Pilzvergiftungen
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Lecker bis tödlich

Sie mögen es gerne feucht, am liebsten warm, sind teilweise sehr schmackhaft, können berauschend aber auch giftig sein, sind mikroskopisch klein oder ganz groß, sind nützlich, können krankmachen, aber auch heilen und sie sind omnipräsent: Pilze.

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Einteilung nach Latenzzeit
Das Ausmaß der Symptome sowie der Schädigungen hängt in erster Linie von der aufgenommenen Menge des Pilztoxins ab. Daneben ist vor allem die Latenzzeit für die Schwere der Vergiftung ausschlaggebend. So werden Pilzvergiftungen nach der Zeit eingeteilt, die zwischen der Pilzmahlzeit und dem ersten Auftreten von Vergiftungserscheinungen liegt. Pilzvergiftungen haben eine kurze Latenzzeit, wenn die ersten Anzeichen bereits nach 15 Minuten bis sechs Stunden nach Verzehr auftreten. Bei Vergiftungen mit langer Latenzzeit zeigen sich erste Symptome erst nach über sechs Stunden bis mehreren Tagen. Wenn Symptome sehr zeitnah nach der Mahlzeit auftreten, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass durch die Vergiftung keine Organe geschädigt werden und sie daher nicht lebensbedrohlich verlaufen wird. Bei einer langen Latenzzeit hat das Toxin ausreichend Zeit zur Resorption, Verteilung im gesamten Organismus und Schädigung von Leber und Nieren, die für Biotransformation und Ausscheidung verantwortlich sind. Diese Vergiftungen sind lebensbedrohlich, bedürfen der Intensivmedizin und gehen oftmals tödlich aus. Auch nach dem Überleben solcher Pilzintoxikationen bleiben oft Spätfolgen zurück.

Latenzzeit Vergiftung
Minuten bis 1 Stunde Coprinus-Syndrom
15 Minuten bis 2 Stunden Muscarin-Syndrom; Gastrointestinales Syndrom
15 Minuten bis 4 Stunden Pantherina-Syndrom; Psilocybin-Syndrom
8 bis 24 Stunden / drei Tage Phalloides Syndrom
1 bis 2 bis 7 Tage Acromelalga-Syndrom

Coprinus-Syndrom
Wenn Pilzgericht und Alkohol zusammentreffen, ist die Voraussetzung für das Auftreten des Coprinus-Syndroms gegeben: Der Verzehr von Pilzgerichten aus gekochten Tintlingen zusammen mit alkoholhaltigen Getränken lösen die Vergiftung aus. Es kommt nicht nur dazu, wenn der Alkohol direkt zum Pilzgericht konsumiert wird, sondern auch, wenn er kurz davor oder danach getrunken wurde. Werden die Pilze roh gegessen, entsteht keine Vergiftung. Das hierfür verantwortliche Pilzgift Coprin ist vor allem in Tintlingen wie dem Falten-Tintling oder dem Glimmer-Tintling enthalten. Coprin zerfällt beim Kochen in Glutaminsäure und 1-Aminocyclopropanol. Aminocyclopropanol gilt als die biologisch toxische Substanz und blockiert die körpereigene Aldehyd-Dehydrogenase (ALDH). Physiologisch wird unter der Einwirkung von Enzymen zunächst Ethanol zu Acetaldehyd umgewandelt. Acetaldehyd wird weiter mithilfe der Aldehyd-Dehydrogenase zur Essigsäure abgebaut. Ist nun die ALDH blockiert, bleibt die Ethanol-Verstoffwechselung auf der Stufe des Acetaldehyds stehen. Aus diesem Grund wird hier auch vom Acetaldehyd-Syndrom gesprochen. Die höheren Konzentrationen an Acetaldehyd sind für die Ausbildung der typischen Symptome verantwortlich. So kommt es plötzlich zur Verfärbung der Haut von Gesicht, Nacken und Brust, die von stark rot bis violett reichen kann. Die Pupillen sind stark erweitert, es kann zu Schweißausbrüchen, Kopfschmerzen, Atemnot, Herzrasen und Kollaps kommen. Meist verschwinden die Symptome nach einigen Stunden von alleine wieder und eine Therapie ist nicht notwendig. Jeder Patient erhält vorsorglich ein Gramm medizinische Kohle pro Kilogramm Körpergewicht. Sollte sich der Zustand des Patienten nicht bessern, reicht meist die Gabe eines sedierenden Antihistaminikums, das beruhigend und gegen die Übelkeit wirkt. Bei schwereren Verläufen steht als Antidot Fomepizol zur Verfügung, das auch bei Ethylenglykol-Vergiftung oder im Alkohol-Entzug eingesetzt wird. Die Prognose der Vergiftung ist gut, bis heute sind keine Todesfälle bekannt.

Muscarin-Syndrom
Der Verzehr von diversen Risspilz-Arten wie zum Beispiel des Ziegelroten Risspilzes, Erdblättrigen Risspilzes und Kegelhütigen Risspilzes oder Trichterlingen wie Feldtrichterling oder Duft-Trichterling führt zur Auslösung des Muscarin-Syndroms. Auch als Muscarinerges Syndrom in der Literatur zu finden, treten hier Symptome wie Schwitzen, Durchfall, starkes Erbrechen, verkleinerte Pupillen und Sehstörungen, verlangsamter Puls, sowie erhöhter Tränen- und Speichelfluss auf. All das sind Zeichen für eine Steigerung des Parasympathikus, die sich meist innerhalb einer Latenzzeit von 15 Minuten bis zwei Stunden einstellt. Auslösendes Toxin hierfür ist Muscarin, das eine hohe Strukturähnlichkeit mit dem körpereigenen Acetylcholin aufweist. So besetzt es cholinerge Rezeptoren und wirkt dort als Agonist. Da Muscarin nicht enzymatisch abgebaut werden kann, kommt es zu einer dauerhaften Erregung. Durch die Muscarin-Wirkung an den Bronchien kommt es zur Verengung der Atemwege, die sich bis zum Bronchospasmus mit akuter Atemnot entwickeln kann. Die Vergiftungserscheinungen werden deshalb als sehr bedrohlich und unangenehm empfunden. Auch hier erhält jeder Betroffene vorsorglich ein Gramm medizinische Kohle pro Kilogramm Körpergewicht. Der Einsatz von Atropin als Antidot ist möglich. Atropin, das Alkaloid der Tollkirsche, ist ein direktes Parasympathomimetikum. Als kompetitiver Antagonist ist Atropin in der Lage, Acetylcholin-Rezeptoren des Parasympathikus zu besetzten und so die Wirkung von Muscarin abzuschwächen. Atropin wird auch als Gegengift bei Vergiftungen mit anderen direkten oder indirekten Parasympathomimetika eingesetzt. Die günstige Prognose ist auf die extrem kurze Latenzzeit zurückzuführen, trotzdem ist der tödliche Ausgang einer Muscarin-Intoxikation möglich.

Gastrointestinales Syndrom
Anzeichen wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, kolikartige Bauchschmerzen sowie erhöhte Speichel- und Schweißsekretion können auf eine Pilzvergiftung hinweisen, wenn sie im Zusammenhang mit einer Pilzmahlzeit auftreten. Sollten diese Symptome innerhalb einer Latenzzeit von 15 Minuten bis zu vier Stunden auftreten, kann es sich um das sogenannte Gastrointestinale Syndrom handeln. Ausgelöst wird dies von der überwiegenden Mehrheit der heimischen Giftpilze, wie beispielsweise Karbolegerling, Speitäubling, Bruchreizker, Birkenreizker oder Rotbrauner Milchling. Dennoch ist die Vielzahl der auslösenden Toxine noch weitgehend unbekannt. Die Gemeinsamkeit liegt in der Reizung der Schleimhäute von Magen und Darm. Die Klinikeinweisung dient zur Abgrenzung gegen andere Pilzvergiftungen. Maßnahmen sind die Gabe von medizinischer Kohle und Magenspülungen. Außerdem muss für den Ausgleich des Wasser- und Elektrolythaushaltes gesorgt werden. Hierbei verbessert sich der Zustand meist nach wenigen Tagen und die Pilzvergiftung bleibt ohne Spätfolgen.

Pantherina-Syndrom
Auslöser für diese Vergiftung können der Narzissengelbe Wulstling, der Fliegenpilz, der Königsfliegenpilz sowie der Pantherpilz sein, wobei der Pantherpilz eine deutlich höhere Toxizität als der Fliegenpilz aufweist. Fälschlicherweise ging man noch bis Ende des 19. Jahrhunderts davon aus, dass Muscarin das Hauptgift des Fliegenpilzes sei und leitete davon den Namen Amanita muscaria ab. Heute ist bekannt, dass die eigentliche Giftwirkung auf die Substanzen Ibotensäure und Muscimol zurückzuführen ist. Aus der eher schwachen Ibutensäure, entsteht durch Trocknung oder Kochen das fünf- bis zehnfach stärkere Muscimol. Es ist ein Halluzinogen mit agonistischer Wirkung auf den Sympathikus. Nach einer Latenzzeit von 30 Minuten bis zu drei Stunden zeigen sich Vergiftungserscheinung, die hauptsächlich das Nervensystem betreffen und einem starken Alkoholrausch ähneln. Typisch sind hierbei Herzrasen, Bluthochdruck und ausgetrocknete Schleimhäute. Weitere Symptome sind geweitete Pupillen, das Auftreten von Sprach-, Seh-, Bewegungs- und Koordinationsstörungen. Im Mittelpunkt stehen jedoch euphorische, rauschähnliche Zustände mit motorischer Unruhe und der Neigung zu Krampfanfällen. Nach 10 bis 15 Stunden erwachen die Betroffenen aus einer Art Tiefschlaf ohne Erinnerung an das Geschehen. Die Gabe von Aktivkohle steht am Anfang der Therapie, die jeder Patient vorsorglich erhält. Eine engmaschige stationäre Überwachung ist notwendig. Wirkstoffe wie Atropin, Benzodiazepine oder Barbiturate sind kontraindiziert, da sie die Wirkung des Muscimols verstärken. Bei schweren Verläufen überwiegt die anticholinerge Symptomatik und nur dann kommt Physostigmin als Antidot zum Einsatz. Physostigmin ist ein indirektes Parasympathomimetikum und blockiert reversibel die Acetylcholinesterase, die für die Spaltung von Acetylcholin verantwortlich ist. Acetylcholin kann nicht mehr oder nur vermindert abgebaut werden, liegt nun in höherer Konzentration im synaptischen Spalt vor. So kann durch den Einsatz von Physostigmin eine Steigerung des Parasympathikus erreicht werden. Trotz der schweren Symptomatik ist die Prognose relativ gut und es bleiben nur in wenigen Fällen Spätfolgen, wie eine schnellere Ermüdbarkeit, zurück.

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