Pilzvergiftungen
E-Learning-Fortbildung

Lecker bis tödlich

Sie mögen es gerne feucht, am liebsten warm, sind teilweise sehr schmackhaft, können berauschend aber auch giftig sein, sind mikroskopisch klein oder ganz groß, sind nützlich, können krankmachen, aber auch heilen und sie sind omnipräsent: Pilze.

19 Minuten

Psychoaktive Pilze
Ein versehentlicher Konsum steht hier im Hintergrund, psychoaktive Pilze werden meist mit voller Absicht konsumiert. Deshalb tragen sie auch den Namen „Rauschpilze“. Auch bei spirituellen Veranstaltungen wurden und werden sie noch von verschiedenen Völkern als Etheogen eingesetzt. Das bedeutet, die mit dem Konsum verbundenen rauschähnlichen, halluzinogenen Zustände sollen beim Berauschten ein Gefühl hervorrufen, mit einer Gottheit oder einem höheren Wesen verbunden zu sein oder das Universum in seiner ganzen Fülle zu erfassen. Verantwortlich für die psychoaktive Wirkung sind unter anderem Stoffe wie Psilocybin, Psilocin, Baeocystin, Muscimol oder Ergin. Psilocybinhaltige Pilze werden in der Gruppe der sogenannten „Magic Mushrooms“ zusammengefasst. Der Konsum führt auch hier zur Vergiftung, dem sogenannten Psilocybin-Syndrom. Nach einer psilocybinhaltigen Pilzmahlzeit vergeht ungefähr eine halbe Stunde bis zum Auftreten erster Symptome. Somit beträgt die Latenzzeit 15 Minuten bis zwei Stunden. Ähnlich eines leichten Alkoholrausches stellt sich wohlige Wärme und Steigerung der sexuellen Lust ein. Erst frühestens nach einer Stunde treten die eigentlichen Halluzinationen auf, erreichen ihren Höhepunkt nach zwei Stunden, halten bis zu fünf Stunden an und klingen ohne Drogenkater schnell ab. Körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Übelkeit, Benommenheit und Gleichgewichtsstörungen, Muskelschwäche, "Ameisenlaufen" und ein taubes Gefühl auf der Haut können auftreten. Typisch sind neben Hypotonie und Bradykardie, auch die erweiterten Pupillen. Möglich sind der unkontrollierte Abgang von Harn oder Stuhl sowie unkontrollierte Muskelbewegungen.
Die psychische Wirkung von Psilocybin, das im Organismus in Psilocin umgewandelt wird, beruht auf der Strukturähnlichkeit zum Serotonin, was auch ihre ähnliche Wirkung erklärt. Serotonin ist unter anderem für die emotionale Regulation und Hemmung der Impulsivität und Aggressivität verantwortlich. Psilocin wirkt hier als Agonist und koppelt mit hoher Affinität hauptsächlich an Serotonin-Rezeptoren des Typs 5-HT2A. Ergebnis ist die totale Reizüberflutung mit völlig veränderter Ich- und Umweltwahrnehmung, Halluzinationen werden visuell (gesehen), auditorisch (gehört), sowie taktil (gefühlt) wahrgenommen.
Ob es zu einem "good trip“ mit Glücksgefühlen und Lachanfällen oder einem „bad-trip“ mit Angst, Unruhe, Gewalttätigkeit, Delirium und Panikanfällen kommt, richtet sich entscheidend nach der Stimmungslage der Person vor der Einnahme der Pilze.
Der Psilocybingehalt variiert unter den verschiedenen Pilzarten sehr stark, sodass die konsumierte Pilzmenge keinen Rückschluss auf die zugeführte Dosis zulässt. Bei einer Halluzinogenmenge von vier Milligramm (mg) kommt es zu leichteren Rauschzuständen. Bei 5 bis10 mg treten die Halluzinationen bei geschlossenen Augen auf und ab 10 mg bei offenen Augen. Ab 20 mg setzen örtlich und zeitlich verzerrte Wahrnehmung, Gleichgewichts- und Wahrnehmungsstörungen ein, wobei der Rauschzustand in der Regel sechs bis zehn Stunden anhalten kann. In den meisten Fällen treten keine Spätwirkungen auf.

Phalloides-Syndrom
Verwechslungen von Speise-Champignons mit grünen, weißen oder spitzhütigen Knollenblätterpilzen aus der Gattung der Wulstlinge, können für Pilzsammler zum Verhängnis werden. Denn Vergiftungen durch den Verzehr dieser Pilze sind heimtückisch, nicht leicht zu erkennen und gehen zu 90 Prozent tödlich aus. Der Giftcocktail setzt sich aus zwei verschiedenen Toxin-Arten zusammen. Den weitaus giftigeren Amatoxinen (α-Amanitin, β-Amanitin, γ-Amanitin, ε-Amanitin, Amanin, Amaninamid, Amanullin, Amanullinsäure, Proamanullin) und den weniger giftigen Phallatoxinen (Phalloidin, Phalloin, Prophalloin, Phallisin, Phallacin, Phallacidin, Phallisacin). Alle Verbindungen sind thermostabil, können durch Kochen also nicht unschädlich gemacht werden.
Für die Diagnose ist zusätzlich erschwerend, dass die Vergiftung in zwei Phasen verläuft. Nach dem Verzehr treten innerhalb von acht bis 24 Stunden heftige Brechdurchfälle und Koliken auf, die dann recht schnell wieder abklingen – dies ist die gastrointestinale Phase. Diese vermeintliche Besserung hält für zwei bis drei Tage an, die Patienten sind weitgehend symptomfrei. Der totale Zusammenbruch, Schock durch komplettes Leber- und Nierenversagen, zentrale Krämpfe und Atemlähmung folgen nach drei bis fünf Tagen – das ist die hepatorenale Phase. Der Tod tritt etwa zehn Tage nach dem Verzehr ein.
Vorwiegend sind die Amatoxine für die Intoxikation verantwortlich. Eine kurze Einwirkungszeit verursacht kaum Schäden. Amatoxine unterliegen aber dem enterohepatischen Kreislauf und verweilen dadurch lange genug, um ihre schädigende Wirkung zu entfalten. Sie hemmen die Synthese von m-RNA, die für die Transkription der DNA im Rahmen der Proteinbiosynthese benötigt wird. Diese Hemmung führt zur Apoptose (Zelltod). Besonders geschädigt werden hier die stoffwechselaktiven Hepatozyten (Leberzellen) sowie das Nierengewebe. Die tödliche Dosis von Amanitin liegt für den Menschen bei 0,1 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht.
Schon beim Verdacht, dass es sich um eine Vergiftung handeln könnte, gehört der Betroffene in die Klinik, dann können rasch Maßnahmen der primären Giftelimination eingeleitet werden. Meist jedoch kommen die Vergifteten erst später, wenn diese Maßnahmen nicht mehr zu einem Erfolg führen. In der sogenannten symptomfreien Zeit kommt es zur absoluten Schädigung der Leberzellen. Jetzt besteht die Therapie aus Aktivkohle zum Unterbrechen des enterohepatischen Kreislaufs und der Gabe salinischer Laxanzien, um die intestinale Elimination zu beschleunigen. Ebenso wichtig ist der Ausgleich des Wasser- und Elektrolythaushaltes des Körpers und die Stabilisierung der Vitalfunktionen. Als Antidot steht Silibinin zur Verfügung, einer der Hauptinhaltsstoffe der Mariendistelfrüchte (Cardui mariae fructus), das intravenös verabreicht wird. Silibinin hemmt kompetitiv den Eintritt der Amatoxine in die Hepatozyten. Es kann im Wechsel mit Penicillin G verabreicht werden, das ebenfalls die Aufnahme der Amatoxine hemmt. Möglich ist die Gabe von Diazepam (muskelrelaxierend), hochdosierten Glucocorticoiden und die Substitution der Gerinnungsfaktoren. Eventuell kann bei drohendem Nierenversagen noch eine Hämodialyse oder eine Hämoperfusion durchgeführt werden.

Acromelalga-Syndrom
Die in Europa weitgehend unbekannte, jedoch in Asien verbreitete Pilzvergiftung mit dem Wohlriechenden Trichterling, Parfümierten Trichterling oder Japanischen Bambustrichterling führt zum Acromelalga-Syndrom. Mit äußerst langer Latenzzeit zeigen sich Symptome erst nach ein bis zwei, meist jedoch erst nach sieben Tagen. Es treten außergewöhnliche Schmerzen an den Extremitäten auf. Zusätzlich kommt es dort zur Überwärmung, Schwellung sowie Rötung bis Dunkelfärbung der Extremitäten. Oftmals ist die Erkrankung langwierig und zieht sich bei besonders schwierigem Verlauf über mehrere Monate hin. Das auslösende Toxin ist die Acromelsäure. Die Therapie besteht in der Gabe von hohen Dosen Metamizol gegen die starken Schmerzen und der Kühlung der betroffenen Extremitäten. Bewegung und Wärme verstärken die Schmerzen. Die Patienten leiden zusätzlich unter starker Erschöpfung.

Bärbel Meißner,
Apothekerin

Die Autorin versichert, dass keine Interessenkonflikte im Sinne von finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten bestehen, die von den Inhalten dieser Fortbildung positiv oder negativ betroffen sein könnten.

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