Pilzvergiftungen
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Lecker bis tödlich

Sie mögen es gerne feucht, am liebsten warm, sind teilweise sehr schmackhaft, können berauschend aber auch giftig sein, sind mikroskopisch klein oder ganz groß, sind nützlich, können krankmachen, aber auch heilen und sie sind omnipräsent: Pilze.

19 Minuten

Arzneistoffe aus Pilzen
Penicillin
gilt als Zufallsentdeckung des schottischen Bakteriologen Alexander Fleming, der 1928 die Substanz aus Kulturen des Schimmelpilzes Penicillium notatum extrahierte. Die Gemeinsamkeit aller β-Lactam-Antibiotika liegt in ihrer Strukturformel, sie besitzen einen viergliedrigen Lactam-Ring, welcher zum Zeitpunkt der Zellteilung den Aufbau der Bakterien-Zellwand hemmt. Penicilline wirken bakterizid, das bedeutet, dass sie auf wachsende Bakterien wirken und diese töten. Da Bakterienwände aus anderen Bausteinen bestehen als die der menschlichen Zellen, haben Penicilline eine nur geringe Toxizität für den Menschen. Leider besitzen sie ein relativ hohes Allergisierungspotenzial und viele Bakterienstämme haben mittlerweile Resistenzen entwickelt. Die Unterschiede in der Wirksamkeit der verschiedenen Wirkstoffe kommen durch unterschiedliche Affinität und Penetrationsfähigkeit zustande. Penicilline sind während der Schwangerschaft einsetzbar, unterliegen in der Stillzeit jedoch einer strengen Nutzen-Risiko-Abwägung.
Bei Saccharomyces boulardii handelt es sich um eine apathogene Hefe, die bereits 1923 von dem französischen Mykologen Henri Boulard aus den Schalen von Litschi- und Mangostanfrüchten isoliert wurde. Probiotische Präparate mit Saccharomyces boulardii werden oral eingenommen. Die Arznei-Hefe ist aufgrund der für sie günstigen Lebensbedingungen im Magen-Darm-Trakt in der Lage, sich in selbigem innerhalb weniger Stunden anzusiedeln. Daraufhin werden Durchfall-Erreger in ihrem Wachstum gehemmt, die Regeneration des Darms unterstützt und die physiologische Darmbesiedelung wiederhergestellt. Zu den Indikationen gehören akute Durchfallerkrankungen (Erwachsene, Jugendliche und Kinder ab 6 Monaten), AAD (Antibiotika-assoziierter Durchfall), Durchfälle unter Sondenernährung, sowie die Prophylaxe und Behandlung von Reisedurchfällen (Erwachsene und Kinder ab 12 Jahren). Möglich ist auch eine unterstützende Therapie bei länger bestehenden Formen der Akne. Im Gegensatz zu anderen Probiotika kann Arznei-Hefe zeitgleich mit einer Antibiotika-Therapie eingenommen werden, da sie unempfindlich gegen die Arzneistoffe ist. Doch Achtung in der Selbstmedikation: Durchfälle bei Kindern unter zwei Jahren, sowie bei Schwangeren oder Frauen während der Stillzeit sollten zuvor immer ärztlich abgeklärt werden. Kontraindiziert ist der Einsatz bei schwerkranken Patienten, solchen die immunsupprimiert sind oder einen zentralen Venenkathether besitzen. Die verschiedenen sich auf dem Markt befindlichen Saccharomyces boulardii-Präparate unterscheiden sich je nach Herstellungsverfahren und Aufbereitung in Lagerung, Haltbarkeit und Verfügbarkeit. Besonders vorteilhaft sind hier die lyophilisierten Arznei-Hefen. Bei der Lyophilisierung handelt es sich um eine besonders schonende Methode der Konservierung durch Gefriertrocknung. Hierbei bleiben die empfindlichen Hefezellen lebensfähig und somit die Wirksamkeit des Produktes erhalten. Lyophilisierte Arznei-Hefe muss nicht kühl gelagert werden, da sie wärmeunempfindlich ist. Solche Präparate sind unterwegs und auf Reisen gut transportierbar und besitzen eine lange Haltbarkeit.
Lovastatin, einer der ersten Wirkstoffe aus der Gruppe der Statine zur Senkung des Cholesterinspiegels, kann ebenfalls aus Pilzen gewonnen werden. Die Herstellung erfolgt neben einer Totalsynthese auch in einem mehrstufigen Fermentationsverfahren aus dem Schimmelpilz Aspergillus terreus, sowie aus Monascus ruber.

Pilzvergiftung - was tun?
Pilzvergiftungen sind orale Vergiftungen, bei denen sich weder die Symptome einheitlich zeigen, noch der Vergiftungsverlauf ähnlich ist. Aufgrund dieser Diversität lassen sich Pilzintoxikationen oftmals schwer erkennen und richtig einschätzen. So kann eine Vergiftung eher harmlos verlaufen, Auswirkungen auf den Magen-Darm-Trakt haben, innere Organe oder Teile des Nervensystems angreifen und dort zu irreversiblen Schäden führen oder sogar tödlich verlaufen.

Bei der Behandlung steht die Sicherung der Vitalfunktionen immer an erster Stelle. Daneben schließen sich Maßnahmen zur Giftelimination an, um die Konzentration des Giftes im Organismus zu senken und Schlimmeres zu vermeiden. Falls vorhanden, kann auch ein spezifisches Antidot zum Einsatz kommen.

Die 5-W-Fragen zur Pilzvergiftung
Welcher Pilz wurde verzehrt?
Wie lange liegt der Verzehr der Pilzmahlzeit zurück?
Welche Menge an giftigen Pilzen wurde verzehrt?
Wie ist der Zustand des Vergifteten?
Welche Symptome zeigt der Vergiftete?

Primäre Giftelimination
Bei der primären Giftelimination, die unspezifisch ist, soll die weitere Giftresorption vermindert oder verhindert sowie die Ausscheidung des noch nicht resorbierten Giftes beschleunigt werden. Alle Maßnahmen müssen logischerweise zeitnah zur Giftaufnahme erfolgen.
Beim provozierten Erbrechen wird medikamentös das Brechzentrum stimuliert und Erbrechen aktiv ausgelöst. Es gilt als Sofortmaßnahme und kann nur unmittelbar nach der oralen Giftaufnahme in einem Zeitfenster von weniger als 60 Minuten eingesetzt werden. Hierbei besteht eine hohe Aspirationsgefahr, das bedeutet, dass es während des Erbrechens zur Inhalation von Erbrochenem kommen kann. Trotzdem gilt es als weniger belastende Alternative zur Magenspülung. Als Medikament für Erwachsene steht Apomorphin zur Verfügung, das intravenös verabreicht wird. Es stimuliert Dopamin-D2-Rezeptoren im Brechzentrum. Bei Kindern ist Ipecacuanha-Sirup oral einsetzbar.
Medizinische Kohle, die auch als Aktivkohle oder Carbo medicinalis bezeichnet wird, ist ein Adsorbens und gilt als Universalantidot. Aufgrund ihrer großen Oberfläche kann sie bei direktem Kontakt Gifte anlagern. Der so gebundene Giftstoff kann nicht mehr resorbiert werden, verbleibt im Magen-Darm-Trakt und wird über den Darm ausgeschieden. Die orale Gabe erfolgt als Suspension in Wasser und muss in einer Dosierung von einem Gramm pro Kilogramm Körpergewicht unmittelbar nach dem Verzehr der Pilzmahlzeit erfolgen. Nach circa 30 Minuten schließt sich zusätzlich die Gabe eines salinischen, osmotisch wirksamen Abführmittels an, damit die gebundene Giftmenge möglichst schnell ausgeschieden werden kann.
Bei einer Magenspülung werden mit einem Magenschlauch Einzelportionen von 150 bis 300 Milliliter lauwarmer, physiologischer Kochsalzlösung bis zu einer Gesamtmenge von 20 bis 60 Litern verabreicht. Die Magenspülung ist eine sehr effektive Maßnahme und wird ausschließlich von einem Arzt durchgeführt, stellt jedoch für den Patienten eine schwere psychische Belastung dar.
Wenn die Pilzgifte bereits den Magen passiert haben, kann durch die Gabe von osmotisch wirksamen Laxanzien, eine beschleunigte Darmentleerung erreicht werden. Zur Verfügung stehen Lösungen von Natriumsulfat (Glaubersalz) oder Sorbit. Auch diese Maßnahme kann nur in einem engen Zeitfenster wirken und muss deshalb vor Resorption des Gifts erfolgen.

Sekundäre Giftelimination
Bei bereits erfolgter Giftresorption können nur noch Maßnahmen zur Beschleunigung der Giftelimination erfolgreich sein.
Pilzgifte unterliegen häufig dem körpereigenen enterohepatischen Kreislauf (EHK), bei dem es zum mehrfachen Zirkulieren des Toxins zwischen Darm, Blut, Leber und Gallenblase kommt. So werden sie nach Leberpassage biliär (mit der Galle) ausgeschieden, in tieferen Darmabschnitten teilweise oder ganz rückresorbiert und erneut im Blutkreislauf verteilt. Mittels der wiederholten Gabe von Aktivkohle oder Colestyramin wird diese Zirkulation unterbrochen.
Weitere Maßnahmen der sekundären Giftelimination sind: Hämoperfusion (außerhalb des Körpers stattfindende Blutwäsche), therapeutische Plasmapherese (außerkörperlicher Plasmaaustausch), forcierte Diurese (z.B. durch Gabe von Schleifendiuretika) oder Austauschtransfusion (kompletter Blut- oder Blutkomponentenaustausch).

Sofortmaßnahmen bei Pilzvergiftung
Es handelt sich immer um einen NOTFALL, daher:
1. Arzt kontaktieren!
Es geht nicht ohne ärztliche Hilfe - je nach Grad der Symptome kann beim Hausarzt nachgefragt, ein Notarzt angefordert oder bei den Gift-Notruf-Zentralen des jeweiligen Bundeslandes angerufen werden.
2. Reste sichern!
Zu leichteren Identifikation sollten alle Reste, die rund um die Pilzmahlzeit entstanden sind, sichergestellt werden. Gemeint sind hier nicht nur die Reste vom Pilze putzen oder der Pilzmahlzeit selbst, sondern auch das eventuell Erbrochene. Eine anschließende Untersuchung dieser Reste kann Aufschlüsse zum Pilz, der Pilzart oder dem auslösenden Toxin geben. Die Diagnose kann hierdurch unterstützt und das Einleiten der adäquaten Therapie immens erleichtert und beschleunigt werden.
3. Keine Hausmittel!
Die Anwendung von Hausmitteln ist absolut ungeeignet. Also keine Milch trinken, um eventuell Toxine zu binden, und keine konzentrierte Kochsalzlösung oder die mechanische Reizung mit einem Finger anwenden, um Erbrechen auszulösen. Auch das eigenmächtige Verabreichen von medizinischer Kohle, um Durchfälle zu lindern, sollte unterbleiben. Mit all dem wird häufig die Diagnose erschwert und entscheidende Zeit verloren.

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