Milzbrand-Erreger Bacillus anthracis © Dr_Microbe / iStock / Getty Images Plus
Der Milzbrand-Erreger Bacillus anthracis verursacht schwere, oft tödlich verlaufende Infektionen von Lunge, Haut oder Darm.

Neue Therapiemöglichkeit

DIE DOSIS MACHT DAS GIFT – ANTHRAX GEGEN SCHMERZEN

Das Gift des Milzbrand-Erregers, Anthrax, eröffnet möglicherweise neue Ansätze in der Schmerztherapie. Denn Versuche an Mäusen belegen, dass diese nach Verabreichung zeitweilig unempfindlich gegenüber verschiedenen Arten von Schmerz wurden – und zwar ohne Nebenwirkungen.

Seite 1/1 2 Minuten

Seite 1/1 2 Minuten

Der Milzbrand-Erreger Bacillus anthracis  ist berühmt-berüchtigt. Er verursacht schwere, oft tödlich verlaufende Infektionen von Lunge, Haut oder Darm und taucht des Öfteren in den Medien auf, wenn es um mögliche Anschläge geht. 

Das Toxin besteht aus mehreren Untereinheiten: Das sogenannte Protektive Antigen (PA) bindet an Rezeptoren auf den Zellen und öffnet eine Eintrittspforte für zwei weitere Untereinheiten des Giftes, den Ödemfaktor (EF) und den Letalfaktor (LF). Beide gemeinsam sorgen für die Zerstörung der Zelle.
 

Schmerzsignale unterbrechen

Ausgerechnet dieser hochgiftige Stoff soll Nervenzellen im Rückenmark blockieren, die für die Weiterleitung von Schmerzsignalen zuständig sind. Das entdeckte ein Team um Nicole Yang von der Harvard Medical School in Boston. Es fand heraus, dass „bakterielle Produkte auf sensorische Neuronen wirken können und während einer pathogenen Infektion modulieren, wie wir Schmerzen wahrnehmen“, berichteten die Forscher. 

Das Besondere: Während viele bakterielle Produkte eher Schmerzen fördern, gibt es auch manche, die schmerzlindernd wirken. Sie stellten fest, „dass der Rezeptor ANTXR2, der hochspezifisch für das Anthrax-Toxin ist, in den schmerzempfindlichen Nervenzellen des Rückenmarks exprimiert wird. In anderen Teilen des Zentralen Nervensystems kommt er dagegen fast nicht vor.“

Das Gift stört die Signalübertragung der Nervenzellen. Dabei entfalten der Ödemfaktor EF und der Letalfaktor LF allerdings nur eine Wirkung, wenn sie mit dem Türöffner PA kombiniert werden.


Nun wurden Mäusen verschiedene Kombinationen gespritzt: Entweder PA allein oder in Kombination mit EF oder LF ins Rückenmark. PA und EF in Kombi erhöhten signifikant die Schwellenwerte für mechanische und thermische Empfindlichkeit. Mäuse, die damit behandelt worden waren, reagierten deutlich weniger darauf, wenn ihre Pfoten gequetscht, mit einer Nadel gestochen oder auf eine heiße oder sehr kalte Platte gehalten wurden. Der Effekt hielt dabei über Stunden an und war sogar wiederholbar. 

Weitere Versuche zeigten, dass nicht nur mechanischer und thermischer Schmerz unterdrückt wurde, sondern auch Schmerzen, die durch Entzündungen oder durch Nervenschäden verursacht werden.
 

Ödemtoxin zeigt keine größeren Nebenwirkungen

Eine zweite Injektion zwei Tage später zeigte sogar noch stärkere schmerzstillende Effekte. „Das könnte daran liegen, dass das Ödemtoxin dafür sorgt, dass sich weitere ANTXR2-Rezeptoren bilden“, vermuteten die Forscher. Herzfrequenz, Körpertemperatur oder motorische Koordination waren übrigens nicht beeinträchtigt – nur das Tastempfinden war etwas herabgesetzt. „Das deutet darauf hin, dass das Ödemtoxin keine größeren Nebenwirkungen auf motorische oder sympathische Funktionen hat“, so die Forscher. 

Die Nervenzellen blieben intakt und konnten nach Abklingen der Wirkung erneut und ordnungsgemäß ihrer Funktion nachgehen. Das heißt in der Umkehr: Die schmerzhemmende Wirkung beruht offenbar auf einer blockierten Signalübertragung und nicht auf einer Zerstörung von Nervenzellen.
 

Neue Wege

Die Wissenschaftler interessiert nun auch, inwieweit das Protektive Antigen PA auch andere Substanzen in die Nervenzellen schleusen kann – zum Beispiel, um Krebsmedikamente an Ort und Stelle zu bringen. Yang und ihr Team nutzten PA auch als Vehikel für Botulinumtoxin (Botox). Auch diese Kombi blockierte bei den Mäusen Schmerzen. 

Man betrachtet die molekulare Plattform unter dem Strich also als einen neuen Weg, um auf schmerzvermittelnde Neuronen einzuwirken und will die Forschung zu diesem Thema vorantreiben. Denn das könnte einen ganz neuen Ansatz für die Entwicklung von Schmerztherapien bedeuten.

Quelle: www.wissenschaft.de
 

×