil noch aktiv sind und ebenfalls lange Halbwertzeiten haben. So sollte Diazepam aus diesem Grund nicht bei älteren Patienten eingesetzt werden, weil die Gefahr der Akkumulation und der erhöhten Sturzgefahr besteht. Wenn Benzodiazepine als Schlafmittel verordnet werden, sollten Wirkstoffe wie Oxazepam und Lorazepam mit kurzen Halbwertzeiten bevorzugt werden. Im höheren Alter sind Benzodiazepine nicht die erste Wahl, da sie häufig zum Hangover am nächsten Tag führen, Muskelschwäche, Mattigkeit empfunden wird und das Risiko für ein Delir und demenzielle Symptome verstärken. Die Einschränkung des Reaktionsvermögens ist zu beachten, wenn berufstätige Patienten Benzodiazepine einnehmen und am nächsten Morgen mit dem Auto zur Arbeit fahren oder an Maschinen arbeiten. Menschen, die in der Vorgeschichte bereits Substanzmissbrauch betrieben haben, sollten keine Benzodiazepine einnehmen. Risikogruppen sind Patienten mit psychischen Erkrankungen, Menschen mit chronischen Schmerzen, Alkoholiker und Menschen mit chronischen Schlafstörungen.

Die Kombination mit Alkohol, Drogen und Psychopharmaka kann zu Atemdepression und Kreislaufstillstand führen. Die gemeinsame Einnahme mit Clozapin und Olanzapin ist absolut beziehungsweise relativ kontraindiziert. Patienten mit COPD, Schlafapnoe-Syndrom oder Myasthenia gravis sollten ebenfalls nicht mit Benzodiazepinen behandelt werden. In der Schwangerschaft können Wirkungen auch das Kind betreffen, da die Arzneistoffe plazentagängig sind. Der Dauergebrauch kann beim Neugeborenen das „Floppy Infant Syndrom“ mit Muskel- und Trinkschwäche hervorrufen. Die Z-Substanzen Zopiclon und Zolpidem haben ebenfalls gute Wirksamkeit bei Einschlafstörungen. Im Vergleich zu den Benzodiazepinen haben sie kürzere Halbwertzeiten, Zolpidem eine bis drei Stunden; Zopiclon fünf bis acht Stunden. Deshalb eignen sie sich weniger zur Behandlung von Durchschlafstörungen. Sie sind verträglicher und haben ein geringeres Abhängigkeitspotenzial. Z-Substanzen setzen ebenfalls am GABAA-Rezeptor an, allerdings mit einer anderen Selektivität.

So haben sie keine antiepileptische Wirkung, verbessern jedoch den Schlaf. Nach längerer Einnahme besteht hier auch ein Gewöhnungseffekt, wenn auch geringer als bei den Benzodiazepinen. Wegen der kürzeren Halbwertzeiten kommt es seltener zum hang over. Nebenwirkungen wie Schwindel, eingeschränkte Kognition und Sturzgefahr beschränken die Anwendung im Alter. Laut Priscus-​Liste sollen bei Patienten ab 65 Jahren Dosierungen von 5 Milligramm Zolpidem und 3,75 Milligramm Zopiclon nicht überschritten werden. Bei korrekter Anwendung von Benzodiazepinen und Z-Substanzen über einen kurzen Zeitraum (bis zu vier Wochen) haben wenig Einfluss auf den wichtigen REM-Schlaf; die Schlafstadien II und III werden verlängert und das Stadium IV verkürzt. Nach Absetzen der Substanzen kann es zu einem unerwünschten REM-Rebound, also einem erhöhten Anteil von REM-Schlafphasen, kommen. Das bedeutet, dass der Patient sehr intensive und lange Traumphasen hat, die ihn unerholt aufwachen lassen. Tagsüber fühlt sich der Patient dann gerädert und gereizt, was den erneuten Griff zur Tablette und den Einstieg in einen Teufelskreis begünstigt. Bei längerer Einnahme kann sich durch den Rebound sogar eine völlige Schlaflosigkeit einstellen.

Die Fotorezeptoren der Netzhaut reagieren auf die Wellenlänge des blauen Lichtes von Smartphone oder Tablet besonders empfindlich und signalisiert dem ZNS: Wachbleiben!

Antidepressiva Wegen der Risiken von Benzodiazepinen und Z-Substanzen, bevorzugen viele Ärzte für die dauerhafte Therapie von Schlafstörungen andere Arzneistoffe mit einem Sedierungspotenzial. Antidepressiva wie Mirtazapin und trizyklische Antidepressiva weisen ein geringes bis kein Abhängigkeitspotenzial auf, und auch die sogenannte Rebound- Insomnie bleibt nach Absetzen aus. Sie werden in der Regel in niedrigeren Dosierungen eingesetzt als zur Therapie der unipolaren Depression. Bei Doxepin verschreiben Ärzte zum Beispiel meist 10 bis 50 Milligramm (mg), während zur Behandlung von Patienten mit Depressionen 100 bis 300 mg erforderlich sind.

Sedierende Antidepressiva werden häufig eingesetzt, wenn die Schlafstörungen mit einer depressiven Symptomatik einhergehen. Als reine Schlafmittel kommen sie off-label zum Einsatz. Von Nachteil sind vor allem die anticholinergen Eigenschaften sedierender trizyklischer Antidepressiva. Mirtazapin hat zusätzlich ein leichtes Risiko, die QT-Zeit im EKG zu verlängern. Antidepressiva können auch die REM-Schlafphasen unterdrücken. Ein Wirkstoff, der den REM-Schlaf nicht verändert, deshalb gerne als Schlafmittel bei alten Menschen verordnet wird, ist das trizyklische Antidepressivum Trimipramin. Neben Doxepin und Trazodon gehört Trimipramin zu den Arzneistoffen, die in kontrollierten klinischen Studien bezüglich Sicherheit und Wirksamkeit bei der Therapie von Patienten mit primärer chronischer Insomnie am besten bewertet wurden.

Antipsychotika Gerade in der Gerontopsychiatrie werden Substanzen mit beruhigender und antipsychotischer Wirkung verordnet. Die niedrigpotenten Antipsychotika der ersten Generation Pipamperon und Melperon haben eine Indikation für die Behandlung von Schlafstörungen. Sie sind relativ gut verträglich, weil sie kaum anticholinerge Nebenwirkungen hervorrufen. Dennoch ist zu beachten, dass die antidopaminergen Wirkungen bei Patienten mit Morbus Parkinson kontraproduktiv sind und Übelkeit, Erbrechen, zentrale Störungen und Bewegungsstörungen hervorrufen können. Pipamperon kann die QT-Zeit verlängern und sollte bei Risikopatienten mit kardialen Vorerkrankungen und anderen QT-​Zeit-verlängernden Medikamenten nach Risiko-Nutzen-​Abwägung eingesetzt werden.

Melatonin Der Schlaf-Nacht- Rhythmus wird physiologisch durch vom Körper gebildetes Melatonin, das aus Serotonin als Vorstufe im Gehirn gebildet wird, gesteuert. Im Dunkeln wird der Botenstoff ausgeschüttet und liegt in drei- bis zwölffacher Konzentration vor. Als Medikament gibt es in Deutschland ein zugelassenes Arzneimittel, das bei der Indikation Schlafstörungen Menschen über 55 Jahre verordnet werden kann. Wie verträglich Melatonin in der Langzeitanwendung ist, wurde noch nicht ausreichend erforscht. Normalerweise werden zwei Milligramm abends etwa 30 Minuten vor dem Schlafengehen eingenommen.

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