© DIE PTA IN DER APOTHEKE
© DIE PTA IN DER APOTHEKE

Erfahrungsbericht Impfzentrum

NUR NOCH KURZ DIE WELT RETTEN…

Stell dir vor, es ist Pandemie und die PTA geht nicht hin. Es werden dringend PTA für die Impfzentren benötigt. Ich habe mich gemeldet, um nach meiner Arbeit in der Apotheke den Corona-Impfstoff abzufüllen. Ein Bericht aus dem Impfzentrum in Wiesbaden.

Seite 1/1 5 Minuten

Seite 1/1 5 Minuten

Das erste Gefühl war Stolz. Wir, die PTA werden gebraucht, um Wiesbaden im Kampf gegen die Pandemie zu unterstützen. Es gibt zu wenige in Wiesbaden, die neben dem Vollzeitjob in der Apotheke nach der Arbeit oder am Wochenende im Labor stehen wollen. Klar, das ist hart, aber da ist auch die soziale Verantwortung! Also habe ich mich gemeldet. Wenn sich das Apothekenteam im RheinMain CongressCenter (RMCC) in Wiesbaden gemeinsam umzieht, um mit voller Montur, also Schutzkleidung, Haube, Mundschutz und Überziehschuhe, durch die Schleuse in die dafür eingerichtete Apotheke einzutreten, sind es dann doch viele Vollzeit-PTA, die sich bereit erklärt haben, neben der Apotheke das Impfzentrum zu unterstützen. Darunter auch viele, die eigentlich gar nicht mehr im Beruf arbeiten, aber es als ihre Pflicht sehen zu helfen.

Der Ablauf Es war für uns eine neue Herausforderung und mit Nervosität verbunden, mit dem Vial des Biontech Wirkstoffes Comirnaty® die ersten Versuche zu starten. Aus diesem Grund wurde erstmal mit reiner Kochsalzlösung geübt. Zu Beginn wird in ein leicht gefülltes Vial 1,8 ml Kochsalzlösung gespritzt. Und da ist auch schon das erste Problem: Das verdrängte Luftvolumen kann nicht entweichen und muss wieder entzogen werden. Macht man hier was falsch, kann so ein Vial ganz schnell zum Vulkan werden. Die Mischung aus Impfstoff und Kochsalz blubbert einem entgegen und geht verloren. Es ist schon sinnvoll, nicht gleich am „flüssigen Gold“ zu üben, denn jede Dosis wird gebraucht. Ist der Druckausgleich gelungen, werden die Einmal-Luer-Spritzen mit 0,3 ml der fertigen Impfstoff-Lösung aufgezogen.

Natürlich haben wir sehr schnell gemerkt, dass wir sechs Dosen aus einem Vial bekommen und sind wirklich froh diese auch nutzen zu können. Die Apotheke im RMCC Wiesbaden ist generalstabsmäßig geplant. Der Bereich der aseptischen Herstellung ist von den normalen Zonen abgetrennt und darf nur mit zweifachen Überschuhen betreten werden. Die Herstellung findet in der Aura Mini™ Box, eine Laminar-flow-Kabine, statt. Wir tragen alle Handschuhe und die Person, die herstellt, hat noch ein zweites Paar darüber. Überall stehen Desinfektionsständer und es gibt genaue Desinfektionsprotokolle. Wir arbeiten im Vier- Augen-Prinzip. Eine PTA reicht an, die andere PTA stellt her und ist mit den doppelt behandschuhten und desinfizierten Händen nur noch in der Aura Mini™ Box.

Nach dem Lösen mit Kochsalz und dem Entlüften wird der aufbereitete Impfstoff durch zehnmaliges Schwenken des Vials gemischt und im Anschluss nochmal durch eine Sichtprobe auf Verunreinigungen untersucht. Nun werden die sechs Impfdosen unter voller Konzentration aufgezogen. Ein bisschen ist es wie Yoga, nur der Impfstoff und du. Der Zureicher kontrolliert beim Etikettieren nochmals die korrekte Füllmenge, bevor er das Chargen-Etikett und das interne zweite Herstellungsetikett auf der Spitze aufbringt. Parallel wird ein Herstellungsprotokoll angefertigt, in dem für jede Charge alle Ausgangsmaterialien vermerkt werden, außerdem Lieferdatum des Impfstoffes, Auftaudatum (Entnahme aus dem -70 °C-Kühlschrank), Uhrzeit der Entnahme aus dem normalen Kühlschrank, sowie der Zeitpunkt des Lösens.

Der Herstellende, der Anreichende und der freigebende Apotheker müssen jedes einzelne Herstellungsprotokoll unterschreiben. Jede hergestellte Impfstoffreihe bekommt einen eigenen QR-Code, der natürlich auch auf dem Herstellungsprotokoll aufgeklebt wird. Somit ist alles jederzeit nachvollziehbar. Die hergestellten fertigen Impfdosen kommen mit den QR-Codes in eine Nierenschale. Mit einem kleinen Zettel, auf dem Lieferdatum und die Uhrzeit der Herstellung vermerkt sind, wandern sie in eine verschließbare Plastikbox und los geht die Reise mit einem der netten Bundeswehrsoldaten, auf den Weg zur Impfstraße, wo schon der glückliche Impfling wartet. Dokumentation, Etikettierung und die genaue Spezifikation rund um die Herstellung sind besonders wichtig. Zwischen den einzelnen Anforderungen bereitet jeder seinen Arbeitsplatz wieder vor, desinfiziert und reinigt was nötig ist, um aseptisch zu arbeiten.

Das Team Es ist ein völlig anderer Ablauf in der Teamarbeit, als ich das aus der Apotheke kenne - immer wechselnde Teammitglieder, da die meisten nur tageweise kommen können. Vertrauen, gegenseitige Unterstützung und Respekt gehören absolut dazu. Es bleibt trotz des konzentrierten Arbeitens genug Zeit die neuen Kollegen ein bisschen kennenzulernen. Es sind wundervolle Menschen, alle haben ihre Geschichte und alle die gleiche Motivation: helfen zu wollen, ein kleines bisschen die Welt zu retten, in kleinen Schritten der neuen Normalität entgegenzugehen. Wie viele 80-Jährige und ältere können wir heute impfen?

Vielleicht denken Sie, das klingt aber langweilig. Sicher, abwechslungsreich ist es nicht. Aber es fordert höchste Konzentration, für manche hat es auch was Meditatives und Beruhigendes. Denn sonst sind wir PTA ja immer im Beratungsgespräch und ständig unter Strom. Es ist auch eine gewisse Schnelligkeit geboten, die meisten fangen so bei acht bis zehn Minuten für einen Herstellungsprozess mit sechs Spritzen an, die Schnellen schaffen das mit Übung in fünf Minuten. Im Moment sind wir mit der Geschwindigkeit noch gelassen, denn es sind pro Tag maximal 400 Impflinge im Zentrum.

Das wird sich ändert, wenn der Impfstoffengpass vorbei ist und wir 1500 Impflinge pro Tag impfen wollen. Dann geht es richtig rund in der Apotheke. Wir arbeiten im ersten Stockwerk über dem Impfzentrum, die Anforderung für die nächsten sechs Spritzen erfolgt über das Telefon. Wir kommunizieren mit den Bundeswehrsoldaten, sie bestellen die Spritzen bei uns und koordinieren die Impfstraßen. Ein Soldat ist bei uns in der zweiten Apothekenschleuse. Er wird während der Pandemie garantiert kein Gramm zunehmen, da er den ganzen Tag treppauf, treppab unterwegs ist.

Die Impflinge Der Öffnungstag war für uns alle ein sehr emotionaler Tag. Das Ziel war 300 Menschen zu impfen. Alles war vorbereitet, wir waren auf alles gefasst. Wird eine riesige Schlange vor der Tür stehen? Werden wir einige abweisen müssen, weil sie keine Termine haben? Wir haben alle unruhig geschlafen in der Nacht davor und dann war alles ganz anders. Es kamen knapp 300 über 80-Jährige, fast alle mit Terminen, fast alle in Begleitung ihrer Kinder, Partner oder Enkelkinder. Es sind die Geburtsjahre 1941 und älter, die drängeln sich nicht vor, die nehmen niemanden den Platz weg, die sind einfach nur glücklich bald wieder ihre Bekannten und Angehörigen sehen zu können.

Dankbarkeit war das Gefühl, welches den ganzen Tag im Raum war. Und auch die, die ganz allein kamen, haben wir sicher durch die Impfstraße gebracht und danach noch ins Taxi gesetzt. Das Gefühl der Ruhe, das sich in einem ausbreitet, wenn man das Impfzentrum betritt, um dort zu arbeiten, überträgt sich offenbar auch auf die Menschen, die dort geimpft werden. Alle haben von dieser Ruhe, dieser Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft aller Menschen geschwärmt, denen sie im Zentrum begegnet sind. Was jetzt nur noch fehlt, ist endlich mehr Impfstoff. Wir sind bereit für 1500 Dosen am Tag. Wir sind PTA, denn „Superheld“ ist keine offizielle Berufsbezeichnung... Und endlich wird der Ruf nach unserer Berufsgruppe richtig laut.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2021 ab Seite 26.

Sandra Holzhäuser, PTA und Kosmetikerin

×